Ein leichtes Knirschen von Kieseln und leise gesetzten Sohlen, dann die Bewegung von Lederzeug und das Aufklappen von Satteltaschen weckten mich. Vermutete ich zunächst, dass Morrison sich etwas leise aus seiner Tasche nahm, so wurde ich eines besseren belehrt, als ich seinen typischen Tabakgeruch sehr deutlich riechen konnte. Es musste meine Tasche sein, an der er sich zu schaffen machte. Ich war entsetzt! Ich stellte mich schlafend, deutete aber durch ein paar kürzere Atemzüge und eine Drehung an, dass ich wacher geworden war. Tatsächlich erklangen kurz erneut Geräusche bei meiner Tasche, dann entfernten sich Schritte.
Ein Schuss. Ich hörte den Aufschrei eines Mannes und sprang auf, meine kleine Pistole gezückt. Eine Gestalt taumelte auf mich zu, wurde von einem weiteren Schuss zurückgeschlagen und sank mit einem Krächzen zu Boden. Phillip, der mittlere der Jameston-Brüder lag ausgestreckt auf dem Boden, eine große Wunden in seinem Brustkorb. Er starrte ungläubig auf den Kranich in seinen Händen und dann auf das Blut. »Noch zwei», kommentierte mein Beschützer knapp und wand dem Sterbenden das Räuchergefäß aus der Hand. Er wischte es mit seinem Taschentuch sauber. »Dieser vermaledeite Kranich!», entfuhr es mir. »Langsam glaube ich doch, dass der Fluch auf ihm liegt.« Morrision hob seinen Kopf ein wenig und musterte mich, während er mir den nun sauberen Vogel unbeirrt zurückgab. Ich schluckte. Philip war gar kein so übler Bursche gewesen. Er wusste sich gut zu kleiden, wusch sich regelmäßig und für gewöhnlich benahm er sich respektvoll mir und meinen Mädchen gegenüber.
Ich unterbrach meine Gedanken und betrachtete die Statue in meiner Hand mit einer gewissen Skepsis. Könnte es möglich sein? War sie die Ursache für all das? Ich verpackte sie mit einem mulmigen Gefühl. Es musste ja einen Grund für die Unfälle in der Mine und die ganzen Toten der letzten Tage gegeben haben. »Wenn bereits mit Sicherheit zwei der Brüder tot sind, einer vielleicht verletzt, dann frage ich mich», sinnierte ich laut, »wo die anderen Mitglieder dieser Verbrecherbande wohl sind. Hoffentlich nicht bei Ellen.« Morrison berührte mich vorsichtig an der Schulter, dann zog er mich in eine Umarmung. Erst jetzt bemerkte ich das Zittern meines Körpers. Langsam sickerte durch meine verwirrten Gedankengänge hindurch, was ich gerade erlebt hatte. Wir setzten uns ans Feuer und wie in der ersten Nacht bettete er meinen Kopf auf seine Beine, bis ich einschlief.
Ellen erwartete uns unversehrt am vereinbarten Treffpunkt. Scheinbar waren die Jamestons nicht auf unsere Finte hereingefallen, sondern hatten uns bereits dort verfolgt. Vielleicht waren die zwei verbliebenen nach Hause zurückgekehrt. Ellen zuckte über diese Mutmaßungen nur die Schultern. Als Morrison abends noch eine weite Runde um unser Lager drehte, damit wir nicht noch einmal überrascht wurden, fragte sie mich: »Liebes, woher kennst Du deinen Mister Morrison eigentlich? Er macht einen wirklich anständigen Eindruck.«
»George und ich … Ach, das ist eine lange Geschichte. Er gehört nicht unbedingt zu den Männern, die den Sheriff als guten Freund bezeichnen würden. Der ein oder andere Diebstahl hat ihn wohl schon des Öfteren in das Jail gebracht. Eines Nachts, er war Kunde bei mir, gab es einen Überfall auf die hiesige Bank. Man vermutete Morrison dahinter und drohte ihn aufzuknüpfen. Vielleicht war ich damals ein bisschen in ihn verliebt. Und obwohl ich mir nicht sicher war … Ich war damals in seinem Arm eingeschlafen und ich habe einen tiefen Schlaf … Ich sagte also zu seinen Gunsten aus. Und in so einer kleinen Stadt hat mein Leumund einiges an Gewicht. Er kam unbescholten aus der Sache davon.«
»Du weißt also nicht mit Sicherheit, dass er es nicht war?», fasste Ellen die Tatsachen kühl zusammen. »Das ist wahr, wissen tue ich es nicht. Aber ich habe ein gutes Gefühl für Menschen.« Ellen nickte knapp und damit war die Angelegenheit für sie erledigt. Ich jedoch hatte diesen Kloß im Hals. Ich hatte bisher die Tatsache verdrängt, dass der Mann, in dessen Schutz ich mich begeben hatte, vermutlich nicht minder skrupellos war, als die Jameston-Brüder.
Wir ritten weitere ungestörte Tage ostwärts durch die Prärie, bis wir schließlich die auf der Karte verzeichnete alte Mine erreichten. Sie war schon seit mehreren Jahren verlassen. Nur noch Überreste von provisorischen Gebäuden waren zu erahnen. Es schien, als sei dieser Claim recht rasch wieder aufgegeben worden. Wir banden die Pferde etwas verborgen in der Nähe des Eingangs an. Ellen hatte an alles gedacht. Sie holte eine kleine Laterne aus ihrer Satteltasche und entzündete sie, während Morrison die Bretter vom Eingang entfernte.
