Rothe richtete einen bitterbösen Blick auf Nolte.
„Damit ist die Sache geregelt“, sagte Klages gereizt. „Sie arbeiten zurzeit an keinem Fall, Kollege, von daher kann ich Ihr Missbehagen nicht ganz nachvollziehen.“
„Da ist die Güllesache in Mengelrode“, warf Rothe ein.
Klages blätterte in seinen Unterlagen und winkte ab. „Den Fall übernimmt Neureiter, der kennt sich da aus.“
Schweigen.
„Ich habe es Ihnen doch schon erklärt. Sie fühlt sich bedroht“, sah sich Klages nun doch gezwungen, weiter auszuführen. Da seien dieser Exmann, dieser Brief und diese Drohung, den Rest müsse Rothe herausfinden.
„Hat sie das gesagt?“, fragte Rothe.
„Ich habe nicht mit ihr gesprochen“, sagte Klages. „Kollege Rothe, wir wollen doch keinen unangenehmen Medienrummel. In ein paar Tagen beginnt ihre Lesereise und dann ist sie ja auch nicht mehr im Eichsfeld, und Sie haben Ihre Aufgabe erledigt.“
„Lesereise? Medienrummel? Lizzy Green? Bekannte Thriller-Autorin? Mit Verlaub, ich habe noch nie von dieser Frau gehört“, warf Rothe schließlich ungeduldig ein. Er fühlte sich überrumpelt, und wusste nicht, was ihn mehr ärgerte: mit einer geradezu lächerlichen Aufgabe betraut worden zu sein, oder dass jemand ihn offenbar aus dem Ermittlerteam haben wollte.
„Weil sie unter Pseudonym schreibt. Lizzy Green ist Rebecca K. Connolly“, meldete sich Nolte zu Wort. „In Amerika ist sie sehr bekannt.“ Und als ob es sich um einen stummen Machtkampf mit Rothe handelte, setzte sie spitz hinzu: „Ich liebe ihre Bücher und habe sie alle gelesen. Drama am Mondsee, Lauf, wenn du kannst!, Schneesturm über Alaska, Sag nichts!, Stummer Schrei.“
Allmählich dämmerte es Rothe. „Du meinst, es ist die Connolly. Das ist doch der reinste Blödsinn, was sie schreibt. Wenn ich so ermitteln würde wie ihr Kommissar, bekäme ich binnen Minuten den Fall entzogen.“
Nolte lächelte maliziös. Die Tatsache war so offensichtlich und hätte auch in Leuchtbuchstaben nicht deutlicher sein können: Rothe hatte noch nicht einmal einen Fall.
„Wenn du das sagst. Aber wenigstens kennst du ihren Namen, oder?“, stellte Nolte süffisant fest.
„Ja, meine Güte, den Namen Connolly habe ich schon mal gehört.“
Er erinnerte sich, dass der Name irgendwie im Zusammenhang mit einer schlagzeilenkräftigen und millionenschweren Trennung gestanden hatte. Jessi las solche Käseblätter, ihn interessierte so etwas nicht. Jedenfalls war es um einen Schauspieler gegangen. Die Medien waren nicht gerade zimperlich mit ihr umgesprungen. Auf den Fotos hatte ihn die Connolly mit ihren stechenden Augen an eine Krähe erinnert. Das war von der Presse natürlich beabsichtigt gewesen. Für die Medien war sie die Schuldige.
Als Rothe seine Aufmerksamkeit wieder seiner Umgebung zuwandte, erklärte Nolte: „Und du kennst einen Film von ihr: Schneesturm über Alaska.’“
„Ich habe einen Film von Connolly gesehen?“, stieß er ungläubig hervor. Daran müsste er sich doch eigentlich erinnern, außer Simone und er hätten wie Teenager herumgeknutscht, dann natürlich nicht. Er starrte sie an.
Es war offensichtlich: Sie erinnerte sich, und er wurde rot.
„Dann ist die Sache ja geklärt“, stellte Klages fest. „Sie werden der Connolly keinen Millimeter von der Seite weichen. Und ich erwarte absolute Diskretion von Ihnen.“
„Ich werde an ihr kleben wie eine Briefmarke“, knurrte Rothe und warf Nolte einen tödlichen Blick zu.
Nolte zeigte ihm die kalte Schulter und floh schneller als ein Schneesturm über Alaska aus dem Zimmer.
