Dominique Manotti
ROTER GLAMOUR
Aus dem Französischen
von Andrea Stephani
Ariadne Krimi 1192
Argument Verlag
»Die Wirklichkeit ist ein Krimi« – wie oft habe ich diesen Satz schon gelesen? Doch niemand schreibt den Krimi der Wirklichkeit so akkurat, so eindringlich sparsam wie Manotti. Ob sie die Tristesse eines Arbeitstages in der Fabrik schildert oder die demütigenden Pflichten einer ranglosen Polizistin im Moloch Paris, den Alltag in der Übernahme-Task-Force eines Konzerns, die selbstreferenzielle Hybris eines Regierungsmitglieds oder die machistische Paranoia eines Mitglieds des organisierten Verbrechens: Ihre kühlen, präzisen Sätze zoomen ganz dicht ran wie eine minimalistische Kamerafahrt, die mit den Augen der handelnden Figur blickt und ihr gleichzeitig ins Hirn guckt. Alles ist echt. Gewaltige Detailkenntnis und brillante Choreographie werden zu einem erzählerischen Mahlstrom reduziert, für den Manotti eine gestochen scharfe, stets elegante und doch erstaunlich schlichte Erzählsprache findet. So macht sie die obskursten Themen aus Politik, Wirtschaft und Hochfinanz greifbar, bildhaft, thrillertauglich. Die Wucht, mit der ihre Romane in mein Bewusstsein einschlagen, ist nur angemessen, geht es doch um jene mythisch zu Halbgöttern stilisierten Macher aus Wirtschaft und Politik, die Manotti als von menschlicher Gier getriebene banale Gelegenheitsdiebe entlarvt, und um die weitgehend ohnmächtigen einfachen Leute, versehrt von den Verhältnissen, die mit ihren mageren Kräften das Blatt zu wenden versuchen. Illusionslose Wahrheiten in funkelnder Prosa mit Herz. Wir sind stolz, diese Könnerin zu verlegen. Dank hierfür gebührt Andrea Stephani, die dieses Projekt zu uns getragen hat.
Else Laudan
Dominique Manotti, 1942 geboren, kam erst mit fünfzig Jahren zum Schreiben und veröffentlichte seither sieben Romane. Ihre Bezugspunkte sind der amerikanische Schriftsteller James Ellroy, die neuzeitliche Wirtschaftsgeschichte und die 68er-Bewegung. Diese ungewöhnliche Kombination begründet Manottis dichten, unpathetischen Stil. Die Historikerin lehrte an verschiedenen Pariser Universitäten Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, war als Gewerkschafterin in der CFDT aktiv und leitete als Generalsekretärin deren Pariser Sektion.
Ariadne Krimis
Herausgegeben von Else Laudan
Titel der französischen Originalausgabe:
Nos fantastiques années fric
© 2001, Éditions Payot & Rivages
Deutsche Erstausgabe
Alle Rechte vorbehalten
© Argument Verlag 2011
Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg
Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020
Umschlag: Martin Grundmann
Fotomotiv: © Wild Geese, Fotolia.com
Lektorat: Iris Konopik & Else Laudan
Satz: Iris Konopik
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-86754-974-5
Dritte Auflage 2012
Vorbemerkung der Autorin zur deutschen Ausgabe
Kleine Notiz zur Organisation der französischen Polizei in den Jahren 1985 – 86 für akribische Leser. Die Lektüre ist nicht obligatorisch für Leute, die sich einfach nur gern dem Rhythmus eines Romans hingeben.
Mit der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Gesamtheit der Polizeiaufgaben sind 1985 zwei große staatliche Organe betraut, die Polizei und die Gendarmerie.
