Ich weiß nicht, ob er seiner Frau auch Tieraugen macht. Augen kann ich nicht erkennen, von hier aus, und die Frau habe ich noch nie außerhalb der Wohnung gesehen. Ich stelle mir vor, dass sie beide außerhalb der Wohnung ihre Tieraugen machen und sie dann zu Hause ausknipsen, weil sie auch miteinander schlafen und sich dabei nicht weltfern und leer anstarren können. Das geht doch nicht, schließlich machen sie dabei das Licht nicht aus.
Sie schlafen miteinander und haben schlechte Vorhänge, dünne gelbe Stoffbahnen mit kleinen, dunkleren Knötchen darin, die lassen sich in der Mitte nicht zuziehen, so dass ein Spalt bleibt, eine Fleischmitte und daneben zwei Schattenspiele.
Heute geht die Frau allein ins Bett. Vorher tanzen sie aber noch, die Frau legt eine Schallplatte auf und Hanuman schiebt sie durch das Zimmer, dann schiebt sie ihn zurück. Die Köpfe haben sie zusammengesteckt, Hanuman reckt sich, um seinen Unterkiefer der Frau auf die Schulter zu legen, sie drückt ihm dafür das Kinn in den Nacken. Es geht hin und her, ein großes Tier, das nicht weiß, wohin mit sich.
Hanuman küsst seine Frau noch auf die Wange und zieht den Mantel an, winkt noch einmal mit einem der neuen Tücher und steckt es sich in den Kragen, dann setzt er den Hut auf und geht zur Wohnungstür.
Ich bin aber schneller als er, stelle mich auf den Hof und rauche.
Zitsche steht auch da, böse funkelt er die Sterne an. Die Sterne bleiben aber standhaft, wo sie sind.
»Froh’s Fest!«, ranzt Zitsche.
»Jawoll, Herr Zitsche!« Schließlich ist er der Hauswart.
Hanuman kommt auf uns zu und wünscht ein frohes Fest, Augen wie erloschene Kohlenstücke. Zitsche grunzt, ich nicke.
»Kroll geht in’n Puff.«, sage ich, als er vorbei ist, weil Zitsche nicht weiß, dass ich ihn Hanuman nenne.
»An Weihnachten gehört der Mann in die Familie.«
»’woll, Herr Zitsche!«
Zitsche geht zurück in seine Familie, wo er hingehört. Er schwankt und regt sich über Hanuman auf. »Starkes Stück«, mault er, »die Frau allein zu Hause am Heilichabend.«
Zitsche hustet und spuckt aus. Er ist glücklich, weil ich ihm das mit Hanuman erzählt habe.
Manchmal lässt er mir die Miete dann etwas nach.
»… was schämen.« höre ich noch, dann ist Zitsche weg, bollert ein bisschen an der Wohnungstür herum und bekommt sie dann doch auf.
Ich gehe hoch in meine Wohnung und ziehe den Schlafanzug an. Will einschlafen, kann aber nicht, weil ich immer an Hanuman denken muss und an seine Frau. Die große dunkelhaarige Frau vom Affengott. Schöne Frau.
Das Licht geht an bei Hanumans Frau. Sie steht auf, geht durchs Schlafzimmer, durchs Wohnzimmer, hin zur Wohnungstür. Ich kann nichts sehen zuerst, dann doch. Es kommt jemand herein. Zitsche steht im Wohnzimmer. Er hat Schnaps in der Hand, eine ganze Flasche, und versucht ein nettes Gesicht zu machen. Hanumans Frau glaubt ihm das Gesicht aber nicht, sie schaut suchend aus dem Fenster. Er redet auf sie ein, sie sagt aber: Nein. Will keinen Schnaps.
Zitsche redet trotzdem weiter, die Frau schlägt die Hände vors Gesicht.
Hauswart kommt näher, Frau weicht zurück: Wieder Tanz durchs Zimmer, einmal herum, dann schneller in die andere Richtung. Zitsche glaubt sich das Nettsein jetzt selber nicht mehr und haut der Frau eine.
Hanumans Frau geht zu Boden, Zitsche hinterher. Die Brüstung des Fensters ist zu hoch, ich kann sie nicht mehr sehen. Muss was tun. Ich rufe bei Hanuman an, aber es hebt keiner ab. Natürlich nicht. Ich sehe nur die Glatze von Zitsche, schweißbedeckt hinter dem Fensterbrett.
Mond geht auf, Mond geht unter.
Die Frau kann sich losmachen, rappelt sich auf. Dem Zitsche die Flasche über den Kopf, der war betrunken und nicht schnell genug. Die Flasche geht kaputt, blutroter Vollmond. Scherben. Der Hauswart taumelt, stützt sich am Fensterkreuz ab und glotzt in meine Richtung. Er sieht mich, versteht aber nichts mehr. Dann fällt er um.
