Bereits auf diesem Schulweg konnten also die Schüler ihre technischen und sportlichen Interessen wahrnehmen, wenn möglich auch unter Beweis stellen.
Doch der Weg bot noch weitaus mehr Abenteuer.
Kein Anglerlatein
Eine kurze Wegstrecke floss ein Graben nebenher. Er plätscherte ruhig unter Gestrüpp und wurde kaum beachtet. Dieser Graben floss weit in die Werrawiesen bis er schließlich im Erlensee, heute versumpft, mündete. Er war der Anziehungspunkt für junge Angler. So auch für zwei Bengel, die auf dem Heimweg waren. Sie verließen den Schulweg und pirschten an diesem Graben entlang, bis weit in die Wiesen. Es war ein heißer, trockener Sommertag. Mit einer Schnur, die damals jeder Junge in der Hosentasche hatte, und einem Stock versuchten sie nahe am Erlensee Fische zu angeln. Fachgerecht wurde dieses Provisorium ausgelegt und nun warteten beide. Warteten und warteten! Kein Fisch biss an! Für Profiangler ist warten kein Problem, aber für diese beiden wurde es langweilig. Also auf, zur weiteren Exkursion rund um den Erlensee. Eine tiefgrüne, üppige, undurchdringliche Pflanzenwelt umrahmte das kleine Gewässer und lockte zum langsamen Weitergehen. Die Neugier war so groß, dass sie den immer weicher werdenden, schwankenden Wiesenboden nicht beachteten. Plötzlich stand der Freund bis zu den Hüften im Sumpf, sank langsam tiefer, bis unter die Arme. Beide allein auf weiter Flur. Mühselig zog und zog der andere den langsam Versinkenden. Angst verlieh ihm Riesenkräfte und Schweißtropfen liefen, denn die Sonne brannte unbarmherzig. Mit ungeheurer Kraftanstrengung gelang es ihm, den nicht gerade Leichtgewichtigen aus dem Sumpf herauszuziehen. Ermattet und kraftlos lagen sie auf dem festen Wiesengrund. Angel und Fische waren vergessen. Die Mittagssonne trocknete beide. Aber sie trocknete so kräftig, dass die Schlammschicht zu einer festen Kruste wurde. So mussten sie durchs Dorf. Der eine verdreckt und der andere bis unter die Arme schlammverkrustet. Zu Hause wurde der Schlammige in der Zinkwanne eingeweicht, in der Wanne mühselig ausgezogen. Erst nach dem Abspritzen mit dem Schlauch war die natürliche Hautfarbe wieder zu erkennen. Mit dem Wasser aus der Wanne konnte der Garten gewässert und gedüngt werden.
Kein langweiliger Schulweg, denn Forscher und Naturinteressierte kamen ebenfalls auf ihre Kosten.
Nach Verlassen des Ortes und Überqueren der Straße lag der letzte Teil des Weges vor den Schülern. Rechts lockte eine große Obstplantage den Vitaminbedarf zu befriedigen. Zur Erntezeit waren die Bäume am Wegrand in Kinderarmhöhe wie leergefegt. Hier wurde sich bedient, hier gab es Obst gratis. Die Besitzer ertrugen es mit Nachsicht und Humor.
Links breiteten sich Wiesen aus, durch die sich ein kleiner Bach, die Pfitz, schlängelte. Ein Wiesenbach mit großen und kleinen Steinen, der einmal flach, tief, schmal oder breit war. Hier gab es viele Möglichkeiten von wagehalsigen Mutproben oder Spiele im Bach, die sich von der 1. bis zur 6. Klasse steigerten. Durchwaten, überspringen oder von Stein zu Stein hüpfen, kleine Wehre bauen, sich auf der Wiese austoben. Besonders beliebt waren die im Unterricht heimlich aus Papier gefalteten Schiffchen, die dann in dem kleinen Bach mit einem Stöckchen Richtung Heimat gelenkt wurden. Bei diesem Manöver musste man allerdings von Stein zu Stein hüpfen. Nasse Hosen im Sommer oder steifgefrorene im Winter waren alltäglich. Aber das Meistern derartiger Situationen ergaben keine Probleme. In der Schule angekommen, wurden die nassen Schuhe ausgezogen und an den Ofen gestellt, die Strümpfe über die Blechwand gehängt, mitgebrachte Socken angezogen und der Unterricht konnte beginnen.
Da die fünfte und sechste Klasse von Fachlehrern unterrichtet wurde, mussten sie also ebenfalls diesen Weg gehen und so geschah es, dass durch den Wechsel der Lehrer die beiden Klassen manchmal in der Pause allein waren. Undenkbar? Nein! Eine Schülerin jetzt Großmutter, erinnert sich: „Wir haben gar keinen Lehrer zur Aufsicht gebraucht. Die Jungen spielten Fußball und wir Mädchen hatten Sprungseile, Bälle oder spielten Gummizwist. Beim Schippern oder Hüpfkästchen waren alle dabei. Diese Spiele gehören heute der Vergangenheit an und nur noch wir Großeltern wissen, was diese für Spaß bereiteten. Wenn dann der Lehrer kam und es geklingelt wurde, gingen wir ruhig in unsere Klassen.“ Das wäre heute undenkbar.
