Radwanderung in Kanada. Elisabeth Naumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Naumann
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783957442123
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Othello-Tunnel. In den Fugen seines verwitterten Mauerwerkes hatten sich Moose, Farne und sogar einige Blütenpflanzen angesiedelt, zu unseren Füßen aber stiebte der Coquihalla. Kaum dass wir uns an diesem Anblick satt gesehen hatten, folgten die weiteren Highlights. Der zweite sowie der dritte Tunnel bildeten eine Art Siamesische Zwillinge, sie waren gewissermaßen zusammengewachsen, von oben drang das Tageslicht hindurch. Dann wieder glaubte man sich in einer Art Galerie, durch die hohen Bogenfenster konnte man vom Tunnel aus in die enge Schlucht blicken und auf das hoch aufschäumende Wasser. Holzbrücken, die das tosende Coquihalla Canyon überspannten, verbanden einen Tunnel mit dem anderen. Romantik pur – und nur wir zwei. Es ist schwer zu sagen, was hier beeindruckender war, der Blick von den Brücken hinab in das schäumende Canyon, die üppig bewachsenen Tunnelwände oder die Nebelbänke, die die schmale Schlucht bisweilen fast gespenstisch erscheinen ließen? Es war gewiss das unvergleichliche Gesamtbild und auch die Einsamkeit, die dem Canyon den besonderen Reiz verliehen.

      Gerade hatten wir den letzten Tunnel erreicht, da strömten sie uns entgegen – Japaner. Ihre Busse standen nur wenige Meter entfernt auf einem Parkplatz, einer Betonfläche, der die ehemalige Bahnstrecke hatte weichen müssen. Die romantische Stimmung, in der ich soeben noch geschwelgt hatte, bekam einen Schlag ins Genick.

      Vergeblich versuchten wir dem Buch zu entnehmen, wie weit wir auf der sich anschließenden Asphaltstraße fahren mussten, bevor wir wieder auf die Bahntrasse konnten. So sehr wir uns auch die Augen verbogen, vorerst schien es keinen Einstieg zu geben.

      Im Buch kamen wir also nicht weiter, und so holten wir die Landkarte hervor. Sie besagte, dass Brookmere, einst auch an der alten Bahnlinie, als nächster Ort 86 Kilometer entfernt war, doch dazwischen musste der Coquihalla-Pass mit 1.244 Metern überwunden werden. Nicht eben verlockend. Und wenn sich bisher der Nebel nur leicht abgenieselt hatte, so begann es jetzt auch noch zu regnen und das Thermometer zeigte gerade mal 12 Grad. Das gab den Ausschlag.

      Die Othello Tunnels konnten außerdem auch mit einem Campingplatz aufwarten, und so entschlossen wir uns, an Ort und Stelle, zu bleiben, obwohl noch nicht einmal Mittagszeit war. Wir erhielten unter den „big trees“ den besten Stellplatz, wie uns der Chef gönnerhaft mitteilte; dabei waren wir die einzigen Besucher. Unter den zwei riesigen Bäumen stand unser Zelt tatsächlich im Trockenen. Nur, als am Nachmittag der Regen aufhörte und stattdessen Wind einsetzte, kamen ganze Ladungen von den big trees herab, und so zogen wir es vor, lieber die nähere Umgebung zu durchstreifen.

      21.6.

      Nachdem es in der Nacht leicht geregnet hatte, lagen früh die Wolken bis unten auf dem Fraser River. Es war mächtig kalt geworden, und erst gegen 11 Uhr entschlossen wir uns loszufahren. Auf dem breiten Seitenstreifen der Nr. 5 ließ es sich trotz des leichten Anstieges sehr gut fahren, unangenehm war nur der Nieselregen, der schon nach kurzer Zeit wieder einsetzte. Dann wurde es steiler und die Berge, die anfangs noch frei waren, versteckten sich im Nebel, in den wir mehr und mehr hineinfuhren. Und mit dem stärker werdenden Regen wurde es, wie ich jedenfalls fand, immer kälter. Doch während ich mir noch einen Pullover unter- und Handschuhe anzog, zog sich Martin den Pullover aus. Er war durch den Anstieg so ins Schwitzen gekommen, dass er nun in Unterhemd und Goretexjacke fuhr. Unerklärlich, denn obwohl ich mich wärmer angezogen hatte, fror ich weiterhin jämmerlich. Martin hingegen hatte Hunger und wollte unbedingt was essen, was bei diesem starken Regen aber unmöglich war, denn jetzt schüttete es regelrecht. Schon bald hatten wir beide keine Kraft mehr und konnten nur eins tun, immer wieder kurze Pausen einlegen. Aber die machten Martin nicht satt, der inzwischen behauptete, er hätte einen Hungerast, und mich nicht wärmer, und irgendwie ging’s bald nicht mehr. Ein Blick aufs Thermometer zeigte, dass es tatsächlich kälter geworden war, nur noch acht Grad.

      Wir hatten 750 Höhenmeter erreicht, als vor uns eine beleuchtete Galerie auftauchte. „Nein, nicht auch noch da durch!“ Wir waren fest entschlossen, hier und jetzt einen Platz fürs Zelt zu finden – bis hierher und nicht weiter! Egal wie stark es regnete und egal ob es hier womöglich Bären gab oder nicht, wir hatten die Nase gestrichen voll. So voll, dass wir tatsächlich eine Stelle fanden, die nicht unbedingt von der Straße einzusehen war.