Licht geht an bei den Nachbarn, weil Hanumans Frau jetzt schreit, dass die Scheiben klirren.
Nachbarn rufen die Polizei, Männer tragen Zitsche weg. Tuch drüber.
Hanuman kommt endlich zurück.
Ich ziehe den Bademantel an und gehe auch rüber. Die Frau weint und zittert.
Alle Nachbarn sind da. Ich sage: »Frohes Fest!«, aber keiner gibt Antwort.
Hanuman sagt dem Polizisten, er wäre spazieren gewesen und zum Friedhof.
»An Weihnachten gehört der Mann in die Familie«, sagt der Polizist.
Michael von Swiontek
Heiligabend beim Abfischer
»Keine Ahnung, wo der
nu herkommt. Sieht nich jut
aus für den, der drinne war.«
Auf dem Wege hierher war mir schon klar, dass unser Besuch nicht die beste Idee gewesen war. Den Spandauer Damm nach Westen, links oben die Lichter vom U-Bahnhof Ruhleben. Einladend wie ein gemütliches Hotel. Eine düstere Unterführung rechts: Klärwerkstraße. Jetzt eine Schlittenfahrt durch jungfräulichen Schnee im Bayrischen Wald, kam mir in den Sinn. Doch das hier?!
Freiheit. Wie kann man eine Straße an der Kläranlage Freiheit nennen. Vielleicht war Befreiung gemeint. Ich hatte mir immer vorgestellt, die Luft nahe einem solchen Betrieb röche ähnlich einer schlecht gelüfteten Toilette. Doch hier roch es nicht nach Bedürfnissen und Befreiungen, großen, kleinen, gemeinsamen; hier hing ein alles durchtränkender, verweslicher Dunst in der Luft. Auf dem roten Backstein-Kubus des Kontrollgebäudes leuchteten einige Kerzen an einer zerrupften Fichte.
Unser Adventsbesuch durchtränkt von der Frohen Botschaft zu Heiligabend am späten Nachmittag im Klärwerk beim Kontrolleur und Abfischer Boglund. Abfischer? Was ist ein Abfischer?
Jedes Jahr vor Weihnachten erschien in der Zeitung der rührselige Artikel mit der Aufforderung, irgendwelche Leute an Heiligabend am Arbeitsplatz zu beschenken, die gerade dann Dienst haben. Ich finds ja blöd, diesen Appell zur temporären Menschenfreundlichkeit, aber Günter fällt so spätestens am dritten Advent in eine humanitäre Infektion, es ist wie eine Art Wintergrippe, man kann darauf warten. Und dann geraten wir auf solche Pfade wie jetzt: Klärwerkstraße!
Mir schwante schon das Kommende, als ich in der Morgenpost die Aufforderung zur tätigen Menschenliebe las.
Hier waren wir nun. Klärwerk Ruhleben. Machen Sie doch mal einen Kurzbesuch bei den treuen Diensthabenden, die Heiligabend an ihrem Arbeitsplatz feiern müssen!
Der Kontrolleur und Abfischer Daniel Boglund. Er saß im Kontrollraum mit Blick auf das weite Areal rechteckiger und runder Betonbecken, die man mehr ahnte als erblicken konnte. Es leuchteten nur wenige Industrielampen.
Jawohl, er hatte mit einem Besuch heute gerechnet, er wusste von dem Artikel in der Morgenpost. Ja klar, selbstverständlich freute er sich, dass er heute Besuch bekam. Günter schaute zu mir rüber, wir waren beide überzeugt, dass Boglund keinen Wert auf unsere Gesellschaft legte.Egal! Voller missionarischer Weihnachtsfreuden-Verbreitung packten wir aus: Leckereien für einen bunten Teller, geschmückter Tannenzweig, rote Kerze, angezündet, in die Hände geklatscht: »Fröhliche Weihnachten!«
Leicht machte er es uns nicht, aber er nickte wenigstens ein grämliches Dankeschön, und wir kamen uns völlig fehl am Platze vor. Welch ein trübseliger Abend! Boglund, mürrisch, in sich zurückgezogen, dem Rentenalter nahe, saß nur so da. Schwarze Schiffermütze, darunter ein finsterer, etwas abwesender Blick. Mich zog es heim zu Lichterglanz und Weihnachtsoratorium. Aber Günter typisch gab nicht so schnell auf. Was wohl ‚Abfischer‘ bedeute, fragte er. Der Beschenkte, plötzlich munterer geworden, sagte: »Kann ich Ihnen zeigen. Kommse mal mit!«