Ein wahrer Schöngeist ist dafür der Leopold I.36 gewesen, der Vater von der Maria Theresia – Sie wissen schon: von der Erzherzogin, deren Mann Kaiser gewesen ist, weshalb man sie hartnäckig als „Kaiserin“ bezeichnet, obwohl sie keine Kaiserin gewesen ist, sondern immer nur die Frau von einem Kaiser. Der Leopold hat nie wirklich Kaiser werden wollen. Sein erster Berufswunsch ist Priester gewesen, sein zweiter Komponist. Er hat das Handwerk, also das des Komponisten, übrigens wirklich recht gut beherrscht. Mehr als 200 Werke gibt es von seiner Hand – aber das sind keine Kleinigkeiten: Messen, Kantaten, Ballette und Singspiele sind darunter. Seine Majestät hat mehrere Instrumente gespielt und das Hoforchester selbst dirigiert. Außerdem hat er sich der Prunksucht hingegeben. Am 12. Dezember 1666 heiratet er seine Nichte Margaretha Theresia von Spanien, die, das macht die habsburgische Heiratspolitik möglich, gleichzeitig seine Cousine ist. Sie kennen ja das habsburgische Motto: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.“ Wenn man nur unter diesem Aspekt Verbindungen eingeht, passiert es halt, dass ein bisserl zu viel Verwandtschaft ins Blut kommt. Das erklärt vielleicht einiges.
Die Hochzeit jedenfalls will gefeiert sein, und zwar nicht ein paar Tage lang, sondern ein ganzes Jahr zelebriert sie der Kaiser mit immer prunkvolleren Festen. Dann gibt er für das Geburtstagsfest seiner Frau im Jahr 1668 bei seinem Hofkapellmeister Antonio Cesti die Oper „Il pomo d’oro“ in Auftrag. Leopold höchstselbst komponiert mit. Das Monstrum wird ein einziges Mal aufgeführt, verteilt auf zwei Abende von je fünf Stunden. Einen Effekt hat der Anlass: Cesti hat den Prunk nicht mehr ertragen und seinen Abschied vom Wiener Hof genommen.
In die Regierungszeit vom Leopold fällt die Zweite Wiener Türkenbelagerung. Leopold hat es durch geschickte Verhandlungen verstanden, sich der Unterstützung von Papst Innozenz XI. zu versichern und in der Folge der des polnischen Königs Johann III. Sobieski und des Herzogs Karl V. von Lothringen. Der osmanische Großwesir Kara Mustafa Pascha hat auf einmal viermal mehr Soldaten vor sich gehabt, als er gerechnet hat. Wien ist in der Schlacht am Kahlenberg befreit worden. Dann hat der Leopold den Prinzen Eugen von Savoyen zum Oberbefehlshaber ernannt, der ebenfalls ein Schöngeist gewesen ist, aber auch, kommt selten vor, dass sich das verträgt, ein strategisches Genie, und der Prinz Eugen hat die osmanischen Heere endgültig zerschlagen. Im Volksmund heißt der Kaiser Leopold der „Türken-Poldi“. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm das recht gewesen wäre, dem verhinderten Priester und verhinderten Komponisten. Auf einem Gemälde posiert er in einem Bühnenkostüm, das sogar für barocke Verhältnisse bizarr ausschaut. Das Kostüm ist ganz in Rot und Weiß gehalten mit reichlich Goldstickerei, der Kaiser trägt eine Perücke, deren tiefschwarze Wuckerln37 bis über die Schultern fallen, und auf dem Kopf hat er eine rote Haube mit aufgebauschtem Federaufputz. Was am groteskesten wirkt, ist das Gesicht seiner Majestät: Es schaut aus wie das einer verlebten Frau mit aufgeklebtem Oberlippenbart. Der eigentliche Blickfang sind die grellrot geschminkten Lippen. Sie müssen sich das Bild unbedingt ansehen, sonst können Sie sich nicht vorstellen, dass der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs wirklich in diesem Aufzug posiert.
