E-Mail an Georg Friedrich Händel. Sabine Rydz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabine Rydz
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783960081241
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und Genialität gibt es kein Verfallsdatum oder Paradigmenwechsel, liegt das nun an der Schönheit oder an Genialität?

      Keine Ahnung, wahrscheinlich aber an der Schönheit, denn sie ist heute die höchste Göttergabe, nicht nur bei jeder Art von Promis und Kamera-Künstlern.

      Aber Georg Friedrich, du brauchtest weder eine Rating-Agentur noch einen Manager, denn du besaßt ja jede Menge Verstand, weil du das, was du über die Sinne erfahren hast auch mit deinem Verstand begreifen konntest, du hattest eben ein emotionales Raster im Langzeitgedächtnis.

      Du konntest also je nach Sachlage ein passendes Selbstbild von dir abrufen, du warst also ein so genannter Neurodidaktiker und außerdem besaßt du schon damals in der Barock-Zeit die ultimative Hollywood-Silhouette, ja da staunst mein lieber Georg Friedrich, was die moderne Psychologie so alles von uns Menschen herausgefunden hat, vor allem außerordentliche Talente, Hochbegabungen wie bei dir.

      Jetzt will ich aber mit dem kategorischen Imperativ á la Kant sagen, dass du, unser Georg Friedrich tele- und natürlich auch fotogen bis in die Haarspitzen warst, die modernen Kameras würden dich heute lieben und pausenlos umgarnen. Du konntest dich eben schon als Teenager glamourös selbst inszenieren, das hat dir keiner nachgemacht in all den Jahrhunderten, du warst unbestritten der Favorit an den Königshöfen, dein Schick und Charme frappierte Damen wie Herren des Adels gleichermaßen, da sind unsere heutigen Stars und Mimoplastiker billige Amateure in ihrem taktischen Bemühen, geradezu guerillamäßig versuchen sie sich in die Bresche in Feindesland zu schlagen, um immer wieder auf sich aufmerksam zu machen, und wenn sie als echte Proleten mit der Tür ins Haus stürzen, möchte man ihnen mitleidig zu rufen: „Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei …“

      Aber unser Georg Friedrich war richtig Weltniveau, ein wahrer Gentleman, ein Kulturereignis an sich, heute wäre er der Hype und ein absoluter Exportschlager, wie in der ehemaligen DDR solche künstlerischen Ausnahmeleistungen schlagkräftig tituliert wurden bei kulturrevolutionären Auseinandersetzungen im Politbüro, da können auch die beliebten und wohlschmeckenden Halloren-Kugeln nicht ganz mithalten, obwohl sie zur gleichen Zeit in Halle an der Saale kreiert wurden wie unser Wunderkind Georg Friedrich Händel.

      Aber was dich wirklich einzigartig machte, du avanciertest bereits in jungen Jahren in Halle zu einer urbanen bürgerlichen Musik-Größe, mit Festanstellung und nicht nur Zeitvertrag, meine Herren Arbeitgebet, Qualität rentiert sich immer, nicht nur in der Konjunktur-Phase, das wusste Karl Marx bereits schon vor 200 Jahren.

      Er kam eben in London auch auf ganz revolutionäre Gedanken, das muss an der Stadt liegen, dass die Leute da alle so kreativ werden? Oder?

      Aber du Georg Friedrich warst ja bereits oh Wunder schon höchst kreativ mit 17 Jahren. Als Organist warst du ja bereits im Teenager-Alter an der hiesigen Domkirche in Halle an der Saale engagiert, ja der Gute hat auch bescheiden angefangen, aber später konnte er leger in der musikalischen Champions League mitspielen, und einzigartige hypnotische Signale aus der Orgel herausholen, da gab es kein Entrinnen, da sind die weiblichen Fans fast zu Täterinnen und auch gleichzeitig zu Opfern geworden, ja so aufregend war Halle an der Saale in der Barock-Zeit, da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich, wie man in der Ex-DDR in solchen Situationen immer süffisant bemerkte.

      Ja, wenn ich heute Georg Friedrichs majestätische Musik höre, empfinde ich sie wie eine persönliche Botschaft, so quasi die heimliche Offenbarung des Maestros an eine Hallenserin, so aus alter Verbundenheit versteht sich, das bringt mich fast um den Verstand, aber vor allem aus meinem labilen Gleichgewicht, denn seine Werke haben es mir emotional schwer angetan, es geht mir fast so wie der berühmten Schriftstellerin Donna Leon, nur das ich nicht für jedes Konzert halb ohnmächtig und auf stolzen Beinen nach New York düsen kann, aber dafür bin ich auch in Halle wie der Maestro geboren, Signora Leon, verstehen sie, ich habe den gleichen Lebensrhythmus wie Georg Friedrich, und auch diese erfrischende Subversivität von Revolutionären und Dissidenten, aber es ist schon beachtlich, dass zwei Frauen gleichzeitig von Venedig und von dir Georg Friedrich schwärmen, wir sind richtig seelenverwandt. Vielleicht sollten wir mal gemeinsam etwas über Georg Friedrich schreiben, Signore Leon?

