Um es kurz zu machen, die fehlende Kommunikation innerhalb der Familie hat die „Jüngeraussehenden“ um einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens gebracht, denn nicht nur Grund und Boden, sondern auch die darauf errichtete Garage mussten nach der Vermessung entschädigungslos an den Nachbarn abgetreten werden.
Wie aber kam es, dass es fast zwei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit noch unvermessene Grundstücke gab? Diese Erscheinung war eine Folge der preußischen Grundsteuerreform von 1861. Die für die damals vorgesehene Besteuerung in einigen Gegenden nötige Vermessung der Grundstücke, u. a. in den von 1815 bis 1952 zeitweise zu Preußen gehörigen sächsischen Landesteilen, konnte nicht im erforderlichen Tempo durchgeführt werden. Also verzichtete man darauf und ließ als amtliches Verzeichnis im Sinne der Grundbuchordnung das damalige Gebäudesteuerbuch zu. Betroffen von diesem Problem waren nicht nur kleine Dörfer, sondern oft auch ganze Innenstädte. Ohne dem Leser weitere Details aufzunötigen, nur noch so viel: Im Liegenschaftskataster waren solche Flächen nicht erfasst. Das Grundbuch sagte demzufolge auch nichts über die genaue Lage und Größe der Teilflächen aus, sondern führte sie nur als "Anteil an einem ungetrennten Hofraum". Nach der Wende stellte man schnell fest, dass Grundbesitz, der im Grundbuch nur als Anteil am ungetrennten Hofraum mit Angabe der Flur- und Hausnummer eingetragen ist, kein Grundstück im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches sein kann und versuchte Abhilfe zu schaffen. Die Vermessung wurde also erst 150 Jahre nach der preußischen Grundsteuerreform vorgenommen.
Gut Ding will Weile haben …
Die richtige Marke
An einem verregneten Tag. Düstere Wolken hängen über dem kleinen Dorf. Kalt ist es außerdem. Eine Stimmung zum Davonlaufen.
Zum Glück treffe ich auf jemanden, der ein wenig Zeit mitgebracht hat und erzählt, dass er sein Anwesen erst 2003 nach dem Tod der bis dahin hier lebenden Großeltern bezogen hat. Er arbeitet im eigenen Autohaus, Reparaturwerkstatt für Renault. „Die richtige Marke, um immer genügend Reparaturen zu haben“, sagt er lachend. Seine Frau ist zu Hause wegen der Kinder. Noch zu Lebzeiten der Großeltern wurde das Wohngebäude von außen saniert (Dach, Fassade, Fenster). Zwei der gut erhaltenen alten Fenster hat er in ein Seitengebäude eingebaut, um dort die maroden Fenster zu ersetzen. Einige Wochen danach flatterte ein Brief vom Denkmalsschutz mit Androhung einer Strafe von einer Viertelmillion Euro ins Haus. Was für ein Schock! Da erst erfuhr die Familie, dass ihr Vierseitenhof in die Denkmalliste aufgenommen worden war.
Er meint, abreißen und neu bauen wäre auf lange Sicht sinnvoller, aber das dürfe man eben nicht. „Nur erhalten kann man die drei Wirtschaftsseiten mit einstigen Stallungen und Scheunen eben auch kaum. Das sind Riesengebäude, die keiner mehr nutzt. Das mit der Strafe haben wir zum Glück aus der Welt schaffen können. Und vor Jahren ist meinem Nachbarn, einem Wessi, der Giebel seiner Scheune zusammengerutscht und hat bei mir das halbe Dach meiner Stallungen zerstört. Der Wessi wohnt nicht im Ort, hat aber mehrere Grundstücke aufgekauft und lässt sie verfallen. Der war so was von unseriös, hat am Telefon erst mal unterstellt, dass wir wohl einen Dummen suchen, um unser Dach neu eindecken zu lassen. Dann hat er Sachverständige von verschiedenen Versicherungen antanzen lassen, die, wie sich herausstellte, alle jedoch andere Objekte versichert hatten. Die merkten das aber erst, als sie die Adressen verglichen. Erst, als ich mir einen Anwalt genommen habe, war die eigentliche Versicherung schnell ermittelt und so ist die Reparatur dann auch bezahlt worden. Bei den Wessis braucht man eben immer einen Anwalt.“
Bei einem Blick in das Grundbuch sehe ich, dass ein Enteignungsverfahren gegen ihn läuft, angestrengt durch das Autobahnamt, weil die neue Autobahn über einige seiner Ländereien führt.
„Ja, wir haben damals nichts unterschrieben, uns einen Anwalt genommen. Mit der Enteignung bekommen wir nun auch noch ein paar Cent mehr pro Quadratmeter als seinerzeit angeboten.“
Man braucht eben für alles einen Anwalt.
