Der Salon der Suite war ein halber Tanzsaal und im Stil der französischen Ludwige eingerichtet. An der Tafel hätte eine Abordnung des Völkerbundes Platz gehabt.
»Die Baroness ist gleich so weit«, sagte die Zofe, die ihnen geöffnet hatte, und huschte dann in ein angrenzendes Zimmer.
»Das richtige Ambiente für den Geldadel, nicht wahr, Sebastian?«, sagte Aschinger schmunzelnd. »Geht alles auf Kosten des Hauses. Ich muss mir schließlich die Frankfurter gewogen halten.«
Dann rauschte sie herein. In einem rosafarbenen Kleid nach neuestem Pariser Chic, mit ondulierten Haaren und einer Miene, wie man sie bei Königinnen sah, wenn sie ihr Volk empfingen. Hochmütige graue Augen unter geschwungenen, sorgsam nachgezogenen Augenbrauen sahen sie herablassend an.
»Ich freue mich, Herr Aschinger!«, wandte sich Sieglinde von Weinberg an Sebastian und reichte ihm die Hand zum Handkuss. Dieser riss erschrocken die Augen auf und schüttelte den Kopf. Die Baroness lächelte entschuldigend und wandte sich Aschinger zu. »Es tut mir leid, Herr Aschinger. Wir haben uns noch nie gesehen, oder?« Aschinger deutete formvollendet einen Handkuss an. Sebastian konnte sich nicht dazu entschließen, murmelte seinen Namen und schüttelte ihr die Hand. Sie musterte ihn kurz und kam zu dem Entschluss, dass er einstweilen ihrer Beachtung nicht wert war. Sebastian war überzeugt, dass sie die anfängliche Verwechslung inszeniert hatte. Schließlich war er viel zu jung, um ein Fritz Aschinger zu sein.
»Mein Vater hat mir so viel von Ihnen erzählt, Herr Aschinger, und er hat mir ans Herz gelegt, mir von Ihnen unbedingt die Stadt zeigen zu lassen. Außerdem soll ich Sie ganz herzlich von ihm grüßen.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen die Wunder Berlins zu zeigen!«, erwiderte Aschinger mit einer Verbeugung. Er war sichtlich beeindruckt von der hessischen Baroness.
Die Zofe kam mit einem Tablett herein und reichte Champagner.
»Auf einen schönen Abend!«, sagte Aschinger und wiederholte linkisch seine Verbeugung.
Wenn Sebastian auch noch keine Weltläufigkeit eigen war, so merkte er doch, dass sein Chef kräftig Feuer gefangen hatte und sich deswegen ein wenig unbeholfen benahm. Dies war nicht der König von Berlin, sondern nur ein dicklicher, nicht sehr attraktiver Mann, der lediglich von der Weinberg empfangen wurde, weil er reich und – mehr noch – eine der besten Partien Deutschlands war. Ein Goldfisch, der noch nicht angebissen hatte und längst als überfällig galt.
»Auf einen schönen Abend!«, stimmte die Baroness zu und musterte nun Sebastian.
Sie war eine der Frauen, denen man schon in der Kindheit dauernd gesagt hatte, wie unvergleichlich schön sie seien, und die es als selbstverständlich ansahen, dass ihnen die Herzen zuflogen. Sie mochte kaum älter als zwanzig sein und hatte sich die Frische und den Schmelz bewahrt, die auf Jungfräulichkeit schließen ließen. Aber ihre Augen verrieten anderes. Sie war sprunghaft und gab sich einen Augenblick kindlich und im anderen wie eine Gesellschaftslöwin. Nach dem ersten Eindruck war Sebastian von ihr nicht gerade angetan, entschloss sich aber, mit seinem Urteil abzuwarten, da seine Erfahrungen mit Frauen doch sehr begrenzt waren.
»Und wer ist der junge Mann hier, der so ernst dreinblickt?«, fragte die Baroness und trank ihr Glas leer.
»Herr Lorenz ist mein Sekretär. Wenn er Sie stört, schicke ich ihn …« Aschinger brach ab und blickte verlegen zu Sebastian hinüber.
Der bekam einen roten Kopf und wäre am liebsten vor Scham im Erdboden versunken. So hatte ihn Fritz Aschinger noch nie behandelt. Bisher kannte er ihn nur als wohlmeinenden Mentor, der ihn förderte und in alle Geheimnisse seines Konzerns einweihte. Jetzt war er also nur ein Sekretär, ein Niemand, den man wegschicken konnte. Es war demütigend, so behandelt zu werden.
»Aber nein, lassen Sie nur!«, erwiderte die Baroness hell lachend.
