Die althochdeutschen Zaubersprüche. Mirja Dahlmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mirja Dahlmann
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783964260024
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des magischen Denkens sind der Präanimismus103 und der Animismus104. Werden die Objekte von „wirkenden, willenmäßigen doch unpersönlichen Kräften erfüllt“,105 kann man von Präanimismus sprechen. Käser spricht in diesem Zusammenhang noch von dem Begriff des Animatismus.106 Animatismus oder Präanimismus „[…] ist die Vorstellung, dass Unbelebtes in der Natur als belebt angesehen wird in dem Sinn, dass es eigenen Willen, eigene Emotionen und Denkfähigkeit besitzt, z. B. Vulkane, Unwetter usw.“107

      Sind diese Kräfte „verpersönlicht als Geister, Dämonen und Seelen, die an Objekte gebunden sind“,108 spricht man von Animismus. Die vergleichende Religionsethnologie und die Religionswissenschaft definiert Animismus als „den Glauben an die Existenz und Wirksamkeit von anthropomorph (menschenähnlich) und theriomorphen (tierähnlich) gedachten geistartigen Wesen (Seelen und Geister).“109 Auf dem Animismus beruht der Dämonenglaube, der sich in allen Kulturen findet.110 Im magischen Denken werden oft Dämonen als Ursache von Krankheiten gesehen, da sich der in der Heilkunst unkundige Mensch die Ursache seiner Krankheit nicht erklären konnte. Er musste also annehmen, dass die Ursache seiner Erkrankung aus der Außenwelt in ihn eingedrungen sein musste.111 Hampp nennt drei Arten der volksmedizinischen Krankheitserklärungen: „die Erklärung durch Krankheitsdämonen, durch Zauberkraft des Menschen und durch natürliche Ursachen.“112 Krankheitsdämonen können verschiedene Formen haben. Man kann zwischen Dämonen in Tiergestalt und elbischen Wesen, die in verschieden Gestalten auftreten können, unterscheiden.113 Auch ist es möglich, dass die Krankheit selbst als dämonisches Wesen personifiziert wird.114 Eine weitere Variante des dämonischen Krankheitsverursachers ist der zaubernde Mensch.115

      Der Mensch, der ein animistisches Weltbild hat, erklärt damit nicht nur Krankheitsursachen. Käser erläutert, dass „Animismus Naturwissenschaft“ sei.116 Die Weltsicht des Animismus „hält unter anderem Erklärungen darüber bereit, wie physikalische oder chemische Erscheinungen zustande kommen.“ So erklärt sich ein Stamm aus der südafrikanischen Wüste Kalahari den Himmel, indem er sagt, dass die Sterne „Lagerfeuer von Totenseelen“ seien.117

      Des Weiteren ist Animismus nicht nur Naturwissenschaft, sondern auch Philosophie:

      […] denn er gibt Antwort auf die Frage, wie die Dinge und der Mensch ihrem eigentlichen Wesen nach beschaffen sind, woher sie kommen, wohin sie gehen und wozu sie letztlich bestimmt sind.118

      Im Zusammenhang mit dem Animismus und dem magischen Denken ist es noch wichtig, die Bedeutung einer Kraft, dem Mana, zu erklären.

      Mana ist eine Kraft, mit der „das außerordentlich Wirkungsvolle“119 bezeichnet wird. Der Begriff Mana wurde nach Erscheinen der Arbeit The Melanesians. Studies of their anthropology and folklore des Missionars R. H. Codrington zur gängigen Bezeichnung.120 Mana ist der Begriff für das Heilige und Sakrale bei polynesischen Gruppen. Die Namen dieser Kraft variieren bei verschiedenen Völkern. Bei den Griechen kann das Wort hierós „am ehesten […] dem Begriffspaar Mana und Tabu zugeordnet werden.“121

      Sobald etwas, zum Beispiel ein Ding oder ein Vorgang, Mana besitzt, erlangt es den „Charakter des Heiligen“.122 Dinge ohne Mana, also ohne magischen oder religiösen Zusammenhang, haben hingegen den „Charakter des Profanen.“123 In Stammeskulturen, aber auch in dörflichen Gemeinschaften gibt es, speziell bei religiösen und magischen Inhalten, besondere Verhaltensweisen und Normen, da „alles Heilige dadurch gekennzeichnet [ist], dass es nicht jedermann und jederzeit zugänglich ist.“124 Mana ist ein Begriff, der sprachlich variabel ist. Käser schreibt, dass „es […] adjektivischen oder substantiven Charakter haben [kann], […] ein Wesen, Ding oder Vorgang können mana sein oder Mana besitzen.“125 Cassirer bezieht sich auf Codrington, wenn er sagt, dass der magische Glaube den Glauben an

      eine „übernatürliche Kraft“ [aufweist], die das gesamte Sein und Geschehen durchdringt, die bald in bloßen Dingen, bald in Personen oder Geistern gegenwärtig und wirksam ist, die aber niemals ausschließlich an irgendeinen bestimmten einzelnen Gegenstand oder an ein einzelnes Subjekt als ihren Träger gebunden ist, sondern sich von Ort zu Ort, von Ding zu Ding, von einer Person zur anderen übertragen lässt.126

