Jetzt komme ich mal zu einem meiner Probleme: Ich musste in diesem Text die Wörter »Liebe«, »Tod«, »Teheran«, »Taxi«, »Ornothologie«, »Weltgeschichte« und »Ehe« unterbringen. Warum, führt jetzt zu weit. »Ornithologie« ging ja noch, aber »Ehe« ist jetzt leider (und natürlich vollkommen zufällig) übrig geblieben.
2008
In Aalsupp gehört kein Fisch
Eigentlich wollte ich etwas Komisches schreiben, aber es gelingt einfach nicht. Ich ärgere mich in letzter Zeit zu sehr beim Zeitunglesen oder Fernsehen. Und zwar mal wieder – es ist kaum zu glauben, nach elf Jahren immer noch – über Samuel P. Huntington. Genauer gesagt über seinen Übersetzer. Vielleicht war es auch nur die Titelredaktion des deutschen Verlags, die entschieden hat »clash of civilization«, also das Aufeinanderprallen der Zivilisationen mit »Kampf der Kulturen« zu übersetzen. Und an diesem angeblichen Kampfgetümmel kommen wir nun nicht mehr vorbei.
Nun kämpfen die Kulturen in allen Medien und in den Köpfen der Menschen. Ist es diese verflixte Kombination aus german angst und german stabreim, dass das so gut ankommt? Ist die deutsche Eigenart, das Fürchten zu lernen und die Alliteration des Rätsels Lösung? Leider muss ich immer völlig unpassend an den »Krieg der Knöpfe« denken, wenn ich es höre, oder an den »Lauf der Lemuren«, obwohl mir die Veralberung des ernsten Themas wirklich fern liegt.
Der Siegeszug der griffigen Formel, die übrigens auch Huntington nicht gerecht wird, lässt sich anscheinend nicht mehr aufhalten. Statt zu überlegen, ob bei uns innenpolitisch nicht schon eine Sicherung durchgebrannt ist, fragen ehemals differenziert denkende Redakteure vorzugsweise ausländische Experten, wie dem »Kampf der Kulturen« beizukommen wäre. Die ausländischen Experten geben dann irritierend interessante Antworten, die aber nicht zur Frage passen. Kein Wunder: vom Kampf der Kulturen haben sie ja auch nie etwas gehört. Und schon wieder prallt etwas aufeinander – und voneinander ab.
Das Besetzen von Begriffen ist ein wirkungsvolles politisches Instrument. Dass sich ein Slogan quasi von selbst durchsetzt, ist neu. Es erinnert freilich an die Werbung aus unseren Kindertagen, die sich in einer Ecke des Gehirnkastls festgesetzt hat und die wir nun zu den Schätzen unseres Langzeitgedächtnisses zählen dürfen. Oder werden Sie je vergessen, dass Olaf Husten hat?
Vielleicht muss man diese Erscheinung mit ihren eigenen Waffen schlagen, indem man selbst ein paar eingängige Formeln findet und den Wettbewerb »Denkvermögen der Demokratien« ausruft. Wer findet den besten Gegen-Slogan? Das »Zagen der Zivilgesellschaft« sollte endlich aufhören.
2007
Winki
Katalog meiner Sentimentalitäten II
Früher wurde nicht so viel erzogen, sondern man überlebte die Kindheit einfach. Die war von allerhand Seltsamkeiten, eigenen Rätseln und kleinen Beschwörungen durchzogen. Ich erinnere mich, dass ich, als ich noch sehr klein war, nicht gerne Gummibärchen aß. Auch wenn es eindeutig lebloses Zuckerzeug war, konnte ich kaum glauben, dass man die Bärchen ungestraft zerbeißen durfte. Meine Geschwister kauften Teufel am Kiosk, aus Weingummi mit rot-grünem Körper und schwarzem Kopf. Die aß ich bedenkenlos, doch auch nicht ohne Mitleid mit dem Teufel. Vielleicht waren meine Impulse einfach fehlgeleitet, da ich zumindest in Erwägung zog, Schokohasen zu bestatten statt sie zu essen. Ich besaß und versorgte auch ein hässliches – und nebenbei gesagt, haltlos rassistisches – Plastikpüppchen namens Winki, das uns irgendein onkeliger Schützenfestgänger überlassen hatte.
Winki war dunkelbraun, hatte ein Plastikbaströckchen an, wurstförmige Ärmchen und Beinchen, Henkelohren mit einem goldfarbenen Ohrring, Wackelbildäuglein, und ich wundere mich heute, dass er keinen Nasenring hatte und Bimbo hieß. Uns war das egal. Er durfte mitspielen. Und da Winki mir sehr leid tat, weil er so hässlich war und offensichtlich nicht hätte existieren dürfen, baute ich ihm ein gemütliches Heim aus Pappe. Wunderbarerweise passte er genau in ein leeres Schächtelchen Erfrischungsstäbchen, aus dessen Deckel ich Betthaupt und Fußteil ausschnitt. Ich weiß nicht, wie erholsam der Schlaf im Erfrischungsstäbchen-Bett ist, aber bestimmt schöner als in einer Zigarettenschachtel zum Beispiel. Überhaupt die Sprengel-Schokolade. Schön war der goldene Bienenkorb auf den Tafeln. Die Pralinenmischungen hießen India oder Für Genießer und Oma hatte manchmal eine Schachtel Theresientaler, wobei ich mich heute frage, wieso man in Hannover Schokolade nach österreichischen Kaiserinnen benannte. Womöglich aus tief sitzendem Preußenhass in der hannoverschen Schokoladenproduktion.
Jedenfalls ergab eine Erfrischungsstäbchen-Schachtel ein prima Winkibett. Das polsterte ich mit Watte und einem winzigen Stückchen Stoff aus und deckte ihn mit einer sorgfältig zugeschnittenen und aufgerauten Papierserviette zu. Das Basteln war natürlich das Beste am Winki-Versorgen, denn er gab sonst spieltechnisch wenig her. Also wuchs das Winki-Interieur um einiges an, es gab ein Fenster mit Läden, selbstverständlich eine Tür, obwohl Winkis Schuhkarton, der sein Haus war, kein Dach hatte, und Bilder an den Wänden. Sogar ein Fernseher war da. Eines dieser kleinen, billigen Kunststoff-Knipsapparätchen, in denen vier, fünf Bilder betrachtet werden konnten. Kein Vergleich zum Kaleidoskop, aber ein prima Winki-Möbel.
Ich weiß nicht, wo Winki geblieben ist. Es könnte sogar sein, dass er mit dem Alpenmilchbären in einer alten Spielzeugkiste ruht, womöglich in seinem Erfrischungsbett. Heute, wo man alles, aber auch alles im Internet findet, habe ich gesehen, dass es auf Ebay zig Winkis zu kaufen gibt. Sie heißen Blinky Winky oder Blinkie Winkie und nicht schlicht Winki wie unserer. Und dieser plastikgewordene Rassismus wird dort verbrämend als »kleine schwarze Puppe made in Hongkong« bezeichnet und für bis zu vierzig Euro verkauft. Das hat mich ein bisschen geschockt. Ich wünschte, alle Winkis blieben für immer verschwunden, von mitleidigen Kindern in Sprengel-Verpackungen zur ewigen Ruhe gebettet.
2016
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