Eine kleine Episode, an die ich mich heute noch schmunzelnd erinnere, erlebte ich am ersten Schultag nach den großen Ferien mit einem Kleinen der 1. Klasse. Ich erkundigte mich, ob ihm der erste Schultag gefallen habe. Das Ergebnis habe ich immer noch vor Augen. Ein kleiner Kerl mit einem großen Schulranzen auf dem Rücken, blonden Löckchen und einer Brille. Mit groß aufgerissenen Augen streckte er mir die Zunge heraus. Ich musste hell auflachen. Als er in der 10. Klasse war, erzählte ich ihm diese Begebenheit und die empörte Antwort: „Ich habe ihnen doch nie die Zunge herausgestreckt.“
Diese beschauliche Zeit und somit auch der Schulweg gehörten der Vergangenheit an, als 1976 eine neue Schule gebaut wurde, in der dann die Klassen 1 bis 10 unterrichtet werden konnten.
Neue Schule – neuer Schulweg
Durch das Entstehen eines Neubaugebietes war eine neue Schule notwendig geworden und diese wurde nach einjähriger Bauzeit am 1.9.1976 übergeben. Noch am letzten Ferientag erfolgte ein Großeinsatz von Eltern, Lehrern und Kollegen des Schulamtes, um die Reste der Bauarbeiten zu beseitigen, die Fußböden zu reinigen und die Fenster zu putzen. Provisorisch pflasterte eine Baufirma einen kleinen Teil des Schulhofes.
Der erste Schultag konnte beginnen und dieser mit einem Appell. Die Schülerzahl von 200 auf rund 1000 ergaben neue Situationen und neue Probleme.
Gedanken einer Schülerin der 6. Klasse zum Eröffnungsappell: „Der Bürgermeister sprach über den Wert der Schule. Als ich hörte, wie viel dieses Gebäude gekostet hatte, war ich mächtig erstaunt.
Diese Schule kostete drei Millionen Mark. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und wollte es nicht glauben. Was wird wohl in dieser modernen Schule anders sein als in unserer alten?“
Das sollte sie bald erfahren.
Eine Schule – kribbelbunt. Flure und Klassen waren verschiedenfarbig tapeziert. Unbeschreibliche Tapeten im gesamten Schulgebäude. Futuristische Phantasiemuster in futuristischen Farben und dazu entsprechende Gardinen Der Innenarchitekt musste wohl von einem anderen Stern gekommen sein. Aber das war noch nicht alles. Es war eine Glasfasertapete. Wenn die Schüler mit ihr in Berührung kamen oder sich an die Wand lehnten, begann das große Jucken. Es dürfte wohl jedem klar sein, dass es in den ersten Schulwochen auch dadurch eine kribblige und unruhige Atmosphäre war.
Aber das war damals noch das kleinste Problem. Ein weit größeres waren die letzten Meter des Schulweges.
Die Schule war auf Ackerland gebaut, aber der Schulhof war noch nicht begehbar, also noch Ackerland. Dieses war von schweren Baufahrzeugen tief durchwühlt und total schlammig.
Die neue Schule war eine Insel im Schlamm. Durch diesen mussten sich nun alle durchkämpfen. Dementsprechend sahen Gänge und Klassen nach wenigen Minuten aus. Für die Schüler kein Problem, für die Reinigungskräfte Schwerstarbeit. Da die Schule sowieso verschlammt war, kam es auf mehr oder weniger nicht mehr an. Also, rein in den Schlamm.
Wer bringt den meisten Dreck in die Schule? Wer kommt am schnellsten durch? Wer kann am besten waten?
Stundenlange Beratungen der Lehrer brachten keine Erfolge.
Dann kam die erste Idee: Große Steine sollten den Weg markieren. So geschah es auch. Ein neuer Spaß und Schüler sind erfinderisch. Die Steine wurden als Sprunginseln benutzt. Von Stein zu Stein springen oder von Stein zu Stein springen und schubsen. Wer hält die Balance? Beliebt war auch daneben springen. Das war doch mal ein interessanter Schulweg: Vergnügen und Gaudi, jedoch für das Schulpersonal ein Problem.
Wieder und immer wieder Beratungen, aber es änderte sich nichts.
Dann kam die zweite Idee: Bretter auf die Steine, also einen Steg anlegen. Das brachte neues Vergnügen. Es änderte sich aber nichts. Wer den Steg nicht