      Wenn ich als Hallenserin Georg Friedrichs Musik höre, dann fühle ich, als würde sich ein Stromschlag durch meinen Körper bohren, eben wie Paris am 14. Juli oder Berlin am 9. November, dieses revolutionäre Gefühl das in einem Frontstadt-Bewohner nie verglühen wird, und während seiner Konzerte beginnen meine Nerven urplötzlich zu flattern, der Pulsschlag erhöht sich rasant schnell, Herz und Seele fliegen hoch hinaus, und an diesen musikalischen Abenden habe ich das untrügliche Gefühl, dass das Tollhaus des Lebens nicht nur Stress und Nervenkitzel bedeutet, sondern auch ergreifende Glückseligkeit, ob das Signora Donna Leon auch so empfindet, das würde mich jetzt wirklich mal interessieren?

      Ja, aber wie soll ich dieses coole Lebensgefühl beschreiben, irgendwie bizarr, aber der Konzertmeister meines Lebens hat mich eben in der gleichen Stadt wie der geniale Hofkomponist: Georg Friedrich Händel in Halle an der Saale zur Welt kommen lassen. Aber natürlich nicht zur gleichen Zeit und Stunde, versteht sich, sondern fast 300 Jahre später, aber die ganze Sache mutet doch wie eine kosmische Vision an oder eine schicksalhafte Fügung auf hohem Niveau, die mir noch atemberaubende Herausforderungen bescheren wird, bzw. schon hat, denn an Dramatik in meinem Leben kann ich mich auch nicht beschweren, da stehe ich dem verehrten Maestro in keiner Weise nach, das wollen wir mal festhalten, denn eigentlich waren Georg Friedrich und ich ja auch Nachbarskinder, er war meine Buddelkasten-Liebe, unsere Eltern waren befreundet, im Sommer wurde immer im Garten zusammen gegrillt wie das so in der Bürgerlichen Mitte üblich war und jetzt wieder ist, stundenlang wurden scherzhafte mitternächtliche Reden auf Geburtstags-Partys gehalten, König Alkohol floss nur so in Strömen in Halle an der Saale zu allen Zeiten, vor allem natürlich in der ehemaligen DDR, weil es ja die einzige Droge war, die wir frei konsumieren durften, quasi der Soundtrack eines Terrorstaates …

      Ja mein lieber Georg Friedrich mit der ehemaligen DDR ist dir und deiner Familie der blanke Psycho-Terror erspart geblieben, dass kannst du mir wirklich glauben, deine Musik hätten die Machthaber möglicherweise jahrelang verboten, musikalische Schweigepflicht und politische Prozesse hätten auf dich gewartet oder vielleicht ein Arbeitslager im Kohlebergbau wären auch möglich gewesen, und verdrängte Traumata hätten dich immer wieder eingeholt, aber davon vielleicht später mehr. Nein lieber nicht, das deprimiert so!!!

      Ja, so oder so ähnlich hat sich das bei uns früher in Halle abgespielt, aber eben vielleicht doch nicht mit der Familie Dr. Georg Händel, aber ich kann mich einfach an die Namen und Details in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht mehr erinnern.

      Leider haben nach der Wende diese Stasi-Spitzel auch immer so primitiv argumentiert, dass sie sich an nichts erinnern können, ja das ist eben eine traurige Geschichte, die mich einfach nicht loslässt, die uns auch nicht loslassen darf.

      Wir dürfen diesbezüglich im Umgang mit unserer DDR-Geschichte nicht Alzheimer bekommen, niemals, verstehst du? Nein, das kannst du nicht verstehen, wer das nicht erlebt hat, kann es nicht nachvollziehen, es existiert leider kein griechischtragisches Wort dafür?

      Aber ich schwöre, dass unsere Geburtshäuser in Halle an der Saale nur wenige Straßen voneinander entfernt liegen, und irgendwo sind wir uns natürlich auch begegnet oder eben an einander vorbei gelaufen. Du könntest ja heute unter uns leben, aber wir würden dich ja gar nicht erkennen, ist ja auch kein Wunder, bei dem Verkehr, bei der Hektik und gefühlsmäßigen Kälte, die jetzt auch nach der Wende in Halle herrscht, ja mein Lieber, da würdest du dich wundern, anders als zu DDR-Zeiten und erst recht zu deiner geliebten Barockzeit, aber Long time Ego.

      Komm doch mal aus dem Olymp zurück nach Halle an der Saale, wir würden uns alle sehr freuen mein Lieber, dein Geburtshaus würdest du nicht wieder erkennen – es ist so wunderschön geworden, ein Kleinod der Architektur, wie ein Lampion der in der Nacht leuchtet und von deiner Genialität kündet.

      Jeder Besucher kann sich mit Intensität in euer damaliges Leben hineinversetzen, ein Zustand, der den ganzen Tag anhält, und auch keine Sekunde schwindet, das kannst du mir wirklich glauben, mein Lieber. Wenn ich entspannt durch euer tolles Wohnhaus gehe, überwuchert mich eine Fülle von glücklichen Empfindungen, Hoffnungen, so dass ich mich intensiv in deine Musik