„Auf Stroh schon, aber Strohsack? Nee.“ Totila schüttelte den Kopf.
Sebastian trat an eines dieser Bettgestelle auf dem so ein Strohsack lag, betrachtete ihn und schlug mit der flachen Hand darauf. „Nur Staub und Häcksel“, erklärte er hustend in einer Staubwolke stehend.
„Du musst ja auch nicht gleich so drauf herumdreschen. Ist immerhin Volkseigentum.“ Und über Totilas Gesicht huschte ein kurzes Lächeln. „Aber hier hat im Gegensatz zur Spreestraße“, fuhr er fort, „die Zivilisation bereits Einzug gehalten. Siehst du hier irgendwo so ’nen Scheißkübel?“
Sebastian schüttelte den Kopf und wies auf einen in die Zelle hineinragenden Vorbau zwischen zwei Fenstern. „Ich seh’ dort aber eine Tür.“
Beide gingen gespannt darauf zu und Totila öffnete. Dazu schob er einen kleinen Riegel zurück. Sie standen überrascht vor einem richtigen Porzellan-WC. In der Rückwand dieser kleinen Toilettenzelle gab es ein circa handtellergroßes Fensterchen, durch das man hinaus in den Hof sehen konnte.
„Geht das ebenso von innen?“ Sebastian sah sich die Türe an und fand auch eine Innenverriegelung.
„Tatsächlich“, sagte er grinsend, „ein zivilisatorischer Fortschritt. Der ‚Humane Strafvollzug’, von dem mein Vernehmer mir immer erzählt hat.“
Totila schloss die Toilettentüre, drehte sich um und winkte ab. „Diese kleinen Scheißhäuser haben wir nicht der DDR zu verdanken, die gab’s mit dem Knast hier schon vor hundert Jahren.“
„Weiß ich nicht. Wahrscheinlicher ist, die haben sie erst später eingebaut.“
„Dann aber bestimmt nicht in der DDR.“
„Du nimmst mir auch jede Illusion“, erklärte Sebastian und ging die wenigen Schritte zu einem halboffenen Fenster, lehnte sich eng gegen die Gitterstäbe und konnte dabei in ein ebenso offenstehendes Fenster der Nebenzelle blicken.
„Komm mal her“, winkte er Totila heran. „Das sind dort richtige Gefangene“, sagte er und beide betrachteten die Gefangenen in ihren bläulich gestreiften Hemden, unter verwaschenen hellblauen Jacken mit breiten gelben Streifen längs der Ärmel und des Rückens, die dort an den Fenstern standen. „So sehen wir selber bald aus.“
Auch die von drüben sahen dann interessiert herüber und winkten. „Wo kommt ihr denn her?“
„Von der Stasi, Spreestraße …“, antwortete Sebastian.
„Na woher schon? Vom Gericht“, ergänzte Totila.
Die nebenan am Fenster lachten. „Worüber lachen die denn?“, fragte Sebastian den Freund.
Totila hob die Schultern: „Was weiß ich?“
Doch da kam von dort auch schon die Frage nach der Höhe der Verurteilung.
„Zehn und sieben Jahre Artikel 6“, antwortete Sebastian.
Unverständnis am anderen Fenster und dann auch prompt die Frage: „Was’n das?“
„Na, Staatsverleumdung, Spionage, Boykotthetze und so weiter …“
Am Fenster nebenan wieder Verwirrung. „Mordhetze?“, fragte schließlich einer zögerlich.
„Ja, ja, auch das“, winkte Sebastian ab, als er begriff, dass die mit solchen Anklagen nichts anzufangen wussten. Mordhetze schon, das konnten sie verstehen, aber Boykotthetze?
„Was habt denn ihr?“, fragte Totila zurück.
„Acht Monate“, sagte einer, „anderthalb Jahre“, ein anderer. „Sechs Monate, zweieinhalb Jahre“, die nächsten beiden.
„Und wofür?“
Die nebenan lachten wieder. „Körperverletzung, Taschendiebstahl, Einbruch“, sagte einer. „Unterschlagung“, ergänzte ein anderer.
„Lohnt sich denn das überhaupt noch, also Unterschlagung, Diebstahl und so …?“
„Warum fragst du?“
„Ich meine bei dem Ostgeld hier“, antwortete Sebastian. „Was wollt ihr denn damit? Dafür kriegt man doch nichts.“
„Was ich mit Geld will?“, fragte einer. „Ne doofe Frage. Ich brauch dann nicht malochen geh’n. Ist doch schon was, oder?“
„Na gut, aber Arbeitsbummelei fällt auf und ist strafbar. Es gibt schließlich die gesetzliche Arbeitspflicht.“
Die nebenan lachten nur wieder.
„Spionage?“, fragte schließlich einer.
„Ja“, sagte Sebastian, „das auch. Organisation Gehlen.“
„Wer?“, kam etwas ratlos die Frage zurück.
„Westdeutscher Nachrichtendienst“, vereinfachte Totila die Antwort.
„Dann müsst ihr ja bombig verdient haben.“
„Sebastian schüttelte lachend den Kopf. „Alles ehrenamtlich“, sagte er. „Das müssen die aus Kitschromanen haben“, wandte er sich etwas leiser an seinen Freund.
„Und dann haben se euch jeschnappt. Und wie …?“hörten sie wieder eine Stimme von nebenan.
„Verrat. Ein Freund hat uns verraten“, erklärte Totila.
„War wohl ’n Überzeugter?“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Nee“, sagte er, „einen guten Posten, am besten gleich bei der Stasi oder in der Partei, das war’s.“
„Auf eure Kosten? Da hat der euch aber janz schön anjeschissen …“
„Nicht nur uns.“
„Een Schweinehund!“
Sebastian nickte.
„Da möcht’ ich aber jetzt nich in eure Haut stecken“, meinte einer. „Zehn Jahre, da gibt’s nämlich Glatze und ihr werd’ ins Zellenhaus gesteckt. Der Bau da direkt vor euch“, und er wies mit der Hand aus dem Fenster.
„Glatze?“ Sebastian fuhr sich unwillkürlich mit der Hand durchs Haar.
„Klar, is gegen Läuse jut und brauchst dann keen Kamm nich mehr.“
„Bei sieben Jahren auch?“, fragte Totila.
„Klar, sieben Jahre, bist ja n Langstrafer. Unter fünfen sitzt da keener.“
„Und alle mit ’ner Platte“, fügte ein anderer grinsend hinzu. „Im obersten Stock sind dort ooch die Lebenslänglichen, die machen immer extra Freistunde.“
„Freistunde?“, fragte Totila, „was ist denn das wieder?“
„Im Hof immer im Kreise loofen, im Gleichschritt“, erklärte einer, wies aus dem Fenster und lachte dazu. Im Gänsemarsch, eener hinter’m andern, aber immer schön im Abstand …“
„Eine Stunde?“, wunderte Sebastian sich.
„Quatsch“, kam die Antwort, „’ne halbe Stunde, oft ooch weniger. Dabei noch fünf bis zehn Minuten Freiübungen.“
„Dafür gibt’s ’n Vorturner“, ergänzte ein anderer. „Ihr werd’s ja selber erleben.“
Als das Schloss krachte und die Zellentür aufflog, wandten die beiden sich rasch vom Fenster ab und der Türe zu.
Dort stand einer dieser uniformierten Schließer und ließ den langen Schlüssel ungeduldig kreisen. „Und?“, fragte er schließlich.
Die beiden sahen ihn verständnislos an.
„Woher kommen Se denn?“
„Aus der Spreestraße.“
„Na dann wissen Se doch, dass Se Meldung zu machen haben“, fuhr der