»Herr Lorenz ist ein hübscher Kerl, und vielleicht ist er, wenn er den Mund aufbekommt, doch noch ganz amüsant.«
Aschinger warf Sebastian einen ärgerlichen Blick zu und bereute sichtlich, seinen Sekretär mitgenommen zu haben. »Ich dachte, wir gehen in den Wintergarten. Es ist Berlins bestes Varieté, das wird Ihnen gefallen. Dort treten nur internationale Künstler auf.«
»Ich dachte schon, dass Sie mich zu irgendeiner langweiligen Oper ausführen. Den meisten Männern fällt ja doch nichts anderes ein. Ich habe vom Wintergarten gehört. Waren Sie schon einmal dort?«, wandte sie sich an Sebastian.
»Nein«, sagte Sebastian gepresst. Sie sah ihn weiter herausfordernd an, aber er schwieg.
»Er ist noch nicht lange in Berlin«, erklärte Aschinger. »Bevor er bei mir anfing, war er ein Bauernjunge im Neuruppiner Land.« Er lachte, als hätte er einen Witz gemacht.
»Interessant! Und doch haben Sie ihn zu Ihrem Sekretär gemacht. Dann muss er ja bemerkenswert sein.«
»Er macht sich ganz gut«, sagte Aschinger kurz.
»Wie schön für Sie!«, erwiderte die Baroness und ließ sich von ihrer Zofe die Stola geben. »Stürzen wir uns ins Vergnügen!«
Ehe Fritz Aschinger ihr die Tür öffnen konnte, war sie bereits auf dem Flur. Als sie im Mercedes saßen, griff Aschinger hinter sich und reichte ihr ein kleines Päckchen. »Ein Willkommensgruß in Berlin«, sagte er mit belegter Stimme.
Er ist verknallt, dachte Sebastian. Er hatte sich ohnehin gewundert, dass Aschinger noch nicht verheiratet war, und bisher auch nicht bemerkt, dass sein Chef sich für Frauen interessierte. Aber die Weinberg schien es ihm angetan zu haben.
Die Baroness wickelte das Geschenk aus und klappte eine kleine blaue Schatulle auf, in der ein Ring funkelte, der gut so viel wert sein mochte wie der Mercedes, in dem sie fuhren. »Wie aufmerksam!«, sagte die Weinberg. »Ein Diamantring. Wunderschön.« Sie zog die Handschuhe aus, steckte ihn an den Finger und hielt ihnen den Ring vor das Gesicht.
»Er passt sogar! Sie sind ein großzügiger Mensch, Herr Aschinger. Eigentlich kann ich so ein Geschenk nicht annehmen. Aber bei einem so guten Geschäftsfreund meines Vaters darf ich wohl nicht nein sagen …«
Elly Proske, die Leiterin des Sekretariats, hatte Sebastian bereits erzählt, dass Fritz Aschinger als freigiebig galt und fast jeden, dem er sich verpflichtet fühlte oder dem er seine Wertschätzung ausdrücken wollte, mit Geschenken überhäufte. Aber der Wert dieses kostbaren Geschenkes dürfte vor allem mit dem geschäftlichen Hintergrund zu tun haben.
Der Chauffeur hielt vor der Ecke Friedrichstraße, Dorotheenstraße. Sie stiegen aus und nahmen die Baroness in die Mitte, und sie hakte sich bei den beiden Männern ein. Der Portier riss die Tür auf, als er Aschinger sah, und sie gingen an der Kasse mit der Menschenschlange vorbei durch einen langen Flur mit Bildern der Künstler, die hier auftraten. Der Kartenabreißer erstarrte und riss mit einer Verbeugung die zweite Tür auf.
»Bezahlen brauchen Sie in diesem Laden nicht?«, fragte die Baroness.
»Nein, mir gehört der … Laden«, sagte Fritz Aschinger etwas pikiert.
Der Geschäftsführer, durch irgendwelche Signale alarmiert, tauchte auf und schlug, als wäre er über den Besuch höchst erfreut, die Hände zusammen. »Sie hier im Wintergarten, Herr Aschinger? Wie lange habe ich mir das schon gewünscht! Es ist uns eine große Ehre.«
»Sind wir gut besucht?«
»Wir sind bis auf den letzten Platz ausverkauft. Aber natürlich werde ich dafür sorgen, dass Sie den besten Platz gleich an der Bühne bekommen.«
»Aber bitte keinen Platz, wo uns gleich die ganze Mischpoke von Pressefritzen sieht. Sonst sehen wir uns morgen alle in den Berliner Tageszeitungen wieder.«
»Wir haben gleich neben der Bühne eine kleine Grotte, die schwer einzusehen ist, von der man aber einen guten Blick auf die Bühne hat. Wir nennen sie unsere Kaiserloge.«
»Sehr schön. Wie ist das Programm?«
»Exzellent!