Auf dem Bild aus dem Jahr 1907 stehen im Hintergrund eines grün tapezierten Raumes ein Mann und eine Frau unter der Tür. Sie trägt ein langes rotes Kleid, die beiden Körper scheinen in einem Kuss zu verschmelzen. Im Vordergrund blickt das bleiche Gesicht eines Mannes aus dem Bild, den die Szene in seinem Rücken aufzuzehren scheint. Die ganze Pein spricht aus dem Ausdruck des Eifersüchtigen. Es soll der Dichter Stanislaw Przybyszewski sein und die Frau in der fremden Umarmung seine Frau. Munch war mit dem polnischen Schriftsteller befreundet, der die Frauen liebte; es kam vor, dass sich beide für dieselbe Frau interessierten. So taucht der Rivale auf weiteren Eifersuchtsgemälden auf, von denen Munch zwischen 1895 und 1930 insgesamt elf schuf. Es sind Variationen der Dreieckskonstellation mit einer Frau – dargestellt oft als Verführerin – zwischen zwei Männern, immer ähnlich im Raum angeordnet mit dem Eifersuchtsgrün als Hintergrund. Munch erzählt hier von der Eifersucht, die jeder kennt. Er hebt das Gefühl auf eine überpersönliche Ebene, auch wenn er auf manchen Bildern als dritter Anwesender auszumachen ist. Er selber war ein eifersüchtiger Mann, sah aber auch, wie die Eifersucht die Liebesgeschichten in den Künstlerkreisen in Berlin prägte, in denen er verkehrte.
Die Debatte über emotionale Korrektheit hatte die Literatur erreicht, noch bevor infolge der #MeToo-Bewegung über anstößige Gemälde in den Museen gestritten wurde. Bemerkbar macht sich die neue Empfindlichkeit seit längerem an amerikanischen Colleges, doch deutliche Anzeichen gibt es auch bei uns, wie der Aufstand von Berliner Studentinnen gegen Eugen Gomringers Liebesgedicht an der Fassade der Alice-Solomon-Schule zeigt. Romane und Dramen, die von unmöglicher Liebe und ungezähmtem Begehren erzählen, werden an Schulen in den Vereinigten Staaten wegen vermeintlich verletzenden oder anstößigen Inhaltes von der Liste der Lehrmittel gestrichen oder an entsprechenden Stellen mit Warnungen versehen. »Lolita«, »Othello« oder Ovids »Metamorphosen« werden den Studentinnen und Studenten nicht mehr zugemutet, ohne davor zu warnen, dass die Werke Szenen einer Vergewaltigung enthalten, von Pädophilie handeln, aus Eifersucht gemordet wird oder sich Frauen herabgesetzt fühlen könnten.
Den Wunsch, verschont zu werden, formuliert diese junge Generation selbst. Eine neue Empfindsamkeit prägt ihre Angehörigen, die sich eine reine Kunst guter Menschen zu wünschen scheinen. Wohlbehütet aufgewachsen, hätten die sogenannten Millennials nie gegen Widerstände anzukämpfen gelernt, so jedenfalls lautet eine soziologische Erklärung. Deshalb hielten sie auch andere Sichtweisen weniger gut aus, es brauche mithin ein betreutes Sehen und Lesen. Die Empfindlichkeit ist narzisstisch geprägt: Alles, was zählt, ist das eigene Fühlen und nicht mehr das Unglück der Heldin in einem Liebesdrama. Man fühlt nicht mit der liebeswütigen Penthesilea, sondern fühlt sich durch sie traumatisiert. Vor allem junge Frauen verkörpern diese Mentalität, die auch der Radikalisierung der #MeToo-Bewegung zugrunde liegt. Jedes In-Frage-Stellen des eigenen Weltbildes wird als Angriff auf die persönliche Integrität erlebt, als übergriffig und patriarchal. Statt der Konfrontation sucht man gegenseitige Bestätigung. Alles soll weich und angenehm sein. Nichts weh tun, nichts stören.
Diese Entwicklung zeugt von geringem Wissen über das Wesen des Menschen. Man tut so, als ließe sich mit dem Ausschalten unliebsamer Gefühle auch die Phantasie kontrollieren. Und zwar sowohl jene des Künstlers, der seine dunklen Seiten besser nicht mehr zeigt – obwohl es ihm das Kunstschaffen gerade ermöglichen würde, mit ihnen umzugehen, sie, wie Freud es nannte, zu sublimieren. Genauso erhalten die Phantasien der Beschauerin oder des Lesers keinen Raum mehr, wenn ihnen durch ein Zeig- oder Lektüre-Verbot anstößiger Werke die Möglichkeit entzogen wird, sich auch als Triebwesen zu erfahren. Unser Phantasieleben sei den Ansprüchen der Realitätsprüfung entzogen, schreibt Freud in »Das Unbehagen in der Kultur«. Weiterhin bleibe dieses Phantasieleben aber »für die Erfüllung schwer durchsetzbarer Wünsche bestimmt«. Das sind Wünsche, die der Lustvermehrung dienten, die aber nicht ausgelebt werden könnten, weil sie dem gesellschaftlichen Zusammenleben zuwiderlaufen würden. Auch für den Nicht-Schöpferischen bietet die Kunst laut Freud nun eine Phantasiebefriedigung: Sie sei »Lustquelle und Lebenströstung«. Wobei er eher das ungetrübte Kunsterlebnis meint, wenn er von der »milden Narkose« spricht, in die uns die Kunst versetze. Durch sie könnten wir uns kurz ablenken vom Unglück, das der notwendige Verzicht auf Lusterfüllung mit sich bringe. Es gäbe keine Kultur, wenn wir unsere sexuellen und aggressiven Triebe nicht beständig einschränkten.
