„Ich will aber in kein Krankenhaus“, wiederholte sie noch einmal und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme dabei bebte.
„Doch“, entgegnete er. „Es muss sein, und ich bringe dich jetzt dorthin.“
Sie wiegte sich vor und zurück, wie, um sich selbst zu beruhigen, aber es funktionierte nicht. Sie wusste ja, dass er recht hatte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Wenn Zac bei ihr blieb, würde sie es schon schaffen … oder?
„Bringst du mich danach nach Hause?“, fragte sie zaghaft.
„Ja“, versprach er.
Sie versuchte die Erinnerungen an damals auszuschalten, aber sie kamen trotzdem wieder hoch. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, das Piepsen der Überwachungsgeräte, der kalte, sterile Boden – und ihre Mama, oder das, was noch von ihr übrig war, still und blass in dem Bett.
„Könntest du nicht jemanden herholen, um mich zu untersuchen?“, versuchte sie es noch einmal und sah ihn hoffnungsvoll an. „Den netten Rettungssanitäter von vorhin vielleicht.“
„Wir sind in Portland, Lucy. Ich kenne hier niemanden.“
„Ach ja …“
„Und genau das ist auch der Grund, weshalb du dich untersuchen lassen musst. Du weißt ja noch nicht einmal, wo du bist, um Himmels willen.“
Sein Ton war so barsch, dass sie wieder zusammenzuckte und ihr die Tränen kamen. Er klang verärgert, so als interessierte es ihn kein bisschen, was mit ihr los war, dass sie vielleicht eine Hirnblutung hatte und jeden Moment tot umfallen konnte!
Er stand auf und sagte: „Es muss sein, Lucy. Also komm, lass uns fahren.“ Und dann hob er sie mitsamt ihrem bauschigen Brautkleid hoch, zwar behutsam, aber kein bisschen liebevoll, sondern irgendwie steif und mechanisch. Sie legte eine Hand auf seine Schulter und schloss die Augen. Vielleicht war dieser Albtraum ja vorüber, wenn sie wieder aufwachte.
DREI
Zac stützte die Ellbogen auf seine Knie und schaute zu, wie die Schwester Lucy den Venenzugang herauszog. Sie hatten ihr etwas für den Magen gegeben, etwas gegen die Kopfschmerzen und auch etwas zur Beruhigung. Lucys Augen waren geschlossen, und ihre Stirn war nicht mehr ganz so angespannt, seit die Medikamente zu wirken begannen.
Die Schwester ging wieder, und Zacs Blick glitt über Lucys Gesicht – ihre zarten geschwungenen Augenbrauen, die helle Haut und ihren roten Kussmund. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert, hatte immer noch dieselben verletzlichen blauen Augen, die an ihm zerrten, ihn richtiggehend wie an einer Schnur mit Haken zu sich hinzogen. Sie hatte die Haarspangen aus ihrem langen dunklen Haar gezogen, das ihr jetzt in üppigen Wellen über die Schultern fiel und einen Teil des hässlichen Krankenhausnachthemdes verdeckte. Wie froh war er gewesen, als sie endlich nicht mehr das Brautkleid anhatte!
Das Brautkleid. Als er sie dort am Hafen in dem Brautkleid auf der Bank hatte sitzen sehen, hätte er sich beinah wieder umgedreht und wäre gegangen. Es war erst sieben Monate her, dass sie verschwunden war. Wie hatte sie es nur geschafft, sich so schnell wieder zu verlieben und sogar zu verloben? Vielleicht war sie ja auch schon vorher verliebt gewesen. Vielleicht war das sogar der Grund, weshalb sie ihn verlassen hatte. Dieser Gedanke fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube.
Er lehnte sich auf dem Stuhl neben ihrer Liege zurück und verschränkte mit gerunzelter Stirn die Arme vor dem Körper.
Was, um Himmels willen, machte er hier eigentlich? Sie hatte einen Bräutigam, den sie liebte, und irgendwo in einer Kirche waren Menschen versammelt, die sich fragten, wo sie blieb.
Irgendwie passte das alles nicht zusammen. Was hatte sie unmittelbar vor ihrer Trauung allein auf der Damentoilette eines kleinen Restaurants zu suchen gehabt?
Lucy war nicht die Einzige, die Fragen hatte.