      Man kann Mana also als „Eigenschaft von Vorgängen, Dingen, Orten, Zeiten und Wesen“127 bezeichnen, die sich „als unerwartet oder außerordentlich wirkungsvoll erweisen.“128 Der Begriff Mana ist allerdings nicht nur religiösen Bereichen zuzuordnen, sondern auch in alltäglichen Zusammenhängen zu finden. Je nach Kultur benennt der Begriff auch „Autorität, Status [und] Glück.“129

      Käser sieht den Begriff Mana als „wertneutral“130 an. Allerdings gibt es „gutes und böses Mana“.131 Unter gutes Mana kann ein Heilzauber fallen, unter schlechtes Mana ein Schadenszauber. Es kommt darauf an, ob die Auswirkungen als „nützlich oder schädlich erfahren werden.“132

      Die Vorstellung, dass bestimmte Dinge mit Mana versehen sind, findet sich unter anderen Begrifflichkeiten auch in unserer Kultur. Wenn Käser also schreibt, dass Menschen „vom Mana eines Ortes […] Heilung von Krankheiten und Beschwerden aller Art [erwarten]“133 und „markante Steine, Felsen, Quellen, Wasserfälle, Flüsse, Berge, Haine [und] Grabstätten“134 als „Kraftorte“135 nennt, so erinnert dies stark an die von den Germanen verehrten Heiligtümer.136 Auch im frühen Mittelalter hielten die Menschen an der Verehrung von Orten, wie Seen oder Quellen, fest.137 Bei Zaubersprüchen, bei denen eine Zeitangabe als Ritusanzeige gegeben ist, ist die genaue Zeit wichtig für den Erfolg des Zauberspruchs. Hampp gibt hier „magische Zeiten wie Beerdigung und Mondnacht“138 an, „in denen die Sympathie wirkt.“139

      Ein weiteres Beispiel sind Personen, die besonders viel Mana in sich tragen und deren gesprochenes Wort besondere Zauberkraft hat.140 Bei Naturvölkern können das Schamanen sein, in der dörflichen Gemeinschaft ist es eine Person, die „innerhalb dieser Lebensgemeinschaft eine Sonderstellung ein[nimmt]“,141 da sie die Fähigkeit hat, „Krankheiten zu heilen“142 und „Böses wieder gut [zu] machen.“143 Den „Beruf“ umgibt etwas Geheimnisvolles, was auch so gewollt ist:

      Rekonstruktion von Altären im Opfermoor Vogtei,

       Niederdorla, Thüringen.

      […] denn es ist das Geheimnis, aus dem heraus diese Gemeinschaft [die Zauberkundigen] lebt. Ihr Geheimnis muss sie wahren, um sich Anfeindungen zu entziehen und um die geheimnisvolle Atmosphäre um sich her zu schaffen, die nötig ist, damit das Volk an sie glaubt.144

      Da die Anschauung herrscht, dass Zaubersprüche nur ganz bestimmten Personen überliefert werden dürfen, kann man davon ausgehen, dass „auch der Sprecher selbst, und nicht nur sein Wort an sich, von einer besonderen Kraft erfüllt sein [muss].“145 Diese Personen haben besonders viel Mana, auch wenn diese Kraft im europäischen Kulturkreis nicht so genannt wird. Käser nennt noch „das Denken christianisierter Ethnien“,146 in dem „Gebete grundsätzlich als sprachliche Ereignisse, von denen man außerordentliche Wirksamkeit im Sinne von Mana [erwartet]“,147 angesehen werden. Die Wirksamkeit der Kraft wird hierarchisch betrachtet: „Je höher das kirchliche Amt dessen ist, der betet, umso größer – so die Erwartung – wird seine Wirkung sein.“148

      Mit dem Begriff Mana ist auch der des Tabus zu nennen. Der Begriff Tabu bedeutet, dass das Heilige durch bestimmte Verbote und Verhaltensregeln geschützt wird: „Für das Verbotene, ja das Vernichtende des Sakralen hat sich in der Religionsforschung das Wort ‚Tabu‘ durchgesetzt.“149 Wichtig ist