Da wir nur Suppenpulver haben und in dem noch zugefrorenen See nicht fischen können, packte man die mitgebrachten Schleudern aus und frohgemut gings in naher Umgebung auf die Jagd. Welch ein Erfolg! Thomas erlegte ein Eichhörnchen, ich einen großen Vogel, ähnlich einem Perlhuhn. Das Eichhörchen gab eine kräftige Fleischbrühe.
Das Huhn wurde über dem Lagerfeuer gegrillt.
Da es hier oben noch zu kalt ist, Tagestemperaturen um Null, wird die Zeit bis zum Aufbruch in die Wälder mit Kartenspielen und Jagen totgeschlagen. Yellowknife ist Hauptstadt der Northwestterritories. Eigentlich ein Städtchen. Für Europäer eigentümlich wirkend, aber typisch für den Norden Kanadas: Eine Mischung aus Goldgräbersiedlung mit Blechhallen und bunten Holzhäusern, bereichert mit Verwaltungsgebäuden und Einkaufcentern, teils durchzogen mit Schotterstraßen. Man spürt noch deutlich den Geist der Pionierzeit.
Viele der nur etwa 20.000 Einwohner sind in Verwaltung und Handel tätig. Auch nahe Bergwerke (Gold, Kupfer) nähren die Leute. Sie sind ausgesprochen nett und hilfsbereit.
Die Ansiedlung verdankt ihren Namen dem gleichlautenden Fluss, an dessen Einmündung in den Great Slave Lake sie liegt. Am Yellowknife River lebten Chipewyans, die von ihren Stammesgenossen die „Gelben Messer“ genannt wurden, weil deren Waffen z.T. aus Kupferlegierung bestanden.
In einem außenliegenden Stadtteil findet man vorwiegend primitiv zusammengenagelte Hütten aus Brettern und Blech. Wegen deren bunter, hübscher Bemalung Rainbow-Valley genannt. Es ist das Indianerviertel. Und mitten drin, an einem Hang, steht eine feudale Holzvilla, wo, und es stimmt in der Tat, traditionsgemäß der Häuptling residiert. Zwischen den Behausungen verschandelt eine Menge Unrat die sonst eigentliche Idylle. Leider kann man auch manch angetrunkenen Indianer beobachten. Obwohl die Natives, grob ein Fünftel der Einwohner, sehr freundlich sind, bewegt man sich in dieser Gegend nicht ganz ohne gemischte Gefühle.
Auch dem Inuit (Eskimo), mit ihren verschmitzten, rundlichbreitbackigen Gesichtern, begegnest du in der Stadt. Sie sollen besonders kontaktfreudig sein. Dem Fremden sei allerdings geraten, das Wort Eskimo nicht zu gebrauchen. Darauf reagieren sie äußerst empfindlich. Dies rührt noch von der Zeit der feindlichen Auseinandersetzungen mit den Indianern her, welche sie so mit Schimpfnamen hießen. Bedeutet so viel wie Rohfleischfresser.
20. Mai
Waren gestern bei der RCMP wegen Waffenpapiere. Müssten mindestens noch eine Woche Geduld haben. Interpol muss erst Auskunft in der BRD einholen, und das kann dauern. Nach kurzer Überlegung stand fest, noch warten bis nächsten Mittwoch und dann geht´s los; mit oder ohne Waffe.
Die Landschaft nördlich des Großen Sklavensees ist herrlich. Eine felsige Gegend, von Moos überzogen, mit kargen Fichten- und Birkenwäldern bewachsen.
Viele kleine Seen, zwischen denen sich Bäche ihren Lauf suchen.
Müssen aus unseren Rucksäcken unbedingt Gewicht zurück lassen. Hauptsächlich Klamotten. Nur die Kleider am Leib, sowie Jogginganzug und Wechselwäsche sind für die nächsten drei Monate geblieben. Dennoch, mit Feldflasche, Angelgerät, Plane, Schlafsack, Isomatte, Schleuder, Kamera, Landkarten, Tagebuch, Tee, Gewürzen, Tabak, Kochgeschirr, Taschenlampe, Seile, Medizin und Verbandsbeutel, Sonnenbrille, Kompass, Regenzeug, Moskitonetz und -Spiralen, wiegt der Rucksack immer noch knapp 20 kg. Fast zu viel, um durch den Busch zu streifen. Aber alles eigentlich unverzichtbare Dinge auf der geplanten dreimonatigen Tour durch die absolute Wildnis.
Haben gestern stundenlang Briefe geschrieben. Wieder sehnt man bei Kartenspiel und Jagd (mit der Schleuder) den Tag des Aufbruchs herbei. Wie gesagt, wenn nicht mit, dann in Gottes Namen auch ohne Gewehr.
