Wütend stand der Krieger auf und zog sein Schwert. „Das wirst du bereuen! Ich lasse dich in den Kerker der Stadt werfen!“ Er wollte Orbin mit der Waffe bedrohen, doch der Hexenmeister wich geschickt aus und brachte den Krieger mit seinen Zauberkünsten erneut zu Fall. Dann stieß er die beiden anderen Krieger um und rannte aus der Herberge heraus.
Die Wachen standen wieder auf und liefen dem Hexenmeister schreiend hinterher. Eine wilde Jagd begann und immer mehr Wachen schlossen sich ihr an. Orbin wusste bald nicht mehr, wohin er sich wenden sollte. In seiner Verzweiflung wollte er schon versuchen, die Stadt zu verlassen, da führte ihn seine Flucht zu einem alten Haus mit einem grünen Moosdach. Die Tür stand offen und da die Wachen hinter ihm her waren, rannte er einfach hinein. Mit einem Krachen fiel die Tür hinter ihm zu und ein schwaches Licht erleuchtete den Raum.
Orbins Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Er sah sich um und suchte nach einem Versteck, doch eine seltsame Stimme sprach aus dem scheinbaren Nichts zu ihm. „Du brauchst dich nicht zu fürchten. Die Elfen, die dich verfolgten, sind weitergelaufen. Bald werden sie merken, dass ihre Jagd vergebens war.“
Orbin sah sich um und erhellte mit seinem Zauberstab den Raum. Eine Lichtgestalt wurde jetzt sichtbar. Sie kam dem Hexer irgendwie bekannt vor, doch seine Erinnerungen waren noch immer sehr lückenhaft.
Leise flüsterte der Hexenmeister der Gestalt zu. „Sag mir, wer du bist. Ich habe dich schon einmal gesehen, aber ich kann mich nicht mehr an dich erinnern.“
Doch die Lichtgestalt sprach nicht weiter. Sie verschwand und eine andere Gestalt kam aus der Dunkelheit hervor. Es war Vinus und er hielt einen kleinen Feuerball zwischen seinen Händen. „Ich nehme mal an, dass du ein schwarzer Hexenmeister bist. Ich habe dich schon am Nachmittag in der Stadt bemerkt und gleich gewusst, dass mit dir etwas nicht stimmt. Deshalb habe ich dir die drei Wachen in die Herberge geschickt. Sie sollten dich gefangen nehmen, doch du bist ihnen entkommen und dann hat die seltsame Seele, die in diesem Haus herumwandert, dich und mich hereingelassen, damit du den Elfen entkommen kannst.“
Orbin sah zu dem Kobold und der Feuerkugel und er versuchte zu leugnen. „Das siehst du völlig falsch, du kleiner Zauberer. Ich bin nur ein Kräutersammler. Die Wachen haben sich geirrt. Lass mich gehen und ich werde die Stadt verlassen. Das verspreche ich dir.“
Die Lichtgestalt kam wieder zum Vorschein und sprach zum Hexenmeister. „Nein, du kannst jetzt nicht gehen. Nach all den Jahren bist du zu mir zurückgekehrt. Du musst mir helfen und mich erlösen.“
Die Seele schwebte jetzt dicht vor Orbins Gesicht und nahm die Gestalt eines Magiers an. Sie nickte Orbin zu und verschwand. Völlig verwirrt starrte der Hexenmeister vor sich hin und der Kobold ließ seinen Feuerball verschwinden. Er merkte immer deutlicher, dass dieser eigenartige Kerl nicht wirklich gefährlich war und er berührte ihn am Arm. „Wer bist du, sag mir deinen Namen.“
Der Hexenmeister schaute Vinus an und irgendetwas in ihm meinte wohl, das er dem Kobold trauen konnte. Seine Stimme klang brüchig, als er antwortete. „Ich bin Orbin, ein Diener des Dämonicon. Wenn ich ihn verrate, so wird mich das Halsband, das ich von ihm bekommen habe, geradewegs zu ihm zurückbringen und er wird mich vernichten. So hat er es mir gesagt.“
Vinus entzündete eine Kerze. „Das glaube ich nicht. Die Macht der Feen herrscht hier in der Stadt und die Aura ihrer Königin würde das niemals zulassen.“
Orbin schüttelte den Kopf. „Nein, du kennst die Macht dieses schwarzen Herrn nicht. Er ist der Sohn eines Dämonenfürsten. Ich habe dir sicher schon zu viel gesagt und ich werde bestimmt gleich verschwinden.“
Mit Angst in den Augen drehte sich der Hexenmeister in jede Richtung. Aber es geschah nichts. Vinus stellte die Kerze auf einen Tisch und zog Orbin zu einem Stuhl. Er wischte den Staub von ihm und bat den Hexer, sich zu setzen. „Jetzt mach schon, ich will mir dein Halsband mal ansehen. Doch du bist verdammt groß. Wenn ich kann, werde ich dich von diesem Ding befreien.“
Orbin setzte sich und ließ den Kobold sein Halsband betrachten. „Na mal sehen, das Leder sieht sehr nach gegerbter Trollhaut aus. Die Zeichen darauf sind mit schwarzer Magie versehen. Doch sie haben tatsächlich keine Wirkung. Es ist so, wie ich es vermutet habe. Die Aura, die über der Stadt liegt, verhindert die Ausführung von schwarzer Magie.“
Mit einem Zauberspruch öffnete Vinus den Verschluss des Halsbandes. Er steckte es in einen Leinenbeutel und knotete diesen zu. Dann belegte er den Beutel mit einem Bannspruch und warf ihn auf den Tisch. Triumphierend sah er zu Orbin. Der war aufgestanden und reckte sich. Er rieb sich den Hals mit beiden Händen und nickte. Dann betrachtete er seinen Zauberstab.