Wir hatten uns noch im Tageslicht die Karte von Mister Colten genau eingeprägt. Die Gänge waren tief und krumm. Ich fürchtete jeden Moment, dass die morschen Stützbalken unter dem Gewicht der Erde einstürzen würden. Der Untergrund verschluckte unsere Schritte, doch unsere Stimmen wurden dafür seltsam weit getragen. Ich griff nach meiner Pistole und hielt sie fest umklammert; als ob sie mir etwas nützen konnte, wenn ich hier unten verschüttet wurde. So manches Mal spielte der Wind uns einen Streich, indem er unsere eigenen Geräusche dergestalt umhertrug, dass wir – vornehmlich ich – uns davor fürchteten. Wir irrten wohl gut eine Stunde durch die Gänge, ohne eine Ahnung wo die Karte anfing. Endlich kamen wir an eine Stelle, die dem aufgezeichneten Weg ansatzweise glich. Ellen leuchte die Wand ab und ich schrie, als der Lichtkegel der Laterne auf einen blanken Schädel fiel. Halb unter Geröll zerdrückt, lag dort ein Skelett. Ich kann mich an keinen grausameren Anblick erinnern. Nicht einmal der plötzliche Tod des lieben Mister Colten hatte mich derart erschreckt, wie diese unglückselige Gestalt, die – wenn ich die Position des Skelettes richtig deuten konnte – versucht hatte, der Gewalt des Berges zu entkommen, nachdem sie zur Hälfte darunter zerquetscht worden war. Sollte es tatsächlich einen Fluch geben, diese arme Seele hatte er getroffen.
Morrison war es schließlich, der unsere entsetzte Starre durchbrach und sich zu dem Skelett hinabkniete. Er fasste beherzt unter den Torso und holte ein Bündel hervor. Motten flogen daraus auf uns zu; es staubte. Ellen trat näher heran und beleuchtete den Fund. Es glänzte silbrig.
Im Halbdunkeln der Laterne erkannte ich, dass es sich um eine Art Truhe handelte; drei löwenartige Kreaturen waren darum angeordnet. ›Shishis‹, erläuterte Ellen: »Wächter, in der Mythologie. Mir scheint, dies ist auch ein Räuchergefäß.« Morrison versuchte vorsichtig, es zu öffnen, doch der Rand war mit Wachs verklebt, sodass wir entschieden, es draußen im Tageslicht zu versuchen, um nichts zu zerstören. Wir bedeckten den Toten mit weiteren Steinen und improvisierten aus ein paar Holzstücken ein Kreuz, damit er wenigstens hier seine Ruhe fand. Ich sprach ein Gebet für die arme Seele. Das mindeste und einzige, was wir als Christen für ihn hier tun konnten.
Ich holte tief Luft, als wir endlich wieder ans Tageslicht kamen. Die Sonne wärmte meine Haut, es roch frisch und lebendig. Ich blinzelte erleichtert gen Himmel, als ich das Klicken eines durchladenden Revolvers hörte und erstarrte. Kyle, jüngster Spross der Jamestons, und sein Bruder Luke standen nicht weit von unseren Pferden und grinsten hämisch. »Schön die Hände hoch, Ladys. Auch Du, George, keine falsche Bewegung, sonst blas ich der hübschen Miss ein Loch in den Schädel. Wirf deine Revolver her zu mir.« Mit wenigen Schritten war Luke bei mir und packte mich, während Morrison seine Smith&Wessons zu den beiden Gangstern schob. »Also, was habt ihr gefunden?« Ich sah aus dem Augenwinkel, dass sie unsere Satteltaschen geöffnet und durchwühlt hatten. Sie hatten den Kranich bereits.
»Also?« Um seine Drohung zu verdeutlichen, drückte er mir ein Messer an den Hals. Morrison spuckte aus und holte dann, keinen der Brüder aus den Augen lassend, den Schatz hervor. »Du da, Miss. Bring es her», fuhr Kyle Ellen an. Die runzelte die Stirn, brachte ihm aber, wie geheißen, die Schatulle. Er packte das Rauchgefäß mit seiner Hand und drehte es im Licht: »Silber. Dann hat sich unsere Reise doch gelohnt!« Er versuchte, es mit einer Hand zu öffnen, während er mit der anderen noch immer Morrison in Schach hielt. Ich konnte sehen, wie er mit sich rang, das Kästchen sogleich aufzubrechen. Da dies nicht gelang, fesselten sie uns an einen der Bäume und wir mussten hilflos mit ansehen, wie sie die Kiste grob mit einem Messer bearbeiteten, um das Wachs herauszubrechen. Kyle packte schließlich den Deckel und zog ihn auf. Der Schatz gab ein seltsames Geräusch von sich, wie von einer Sprungfeder, und Kyle Jameston ließ das Gefäß fallen. Er hielt sich schreiend das Gesicht. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Ellen, die die ganze Zeit schon an unserer Fessel herumgeknotet hatte, streifte sie ab. Morrison sprang sogleich auf und stürzte sich mit blanken Fäusten auf Luke. Ellen hechtete zu den abgelegten