In gewisser Hinsicht ist Daewoo sein Werk. Dank seiner politischen Freundschaften in Lothringen konnte er den Verbindungsmann zu den Koreanern spielen, er hat die Bedingungen für die Ansiedlung des Unternehmens ausgehandelt und dafür gesorgt, dass die europäischen und französischen Subventionen in Strömen fließen. Auch das alles ehrenamtlich. Im Interesse der Region und ganz Frankreichs. Die Idee, Daewoo und Matra für die Thomson-Übernahme zusammenzubringen, wurde zwei Jahre zuvor bei einem geselligen Abendessen geboren, bei dem er den Präsidenten des lothringischen Regionalrats zu Gast hatte. Heute ist er fast am Ziel. Und er weiß, dass er in dem neuen Unternehmensgefüge, das Daewoo und Thomson Multimédia vereinen soll – ein Weltkonzern –, als HR-Berater tätig sein und Einfluss haben wird. Der krönende Abschluss seiner Karriere. Ganz zu schweigen davon, was finanziell für ihn abfällt.
Dank der freundschaftlichen Kontakte, die er sich auf allen Hierarchieebenen aufgebaut hat, ist er immer auf dem Laufenden über das, was sich bei Daewoo tut. An diesem Morgen ist Maréchal gegen zehn Uhr in sein Büro in Pondange gekommen und hat ihm von der Lage im Betrieb berichtet. Bedenklich. Wieder ein Unfall, ein schwerer. Und die Entlassung einer guten und obendrein sehr beliebten Arbeiterin, eine unnötige Provokation seitens dieses Hornochsen von HR-Manager. Während des Gesprächs ein Anruf aus der Fabrik: In der Werkhalle war ein Streik ausgebrochen. Was habe ich dir gesagt? Doch Maréchal war nicht sonderlich beunruhigt: Das ist ein lokal begrenzter Streik, spontan, keiner von denen hat Organisationstalent, du weißt doch, wie diese jungen Wichser sind, morgen nehme ich die Sache wieder in die Hand, aber das hätte man sich wirklich sparen können.
Quignard aber hat die Wut gepackt. Er hat den Direktor einbestellt, um Klartext mit ihm zu reden. Der verspätet sich. Das macht es nicht besser. Quignard ist bei seinem dritten Pastis.
Park, der koreanische Direktor, erscheint, ein Lächeln im runden glatten Gesicht, kreisrunde Schildpattbrille, immer sieht er ein wenig verblüfft aus. Quignard drückt aufs Tempo und lässt sofort die Vorspeisen servieren, eine Auswahl Wurst und Schinken und ein guter Burgunder. Kaum sind sie allein, geht er barsch und voller Ungeduld zum Angriff über.
»Wie kommen Sie dazu, in einer Fabrik, in der seit zwei Jahren niemals etwas vorgefallen ist, nicht eine Stunde Streik, in der es keine Gewerkschaften gibt, derart leichtfertig mit dem Feuer zu spielen – noch dazu im für unsere Geschäfte denkbar ungünstigsten Augenblick?«
»Mit dem Feuer … die Wortwahl scheint mir doch übertrieben.« Die Stimme ist sanft, kultiviert, das Französisch tadellos, gerade mal ein leichter Akzent. In der Fabrik spricht er nie Französisch, das er angeblich nicht kann, sondern Englisch oder Koreanisch. »Bisher haben zwei Werkstätten die Arbeit niedergelegt, nicht mal zwanzig Leute.« Kommt nicht in Frage, diesem Großmaul, das mich verachtet, zu sagen, dass gerade eine ganze Schicht in Streik getreten ist, da er ja offensichtlich noch nicht Bescheid weiß. Dafür ist später immer noch Zeit.
»Meine Gesprächspartner sagen mir, die Stimmung in der Fabrik ist sehr angespannt. Dass es viele Unfälle gibt, die Taktzahlen hoch und die Löhne mager sind, ist ja auch nicht zu leugnen. Solange sich das in Fehlzeiten niederschlägt, nun gut. In meiner Jugend sagte man allerdings: Ein Funke kann die ganze Steppe in Brand setzen. Keine Funken also. Sie müssen Ihrem HRM den Kopf zurechtsetzen.«
»Das habe ich sehr wohl verstanden.« Das Lächeln ist verschwunden, am Mund eine bittere Falte. Diesen HRM hat er mir selbst empfohlen. Der Sohn von irgendeinem hohen Tier aus der Region. Wichtig für die Einbindung des Unternehmens in die lokalen Strukturen, hat er gesagt. Ein Stümper.