Erstaunt drehte und wendete er ihn hin und her. „Das ist nicht zu fassen. Der Kristall meines Zauberstabs leuchtet hell. Das bedeutet für mich, dass ich die weiße Magie wieder benutzen kann.“
Orbin sah zu Vinus und schaute dann seine Kleidung an. Er trug jetzt die Tracht eines weißen Zauberschülers. Wie kleine Blitze schossen die Erinnerungen in seinen Kopf und er lächelte mit einem Mal Vinus zu. Dann sprach er mit sanfter Stimme. „Noch ist die Macht, die Dämonicon über mich hat, nicht ganz gebrochen. Doch ich bin mir sicher, dass wir das richtige Mittel hier im Haus meines alten Freundes Meerland finden. Er war einst mein Meister. Die Erinnerungen von besseren Tagen kehren zu mir zurück. Ich muss mich nur auf die Dinge konzentrieren, die ich hier finde, dann werde ich bald wissen, wer ich einst war.“
Vinus rieb sich die Hände. „Das ist ja toll. Ich kam in die Stadt, um der Königin einen heiligen Becher zu bringen und du solltest bestimmt im Auftrag des Dämonicon das Auge der Zyklopen stehlen, was ich natürlich verhindern wollte. Doch jetzt bin ich hier in einem alten Haus und suche etwas, von dem ich nicht einmal weiß, was es ist. Und ich suche es mit jemandem, der nicht genau weiß, wer er ist. Also, worauf warten wir? Arbeit ist hier bestimmt genug zu finden und außerdem spüre ich, dass noch etwas in dir ist, was nicht zu dir gehört.“
Orbin zuckte mit den Schultern. Dieser Kobold redete entschieden zu viel. Er nahm die Kerze und ging zu einem Schrank. Den sah er sich genau an. Eine Erinnerung war plötzlich in seinem Kopf. Orbin öffnete den Schrank und machte ihn wieder zu. Dann öffnete er ihn wieder.
Er sah zu Vinus und winkte ihm zu. „Komm her, ich weiß jetzt wieder, wie ich früher in die geheime Schreibstube meines Meisters kommen konnte. Dieser Schrank ist so etwas wie eine Tür für die Stube dahinter.“
Vinus stellte sich nur ungern mit Orbin in den Schrank. Doch der Hexenmeister sagte die Wahrheit. Kaum schloss sich die Schranktür, da verschob sich die Schrankwand und eine völlig verstaubte Schreibstube wurde sichtbar. Auf dem Lesepult eines großen Schreibtisches lag ein dickes Buch von beträchtlicher Größe. Orbin stellte die Kerze in einen Halter neben dem Buch und öffnete es. Im Schein der Kerze war die Schrift gut zu erkennen.
Vinus Neugierde hatte schon längst gesiegt und er hielt es vor Aufregung kaum noch aus. „Was steht in dem Buch geschrieben, Orbin? Kannst du es lesen, oder soll ich es mal versuchen?“
Orbin klopfte dem Kobold auf die Schulter. „Bleib ruhig, ich lese vor und wir werden gemeinsam erfahren, was darin geschrieben steht.“ Er strich die erste Seite glatt und begann. „Dies ist das Buch des weißen Magiers Meerland. In ihm sind die Erlebnisse seiner Wanderungen und die Ausbildung seiner Schüler von ihm selbst aufgeschrieben worden.“
Ein helles Licht unterbrach ihn. Meerlands Seele erschien wieder und sie flüsterte den beiden sogleich etwas zu. „Das ist das richtige Buch. Doch nur die letzten Seiten sind wichtig.“
Orbin blätterte in dem Buch herum und fand eine Zeichnung. Sie stellte die heilige Altartafel und den Becher des Schöpfers dar. Daneben stand etwas geschrieben. Orbin las es vor. „Der heilige Bund mit dem Schöpfer ist zerbrochen. Seine Gaben sind entweiht. Nur wenn der Becher mit der Tafel während des Rituals des Schöpfers vereint wird, kann die Aura neue Kraft gewinnen.“
Orbin blätterte die Seite um und las weiter. „Das Gleichgewicht der Magie ist ins Wanken geraten. Die Hüter der heiligen Gaben wurden für ihren Frevel hart bestraft. Ihre Feinde haben über sie triumphiert. Doch auch ihr Preis war hoch. Nur die Feen und