21. Mai
Einmal mehr werden genauestens die Landkarten studiert. Der Weg soll uns den Yellowknife River entlang flussaufwärts, Richtung Norden führen. Möchten gerne seinen Ursprung finden und erkunden. Von da soll’s nach Snare Lakes, am Snare River gehen. (Luftlinie 200 km). Diesen Ort hat man als kleine Indianer-Siedlung beschrieben. Etwa 20 Familien vom Stamm der Dogribs sollen dort noch ziemlich natürlich und bescheiden in einfachen Hütten leben. Sie finden ihr Auskommen durch Tauschgeschäfte mit unterschiedlichsten Tierfellen, sowie verschiedensten Erzeugnissen des Indianerhandwerks. Diese Waren sind bei den „Weißen“ wieder vermehrt gefragt.
Die Natives werden obendrein von der Regierung entsprechend unterstützt. Im Dorf leben außerdem ein katholischer Pfarrer und eine Krankenschwester.
Dürfte eigentlich kein allzu großes Problem sein, in einigen Wochen Snare Lakes zu erreichen. Das große Ziel aber ist an sich der Great Bear Lake am Polarkreis. Bis dahin wären es nochmal etwa 300 km. Wohlgemerkt, Luftlinie. Doch, wie gesagt, die Indianer-Siedlung ist zunächst angestrebtes Etappenziel. Je nach Jahreszeit, der erste Schnee kann in diesen Breiten bereits Mitte September fallen, und sonstiger Lage bzw. Umstände, ziehen wir weiter oder überwintern in Snare Lakes. Man wird sehen.
Auf der Karte ist ersichtlich, dass der Yellowknife River äußerst unregelmäßig verläuft. Streckenweise ganz schmal, unzählige Wasserfälle sind eingezeichnet, mit vielen Bögen und Seitenarmen, dann wieder zu kilometerbreiten Seen ausgebildet. Wir werden also ganz schöne Umwege machen müssen. Und immer wieder will man uns warnen, einen derartigen Wahnsinnstrip zu unternehmen.
Ein alter Trapper, er lebt jetzt am Rande der Stadt, den wir vor wenigen Tagen beim Jagen zufällig kennenlernten und ihm von dem Plan erzählten, meinte:
„Jungs, eigentlich kein Problem, ich habe jahrelang da draußen gelebt. Sehr gut sogar. Gebt nur acht auf eure Ausrüstung, seid nicht leichtsinnig, und – fürchtet euch vor dem Winter.“ Dann sagte er noch etwas; etwas ganz Merkwürdiges: „Der Busch da draußen, Guys, ist keine übliche Wald- und Seenlandschaft“ – ist eine Weile nachdenklich, runzelt noch mehr seine alte Stirn, sieht uns aus tiefliegenden, schmalen, hellgrauen Augen an und verabschiedet sich mit leiser, eigenartig klingender Stimme: „Ja, ja, der Busch, entweder du liebst ihn, oder du hasst ihn, es gibt kein Dazwischen!.“
24. Mai
Noch am Abend der letzten Eintragung wurden wir von anderen Campern zu einem Bier eingeladen. Aus dem einen wurde natürlich wieder eine tolle Fete. Eine gute Bekanntschaft bahnte sich an. Diese netten Leutchen boten uns sogar Logis, bis endlich der Waffenerwerbschein in der Tasche ist. Dankend angenommen. Auch die Nachbarn, die Eigentümer ihres gemieteten Hauses, lernten wir bald kennen. Ein älteres Ehepaar. Feine Menschen, freundlich und immer hilfsbereit. Eric stets zu Späßen aufgelegt. Manchmal hat er auf seiner „Saw“ vorgespielt. Dabei streicht er mit einem Bogen über eine Säge, die, zwischen den Beinen eingeklemmt, mit der freien Hand mehr oder weniger gebogen wird. Zauberhafte Töne entlockt er seiner „Teufelsgeige“, wie man dieses Instrument zu Hause in den Alpenländern bezeichnet. Und dazu singt man natürlich. Schöne Stunden!
Und Eva, seine Frau, immer dabei! Die Herzlichkeit in Person. Und sie bäckt so köstliche Heidelbeer-Muffins.
Waren heute früh abermals bei der RCMP. Man sagte, es läge noch keinerlei Nachricht von Interpol vor.
Da wir offensichtlich willkommene Gäste im Hause unserer neuen Bekannten sind, ist nun doch ein Bleiben bis zum kommenden Wochenende geplant.
Sie haben kürzlich begonnen, eine Veranda aus Holz zu bauen. Da alle berufstätig sind, geht es langsam voran. Also anpacken. Wir hoffen, die Veranda wird bis zum Wochenende fertig. So kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Einweihungsfeier der Veranda, zugleich Abschiedsparty. Letzte Fete vor Aufbruch in die Wildnis.