Der Kellner bringt den nächsten Gang, ein üppiges Pot-au-feu und eine weitere Flasche Burgunder. Quignard fährt fort, immer noch aggressiv: »Keinerlei Aufsehen, solange die Privatisierung von Thomson nicht unter Dach und Fach ist.«
»Das ist eine Frage von wenigen Tagen, so lange werden wir uns schon halten.«
»Nein. Vielleicht noch ein paar Stunden bis zum Votum der Regierung, dann ist die Hauptarbeit geschafft, da stimme ich Ihnen zu, aber wir müssen sehen, wie die Öffentlichkeit reagiert, und die Entscheidung der Privatisierungskommission abwarten. Wir brauchen einen vollen Monat Ruhe. Das ist doch nicht zu viel verlangt.«
»Bei den Löhnen kann ich keine Zugeständnisse machen. Wir haben zurzeit einen Engpass, da in einer Woche ein hoher Betrag an die Bank fällig ist. Den kann ich nur durch den Vorschuss auf eine Warenlieferung decken, den ich in zwei Tagen erwarte. Wir sind so klamm, dass ich wegen der gerade wieder fälligen Beiträge sogar die Brandschutzversicherung gekündigt habe, um die Durststrecke zu überwinden.«
»Das ist mir bekannt. Sie haben das Firmenbudget kräftig überstrapaziert. Vor allem in Anbetracht der gegenwärtigen Umstände. Das ist sehr unvorsichtig und zudem unnötig.« Quignard legt plötzlich die Stirn in Falten. »Sagen Sie, es droht doch wohl wenigstens in den nächsten zwei Tagen keine Arbeitsniederlegung? Wenn Sie Ihre Lieferfristen auch nur ein Mal nicht einhalten, hätte das verheerende Folgen für unsere Interessen auf nationaler Ebene.«
»Ich werde daran denken.«
»Daran denken reicht nicht. Treffen Sie entsprechende Vorkehrungen, und zwar schnell.«
Gut hundert Arbeiter stehen jetzt in der Cafeteria herum, viele Männer, die meisten sehr jung, höchstens zwanzig Frauen. Es haben sich Grüppchen gebildet, immer innerhalb der Schichtteams, und es wird hitzig über die Prämien diskutiert. Zwischen den Gruppen gibt es jedoch nur wenig Austausch, schließlich kennt man sich kaum und misstraut sich eher. Für fast alle ist es die erste Arbeitsniederlegung.
Was jetzt? Kader, der bekannteste Gewerkschafter dieser Schicht, ist krankgeschrieben, verkündet ein Betriebsrat. Allgemeines Feixen. Amrouche, der in einer Ecke nahe der Eingangstür steht, hält sich zurück. Nourredine zögert, blickt sich um, niemand drängt sich vor, er steigt auf einen Tisch. Wer ist das denn? Der Kerl aus der Verpackung, ein Großmaul … Hat der irgendeinen Posten? Nein, hat er nicht … Er erzählt von Émiliennes Stromschlag, unbeholfen, schroff, nicht alle hören ihm zu, hier und da Gespräche, Rolandes Entlassung, viele sind ihr schon begegnet, eine mutige Frau, das schon, bei der man sich aber ständig anbiedern muss. Wollen wir nicht über die Prämien reden?, ruft ein junger Mann, Nourredine winkt Amrouche herbei, der sich mürrisch weigert, auf den Tisch zu steigen, und ohne weiteren Kommentar die Streichung der Prämien für das laufende Jahr sowie die Zahlung der ersten Prämie im kommenden Januar bekannt gibt. Jetzt brodelt es in der Cafeteria, immer mehr Leute beteiligen sich an der Diskussion. Einige wollen es nicht glauben, Vereinbarung ist Vereinbarung, daran lässt sich nicht rütteln. Andere meinen, man hat es nicht anders verdient, wenn man so blöd ist, diesen koreanischen Freibeutern zu vertrauen. Um Nourredine und Amrouche formiert sich eine Abordnung, die zur Geschäftsleitung gehen soll, um Informationen einzuholen, die schnelle Zahlung der ausstehenden Prämien zu verlangen und die Wiedereinstellung von Rolande zu fordern. Die Delegation verschwindet in Richtung der Büros.
In der Cafeteria haben sich wieder Grüppchen gebildet. Einige fangen an, Karten zu spielen.
Étienne hat sich zu Aïsha gestellt. »Ich bin der Freund von Nourredine. Ich arbeite seit zwei Jahren in der Verpackung. Wie kommt’s, dass wir uns noch nie begegnet sind?«
»Ich bin erst seit einem Monat in der Fertigung.«
»Stimmt ja.« Jetzt sieht er sie wieder vor sich: das blasse Gesicht, der Rotor, Rolande hat mich in die Fertigung geholt … Da hab ich ja ’nen Bock geschossen, jetzt bloß nicht den abgetrennten Kopf erwähnen.
Lächeln. »Es hat mir so gutgetan, darüber zu reden. War das erste Mal. Ich hab auch zum ersten Mal vor so vielen Leuten geredet, mindestens zehn. Jetzt fühl ich mich besser.« Sie denkt: anders.
Erleichtert.