Die Gendarmerie ist Teil der französischen Streitkräfte und untersteht dem Verteidigungsministerium. Sie übernimmt polizeiliche Aufgaben im ländlichen Raum und in Städten mit unter 10 000 Einwohnern. Allerdings hat sich ihr Zuständigkeitsbereich stetig erweitert. So wurden zum einen Fahndungsabteilungen gegründet, die in Zusammenarbeit mit den zuständigen Richtern Ermittlungen durchführen und dieselben Kompetenzen und Rechte haben wie die Kriminalpolizei; zum anderen die GIGN (Groupe d’Intervention de la Gendarmerie Nationale), ein sagenhaft trainiertes Elitecorps, das im Notstandsfall und bei besonderen Gefährdungslagen eingreift, z. B. Geiselnahme. Die GIGN befindet sich daher häufig in Konkurrenz zur Polizei.
Die Polizei, die aus zivilen Ordnungskräften besteht, ist dem Innenministerium unterstellt. Der Direction Générale de la Police Nationale unterstehen einzelne Direktionen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten:
Die Direction de la Sûreté Publique (Direktion für öffentliche Sicherheit) befehligt die uniformierte Polizei, die im ganzen Staatsgebiet in Kommissariaten auf Stadt- und Stadtteilebene organisiert ist. Ihr obliegen alle allgemeinen Polizeiaufgaben. Noria Ghozali ist eine Berufsanfängerin, die einem solchen Kommissariat zugeteilt ist. Diese Polizisten führen bei Mordfällen den ›Ersten Angriff‹ durch, werden dann aber schnell von der Kriminalpolizei abgelöst.
Die Kriminalpolizei (DPJ, Direction de la Police Judiciaire) arbeitet bei allen Ermittlungen und Nachforschungen mit den zuständigen Richtern zusammen. Im gesamten Staatsgebiet ist sie in Regions- und Départements-Dienststellen unterteilt. Aber in Paris, und ausschließlich in Paris, gibt es innerhalb der Kriminalpolizei die sogenannten »grandes brigades«. (≈ große Dezernate), die am Quai des Orfèvres Nr. 36 beheimatet sind, dort, wo Maigret sein Büro hatte: die Brigade Criminelle (abgekürzt als Crim oder BC; Morddezernat), das Rauschgiftdezernat (les Stupéfiants), das Sittendezernat (les Mœurs), das Dezernat Finanzermittlungen (la Brigade Financière), das Dezernat für Fahndung und Intervention (la BRI, Recherches et Interventions, auch Brigade antigang) etc. Diese Dezernate bestehen aus hochqualifizierten und hochspezialisierten Mitarbeitern. Die Mitglieder der Crim gelten als die Intellektuellen der Polizei.
Im Roman tauchen zwei weitere Direktionen auf: die Direction des Renseignements Généraux (RG; immer Plural) (Zentraler Nachrichtendienst) und die Direction de la Surveillance du Territoire (DST) (Inlandsnachrichtendienst).
Die RG sind eine französische Besonderheit, eine Polizei ohne Vollstreckungsgewalt. Ihre Aufgabe ist die Recherche und Auswertung von Informationen mit dem Ziel, die Regierung über die großen Tendenzen der öffentlichen Meinung, über unlautere Machenschaften und kleine Fehltritte gewisser Persönlichkeiten und Gruppen zu unterrichten; eine besonders undurchsichtige und durchtriebene Organisation. Um das Chaos komplett zu machen, genießt die Pariser Abteilung der RG, die RGPP (Renseignements Généraux de la Préfecture de Police de Paris) weitgehende Autonomie. Es ist diese Abteilung, die Macquart leitet. Die RG haben außerdem eine Sektion »Rennen und Glücksspiele«. (Courses et Jeux), die die Rennbahnen, Kasinos und Spielhallen kontrolliert. Eine unerschöpfliche Quelle an Informationen und Mauscheleien.
Der Inlandsnachrichtendienst DST (Direction de la Surveillance du Territoire) ist zuständig für Spionageabwehr und Terrorismusbekämpfung innerhalb des Staatsgebiets, während die DGSE (Direction Générale de la Sécurité Extérieure), die für dieselben Aufgaben zuständig ist, jedoch außerhalb des Staatsgebiets, aus Militärs besteht und dem Verteidigungsministerium unterstellt ist.
Während der Präsidentschaft von François Mitterrand haben sich die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Polizeiapparaten noch verschärft,