Der momentane Kulturkampf weckt noch ein viel größeres Unbehagen, weil er sich jetzt auch ins Phantasieleben einmischt. Leidenschaften werden für überwindbar gehalten, als gehörten sie nicht zum Menschen. Man hält die eigene Widersprüchlichkeit nicht mehr aus. Indem der Trieb verdrängt wird, besetzt man dafür um so mehr die Moral.
Dass ein peinigendes Gefühl wie die Eifersucht als unangemessen, unzeitgemäß betrachtet wird, zeigt sich darin, dass mittlerweile bereits Opern umgeschrieben werden. Kritisiert wird infolge von #MeToo in erster Linie die Frauenfeindlichkeit dieser Kunstform, weil deren Protagonistinnen meistens sterben müssen. So wird in einer Florentiner Aufführung von Bizets »Carmen« die Titelheldin nicht mehr vom rasend eifersüchtigen Don José erdolcht, sondern sie greift nun selber zur Pistole. Am Ende stirbt Don José. Damit, so Regisseur Leo Muscato, wolle er ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen setzen.
Zwar lassen sich Werke aus der bildenden Kunst nicht gut übermalen, will man sie nicht zerstören. Aber stellen wir es uns auch hier vor: Das zerwühlte Bett bei Munch wäre gemacht, die Decke hochgezogen, das Leintuch gespannt, damit man ja nicht auf den Gedanken kommt, der Künstler sei mit seinem Modell darin gelegen. Um den Betrachter nicht zu verstören, schaute der Eifersüchtige im Gemälde »Eifersucht« nicht mit diesen aufgerissenen Augen aus dem Bild, während das Paar sich hinter ihm küsst. Sondern er würde in die Umarmung der beiden aufgenommen. Alle wären friedlich vereint. Und lebten den Traum von der freien Liebe.
Liebe, ein heiliger Wahnsinn
Der poetischen Vorstellung der Liebe stellt sich im Alltag zunehmend ein Pragmatismus entgegen, der weitere Gründe hat. Wer behauptet, keine Eifersucht zu empfinden, kann mit Bewunderung rechnen, zumindest erhält er oder sie eine erstaunte Reaktion. »Ich war nie eifersüchtig«, sagte die französische Schauspielerin Fanny Ardant im Sommer 2017 in einem Interview mit der »Neuen Zürcher Zeitung«, und es klang wie eine Auszeichnung: Ardant, eine Femme fatale des Kinos, hat alles unter Kontrolle, wodurch sie noch gefährlicher wirkt und den Ehrgeiz der Männer reizt.
Auch die mittlerweile knapp 70-Jährige bezog ihre Erfahrungen aus der Literatur: Romane wie »Anna Karenina« oder »Madame Bovary« hätten ihren späteren Umgang mit Männern geprägt, sagte sie. Die eifersüchtigen Frauen in den Romanen hingegen habe sie stets verachtet – »und entschieden, nie so zu werden«. Man scheint sich also entscheiden zu können, ob man eifersüchtig sein will.
Heute hilft einem dabei auch die »Arbeit an der Liebe«. In der Psychologie wird Eifersucht meistens als etwas Defizitäres beschrieben. Sie entspringe einem mangelnden Selbstwertgefühl, beruhe auf traumatischen Erfahrungen in der Kindheit, wodurch ein Grundvertrauen fehle. Oder: Bei der Selbstbezogenheit heute komme es leicht zu narzisstischen Kränkungen; diesen entspringe unnötigerweise auch die Eifersucht: nämlich die Angst, nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. So wird das Gefühl als Störung angesehen und als Krankheit behandelt, ohne zu unterscheiden zwischen starker Eifersucht und einem Ausmaß davon, das man als normal, sogar gesund bezeichnen könnte.
Diese negative Fokussierung ist eine logische Folge der Psychologisierung von Beziehungen und der Liebe, wie sie ab Mitte des letzten Jahrhunderts begann. Die Liebe ist jetzt keine unveränderbare Kraft mehr, sondern man »arbeitet« an ihr, optimiert die Befindlichkeit, versucht manche Gefühle von vornherein zu vermeiden. Damit ist auch die Eifersucht trivial geworden.
Niemand würde bestreiten: Eifersucht kann großes Leiden verursachen. Sie lässt einen erbärmlich fühlen, elend und wertlos. Der Eifersüchtige ist geplagt, zerquält von Misstrauen, seinen Verdächtigungen ausgeliefert. Genauso leidet der Verdächtigte,