      Eigentlich würde man unter solchen Bedingungen niemals seine Räder abpacken, sein Zelt aufstellen und alles triefend nass einräumen wollen. Aber eben nur eigentlich. Denn allein der Gedanke, die nassen Klamotten vom Körper runter zu bekommen, sich in den Schlafsack zu kuscheln und wieder warm zu werden, spornt zu Höchstleistungen an. Und so stand im Nu das Zelt, nachdem ich zuvor sogar daran gedacht hatte, Plastetüten über die noch einigermaßen trockenen Sättel zu binden. Dennoch war am Ende der Prozedur das anfangs trockene Zeltinnere erneut tropfennass, aber es schwamm nichts, und von Oben kam nichts hinzu. Dabei hatten wir uns am Morgen noch darüber gefreut, dass die Schlafsäcke fast trocken waren. Jetzt bekamen sie aber nur von außen Nässe ab, denn die Regenkleidung legten wir ins Vorzelt, mehr als nass konnte nichts werden. Dann schlüpften wir in herrlich trockenen Sachen in die Schlafsäcke, und während ich mich bis zur Nassenspitze einmummelte, machte Martin auf dem kleinen Campingkocher Wasser heiß für eine Brühwürfel-Bouillon. Und das mitten im geschlossenen Zelt, und obwohl ich dabei vor Angst schwitzte, was mir sogar entgegen kam. Doch wir hatten derart viel Nässe ins Zelt geschleppt, dass ohnehin nichts hätte anbrennen können. Jedenfalls passierte nichts in dieser Richtung. Die Brühe allerdings wärmte uns auf und die Brote, die ich in der Zwischenzeit geschmiert hatte, machten Martin satt und die Welt war wieder in Ordnung.

      Es mag vielleicht nicht glaubwürdig klingen, aber wenn all die Unwegsamkeiten eines solchen Tages Vergangenheit sind, ist es ein sehr wohliges Gefühl von Sicherheit, im warmen Schlafsack zu stecken und zu hören, wie der Regen draußen aufs Zelt trommelt. „Was jetzt runter kommt, kann morgen nicht mehr kommen”, sagte ich zu Martin. Dann schliefen wir ein.

      22.6.

      Die ganze Nacht über schüttete es weiter, am Morgen war Ruhe, es nieselte nur noch. Der Nebel hatte sich verdichtet, von der Galerie war jetzt nichts mehr zu sehen, und die Wolken umschlossen auch unser Zelt. Ein Morgen also, an dem man sich ruhigen Gewissens von einer Seite auf die andere hätte wälzen können, um noch eine Runde zu schlafen. Und das hätten wir unter Garantie auch getan, wenn es nur etwas gemütlicher im Zelt gewesen wäre. Aber das Wasser hatte sich nicht nur unter den Luftmatratzen gesammelt, alles war noch genauso klitschnass, wie wir es am Vortag einräumen mussten. Wie sollte es auch getrocknet sein, zumal sich im geschlossenen Zelt und bei diesen Temperaturen auch noch die Atemluft niederschlägt. Wenigstens lagen die nassen Jacken, Überhosen und auch Schuhe draußen in der Apside. Aber der Gedanke, dass wir alles in Kürze anziehen mussten, war nicht unbedingt der angenehmste.

      Zunächst stellte ich mir die Frage: Was ziehe ich an? Eine Frage, die für jede Frau vor einem Höhepunkt wichtig ist. Und dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Höhepunkt das Kennenlernen eines potentiellen Partners ist oder schlicht und einfach ein Pass. Doch während ein potentieller Partner durch entsprechende Kleidung optisch bezirzt werden soll, spielt es für einen Pass keine Rolle, ob du ihn schweißgebadet oder zitternd erreichst. Witterungsmäßig gesehen müsste ich somit den dicken Pullover wählen, der Steigung nach, die vor uns lag und die es in sich hatte, das T-Shirt. Vorsichtshalber zog ich beides an, ausziehen konnte ich mich unterwegs immer noch.

      Erst aber frühstückten wir, und als dann der Himmel immer noch keine Anstalten machte sich zu bessern, machten wir wenigstens alles startklar. So zogen wir, wenn auch nach kurzer Überwindungsphase, die von beiden Seiten durchnässten Goretex-Jacken und -Hosen über. Die noch immer klitschnassen Schuhe stellten zum Glück nicht das erwartete Problem dar, denn wir hatten Goretex-Söckchen mitgenommen, und so fühlten sie sich noch nicht einmal kalt an.

      Hinter der Schneegalerie wurde es anstrengender, weil steiler, und dann kam auch ich ins Schwitzen, sodass wir schließlich beide die Pullover ausziehen mussten. Dennoch waren wir bald von innen genau so nass wie von außen. Es stieg und stieg.

      Bei 1.244 Metern hatten wir den Pass erreicht. Erst jetzt registrierte ich, dass es nicht mehr nieselte. Dafür war es aber hier oben so kalt, dass wir schleunigst wieder die dicken Pullover hervorholten. Doch selbst diese konnten nicht