Der Erbschein ist da
Als ich nach Ostern einen Termin machen will, habe ich die alte Frau am Telefon, mit der ich mich im Ort schon mehrfach nett unterhalten hatte. Sie ist völlig aufgelöst, ihr Sohn ist Karfreitag überraschend verstorben. Schlaganfall mit 46 Jahren. Zunächst bin ich sprachlos, vereinbare mit ihr dann aber, mich später noch einmal zu melden.
Vom Nachbarn erfahre ich, dass der inzwischen Verstorbene hier im Ort eine junge Frau und drei Kinder hinterlassen hat. Sie waren allerdings schon geraume Zeit geschieden. Da gibt es noch eine Freundin und drei weitere Kinder. Die Nachkommen haben ebenfalls schon einige Kinder, die alte Frau letztendlich sechs Enkel und sieben Urenkel. Nun ist der einzige Sohn tot, mit 46 Jahren.
Na, bei dem Stress nicht verwunderlich, denke ich, beiße mir aber auf die Zunge.
Ende Mai bin ich wieder dort und werde durch eine Schar schreiender Kinder in die Küche gelotst. Auch die geschiedene Schwiegertochter ist anwesend. Ich spreche ihnen mein Beileid aus und das ist durchaus ernst gemeint. Ich leide mit, denn bei der jetzt entstandenen verworrenen Erbsituation wird es eine Weile dauern, bis wir alle Angaben und Belege für eine Grundbucheintragung des neu zu vermessenden Hofes haben werden.
Der Verstorbene und seine geschiedene Ehefrau stehen bis jetzt als Eigentümer im Grundbuch. Die Übertragung des großen Bauernhofs auf diese beiden haben die Eltern vor Jahren veranlasst, damit die jungen Leute einen Ausbaukredit bekommen. Eine Grundstücksteilung zu diesem Zweck war nicht möglich. Es sind eben unvermessene Hofräume. Leider haben es die Eltern versäumt, sich wenigstens ein lebenslanges Wohnrecht eintragen zu lassen.
Der Verstorbene war vor Jahren zu seiner Freundin gezogen. Die Ehefrau blieb bei ihren Schwiegereltern wohnen. Eine Tochter ist 27 Jahre alt und lebt mit zwei Kindern und dem im September zu erwartenden dritten mit auf dem Hof. Eine weitere Tochter ist erst 22 Jahre alt, hat aber bereits vier Kinder und lebt auswärts.
Alle sind aber oft und gern da, zumal die alte Frau seit Jahren für die gesamte Sippe nicht nur kocht, sondern meist auch zahlt. Sie sagt, „die haben doch alle nichts“. Keiner habe jemals gearbeitet, nur sie und ihr Mann in der Braunkohle bis zur Rente. Die Rente ist üppig, sie leben gut davon. Zweimal waren sie von der Knappschaft aus schon zur Kur, einmal sogar vier Wochen lang im höchsten Luxus, in Heringsdorf.
„Wissen Sie, wie das manchmal nervt mit den vielen Kindern?“, fragt sie mich. „Und wir haben alles bezahlt, wir bezahlen das Öl für die Heizung, den Strom, das Wasser und Abwasser. Und am liebsten wollen sie uns loswerden, wir sollten schon eine Mietwohnung im Ort nehmen. Jetzt ist der Freund der einen Enkeltochter mit hier, sie erwarten im September ein Kind. Der Freund ist ja zu ihr ganz nett, der vorige hat sie nur verprügelt. Aber die machen sich breit, jetzt züchten sie in unserer Scheune Karnickel und sonst sitzen sie den ganzen Tag im Hof und trinken Bier. Und Arbeit hat der Freund auch nicht. Die Ausbildung macht er wohl irgendwie fertig, obwohl er erst mal durch die Prüfung gefallen ist, aber danach sieht es düster aus.“
Als ich im Juni noch einmal vor Ort auftauche, werde ich schon auf der Straße empfangen: „Ach, hören Sie auf“, sagt die Frau. „Der Erbschein ist da, die Schwiegertochter und ihre Kinder bekommen alles. Und das hat alles einmal uns gehört, stellen Sie sich das mal vor. Wir werden uns jetzt eine Wohnung suchen, das hält man nicht mehr aus. Ich musste ihr ja sogar den Erbschein bezahlen, 170 Euro, die hat ja nichts.“
Mein Schuh in Pakistan
oder: Was Sie schon immer über Kleidercontainer wissen wollten…
Die junge Frau am Telefon wirkt locker und voller Tatendrang. Als ich sie am Montagmorgen in ihrem Büro aufsuche, erlebe ich eine Art „Unternehmerin des Jahres“. Zumindest stelle ich mir genau das darunter vor. Sie ist knapp fünfzig und sprüht vor Tatendrang. Das steht an diesem Tag im krassen Gegensatz zu mir. Ich bin aber irgendwie entschuldigt, es ist schließlich mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub.
Als Bauingenieure haben sie und ihr Mann nach der Wende eine eigene Firma gegründet