***
„Lizzy, das ist Mist, was du mir gemailt hast.“ Die Agentin in New York, mit der Connolly skypte, war ungehalten. „Du willst deinen Bostoner Kommissar ändern? Er ist eine eingeführte Figur. Der ist nicht romantisch! Deine Leser lieben ihn so, wie er ist: knallhart, ruppig, egoistisch. Lizzy! Jetzt hör doch auf mich! Du machst einen Fehler, wenn du eine Figur änderst. Gerade du solltest doch wissen, dass es keine Romantiker mit Y-Chromosom gibt. Und dein Ex ist wirklich das letzte …“
„Es war nicht alles schlecht“, fühlte Lizzy sich gedrängt zu sagen. Sie befürchtete endlose Tiraden über Peter Green, den Mann, der sie geheiratet und binnen Wochen unglücklich gemacht hatte.
Aber Percy ließ sich nicht davon abbringen. „Das tut mir leid, Liebes, aber du musst doch endlich mal darüber hinwegkommen.“
„Percy, ich bin darüber hinweg.“
„Bist du nicht. Peter ist immer noch in deinem Kopf. Und wenn du ihn nicht bald aus deinem Leben streichst, kann ich auch nicht mehr für die Verkaufszahlen deiner Bücher garantieren.“
„Percy“, versuchte Lizzy den Redeschwall ihrer Agentin zu unterbrechen, was ihr nicht gelang. Percys Worte fegten über sie hinweg, bis Lizzy die Geduld verlor. „Ich möchte doch nur, dass sich mein Kommissar verliebt.“
„NO!“, entgegnete die Agentin. „Er ist ein Mann. Männer verlieben sich nicht. Männer haben Sex. Die kennen so was wie Liebe gar nicht.“
Lizzy wusste, dass Percy sich erst vor kurzem von ihrem Mann getrennt hatte, weil er sie betrogen hatte, und wollte sich in keine Diskussion verwickeln lassen. Doch das „Ach, das ist doch Quatsch!“ rutschte ihr schneller heraus, als sie ihren Mund wieder schließen konnte.
„Ist es nicht, sondern Realität, Süße. Lass ihn so oder mach ihn härter. Wie wäre es mit einem Ritualmord an Kindern?“
„Percy, du kotzt mich an!“, stieß Lizzy genervt aus.
Percy, Persephone McDermott, ihres Zeichens die beste Agentin, mit der die Literaturszene in Amerika momentan aufwarten konnte, hielt zum ersten Mal während dieses Bildschirmtelefonates den Mund.
Lizzy war während des Gespräches sehr wohl aufgefallen, dass sich ihre Agentin von ihr distanzierte. Dass sie nicht mehr hinter ihr stand und Lizzys Ansichten dem Verlag gegenüber verteidigte, sondern umgekehrt versuchte, die Ansichten des Verlages durchzusetzen. Percy war noch nie mit derlei Vorschlägen an sie herangetreten. Im Gegenteil, Lizzy hatte bisher schreiben können, was sie wollte. Es gab nur eine einzige Bedingung: das Buch musste ein Erfolg werden. Und genau der blieb seit einiger Zeit aus.
Lizzy vergewisserte sich, dass die Tür geschlossen war. Sie würde sich in den nächsten Tagen um eine neue Unterkunft bemühen. Natürlich war es nett, dass man ihr Gastfreundschaft gewährte, aber sie empfand schon seit einigen Tagen wieder diese Unruhe. Sie wünschte sich, allein zu sein. Einfach nur sie selbst: traurig und einsam. Die Lesereise würde sie absagen. Sie müsste es nur noch Percy beibringen. Aber dieser Moment war dafür der denkbar schlechteste, und so ließ sie es.
„Einen weiteren Flop kannst du dir nicht erlauben“, unterbrach Percy ihre Gedanken.
„Ich weiß“, sagte Lizzy und stellte sich vor, wie ihre Agentin und ihr Verlag reagieren würden, wenn sie von ihrem Plan erführen. Eine Absage der Lesereise zusätzlich zu den Flops der letzten Jahre würde wahrscheinlich die Kündigung des Vertrages nach sich ziehen.
Wenn doch die Wirtschaftskrise nicht so zugeschlagen hätte! Auch Lizzy war davon nicht verschont geblieben, nur wusste noch niemand davon. Das Haus in Miami Beach hatte sie verkauft. Die Bodyguards entlassen, wie auch alle anderen Angestellten. Das Haus in den Rockies war nach dem Brand eine Ruine, und die Versicherung wollte nicht zahlen. Das andere Haus hatte sich Peter unter den Nagel gerissen. Peter! Sie wollte nicht an ihn denken, und schon dachte sie an ihn. Als Schauspieler ohne Engagement hatte er das Leben an ihrer Seite sehr genossen. Ein Leben wie die sprichwörtliche Made im Speck.
Natürlich hatte sie mit Zähnen und Klauen um ihr Geld gekämpft, als die Trennung absehbar war. Und um ihr Ansehen. Nach nur wenigen Wochen glich ihre Ehe einem Scherbenhaufen. Und dann