Doch seine Fragen musste er fürs Erste beiseitestellen. Gleich würde auch noch ein Arzt kommen und jede Menge Dinge wissen wollen. Lucy hatte alle Formulare und Fragebögen selbst ausgefüllt und beim Aufschreiben ihrer Adresse ohne zu zögern die ihrer Wohnung in Summer Harbor notiert.
Sie hatte offenbar keine Ahnung über das Ausmaß ihres Gedächtnisverlustes, und auch, wenn sie ihn dermaßen hatte hängenlassen kurz vor der Hochzeit, hatte er das Gefühl, sie beschützen zu müssen, indem er ihr alles möglichst schonend beibrachte.
Lucys Augenlider öffneten sich flatternd. Es ging ihr schon viel besser. Wie gut, dass es wirksame Medikamente gab. Sie hatte ein bisschen das Gefühl zu schweben, aber das gefiel ihr eigentlich ganz gut. Jedenfalls war es besser als diese Panik, die den ganzen Körper erfasst hatte.
Ihr Blick ging zu Zac, der vornübergebeugt auf dem Stuhl neben ihrem Bett saß. Gott sei Dank, er war noch da. Doch obwohl sie nicht richtig klar sehen konnte, bemerkte sie seine finstere Miene, und das tat ihr weh. Er war sonst immer so lieb, zärtlich und beschützend zu ihr gewesen.
„Warum bist du eigentlich wütend auf mich?“, fragte sie ihn jetzt flüsternd.
Er blickte mit einem Ruck auf, und seine Miene wurde weicher. „Geht es dir besser?“ „Ja, viel besser.“
„Gut“, sagte er. Dann stand er auf und ging auf der Längsseite des Zimmers auf und ab.
Er war sehr groß, hatte breite Schultern und überragte sie mit seinen 1,95 Metern um mehr als einen Kopf. Wenn er sie in die Arme schloss, fühlte sie sich auf eine Weise geborgen und geliebt, wie sie es nicht mehr erlebt hatte, seit sie ein kleines Mädchen war. Seine souveräne Art konnte einen ganzen Raum einnehmen, was im Moment auch tatsächlich der Fall war, weil er immer wieder mit großen Schritten im Zimmer auf und ab ging.
Irgendwann blieb er stehen, sah sie an und sagte: „Es gibt da ein paar Dinge, die du wissen musst, Lucy.“
Sie zog sich die Bettdecke hoch bis ans Kinn und fragte: „Was denn?“
„Diese … Hochzeit“, setzte er an und zeigte auf das Brautkleid, das an einem Bügel im offenen Schrank hing. „Also, das waren nicht wir beide, die da geheiratet haben.“
Sie blinzelte wieder, um ihn etwas deutlicher zu sehen und zu begreifen, was er da gerade gesagt hatte. „Was um Himmels willen willst du denn damit sagen?“, fragte sie völlig entgeistert.
Er holte tief Luft und erklärte dann ganz schnell: „Wir sind nicht mehr zusammen, Lucy.“
Wieso sagte er denn so etwas? Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Ihr kamen die Tränen, und sie hatte einen dicken Kloß im Hals.
„Schon seit ein paar Monaten nicht mehr. Es tut mir leid, dass du es auf diese Weise erfahren musst, aber der Arzt wird dir Fragen stellen, und du musst einfach wissen, dass du eine ziemlich große Erinnerungslücke hast.“
Sie fühlte sich, als ob dort, wo sonst ihr Herz war, ein riesiges schwarzes Loch klaffte. Das konnte unmöglich sein. Auf gar keinen Fall hatten sie sich getrennt. Zac liebte sie doch und sie ihn auch – sehr sogar.
Deshalb schüttelte sie nur immer wieder den Kopf und sagte: „Nein.“
Er kam näher ans Bett heran, blieb unmittelbar davor stehen, die Hände in den Hosentaschen, und sagte: „Doch, es ist so. Du hast eine Erinnerungslücke von mindestens sieben Monaten.“ Auch das sagte er in diesem furchtbar sachlich-nüchternen Tonfall, den sie schon immer schlimm gefunden hatte.
„Warum tust du das?“, fragte sie und musste ein Aufschluchzen unterdrücken.
„Weil du es wissen musst, und auch der Arzt muss es wissen, damit er