Und jetzt frag ich Sie: Welcher Kaiser ist bis heute der Kaiser für die Wiener? – Der nüchterne Franz Joseph, ein knochentrockner Bürokrat, dessen Pragmatismus ihn nicht vor Fehlentscheidungen bewahrt hat, etwa der, den Ersten Weltkrieg anzufangen. Ich weiß schon, das ist arg verkürzt gesagt, aber im Prinzip ist es so gewesen. Ich sag’ ja auch nicht, dass der Franz Joseph kein imponierender Mann gewesen ist. Er muss schon eine Ausstrahlung gehabt haben, und er ist der letzte Kaiser gewesen, bei dem es kaiserlichen Prunk gegeben hat, bei dem die Menschen gespürt haben, dass Österreich einen Kaiser hat. Glauben Sie mir das, ich hab’ das durch meine Großmutter selbst erfahren, wenn sie mit leuchtenden Augen „vom Kaiser“ erzählt hat, und ihr Kaiser ist immer nur der Franz Joseph gewesen und nie sein Nachfolger, der Karl I., der kein richtiger Kaiser sein hat können, weil er im Krieg an die Macht gekommen ist, aber nie an der Macht gewesen ist. Nicht einmal den Krieg hat er beenden können, obwohl er es gewollt hat, ob aus Pazifismus oder aus taktischer Hilflosigkeit, will ich dahingestellt lassen. Sogar selig gesprochen worden ist der Karl. Aber für meine Großmutter und alle anderen Wiener ist der Kaiser immer nur der Franz Joseph gewesen – und die Kaiserin die Maria Theresia, obwohl die ihr Lebtag lang immer nur Erzherzogin gewesen ist und nie Kaiserin, sondern die Frau vom Kaiser. Jo, eh, oh Lektorin meines Vertrauens, ich hab’ Deine Stimme im Ohr, und ich hör’ ja schon auf …!
Und nach den Babenbergern, die zwar keine Kaiser gestellt haben, ohne die es aber Österreich nicht gäbe, und die den Stephansdom zu bauen begonnen haben und die Hofburg und rund 17 Kilometer nordnordwestlich von Wien das Stift Klosterneuburg, das Sie sich unbedingt anschauen sollten, nach den Babenbergern also kräht, trotz aller Appelle der Historiker, überhaupt kein Hahn mehr.
Apropos wunderliche Kaiser: Also der Nandl – ich sage Ihnen ...
DER NANDL
Jetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar zuerst über Knödel38. Danach erzähle ich Ihnen was über den Kaiser Ferdinand I.
Aber zuerst kommen die Knödel an die Reihe.
Knödel sind eine über den ganzen alpenländischen Raum verbreitete, aber ganz speziell Wiener Spezialität, und wie alle Wiener Spezialitäten stammt sie aus Böhmen. Nein, das war jetzt ein Schmäh, den ich nur angebracht habe, um die Nähe der tschechischen Küche wieder einmal beiläufig zu erwähnen. Im Fall der Knödel dürfte der Weg ausnahmsweise einmal der umgekehrte gewesen sein, also von Österreich nach Tschechien. Zumindest lassen das Ausgrabungen aus alter Zeit vermuten. Aber wenn man die Knödel als Beilage isst zu einem Bierfleisch oder zu Schweinsbraten mit Sauerkraut, gleicht sich das schnell wieder aus.
Man unterscheidet Erdäpfelknödel39 und Semmelknödel40, und beide Typen haben diverse Variationen. Die Erdäpfelknödel gibt es auch in süßen Varianten, etwa die Marillenknödel, die Sie unbedingt probieren müssen, wenn Sie Mitte Juli, Anfang August in die Wachau kommen – obwohl ich Ihnen gleich sage, dass es Köchinnen gibt (und vielleicht auch Köche, aber die werden in Knödeldingen nicht gefragt), die auf Marillenknödel aus Brandteig schwören, was, genau genommen, einen dritten Knödeltyp ergibt, der uns jetzt aber weiter nicht kümmern soll.
Die Semmelknödel sind ein wahres Wunder der Wiener Küche. Etwas Besseres als Beilage gibt es nicht. Ist irgendwo eine Soß dabei – das Semmelknödel tunkt sie auf und hebt ihren Geschmack. Ist irgendwo keine Soß dabei, ist das Semmelknödel auch die ideale Beilage. Und niemals darf man ein Knödel schneiden, wenn es eine Beilage ist, man muss es reißen. Das ist kein Wiener Pecker, sondern ein kulinarisches Geheimnis: An einem glatt geschnittenen Knödel rinnt der Saft ab, während ihn ein gerissenes herrlich auftunkt.
Das Knödel kann freilich genauso gut ein grandioser Hauptdarsteller sein als geröstete Knödel mit Ei41, das ich ganz besonders gerne mag, als Knödelauflauf42 oder als saure Knödel43.
Übrigens sind die Semmelknödel, da bin ich völlig sicher, ein Streitobjekt, seit eine Urwienerin sie erstmals geformt hat, und nicht nur wegen des Geschlechts, also, ob es richtig der Knödel heißt oder das Knödel. In Wien heißt es das Knödel, und wer der Knödel sagt, ist kein echter Wiener, selbst dann nicht, wenn seine Urgroßeltern allesamt aus Böhmen gekommen sind. Aber wie damals die Urwienerin die Urknödel serviert hat – ich schwöre Ihnen, dass damals ihr Mann gesagt hat, die Knödel seien zu weich, ihre Mutter hat gemeint, zu hart, und obzwar die Urwiener die Urknödel gegessen haben, und zwar mit Appetit und Genuss und das Rezept an ihre Kinder und Kindeskinder weitergegeben