Adrian Plass
Tagebuch eines
angeschlagenen Chaoten
Getragen in schweren Zeiten
Aus dem Englischen von Christian Rendel
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86506-865-1
© Copyright der deutschsprachigen Ausgabe 2015
by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: fotolia@Schlierner, fotolia@dmitrimaruta
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
INHALT
WIE ALLES BEGANN
Es ist doch eigentlich seltsam: Als Schriftsteller bin ich wahrscheinlich am ehesten für meine fiktiven humorvollen Tagebücher bekannt. Dabei habe ich in meinem ganzen Leben nie tatsächlich Tagebuch geführt. Warum nicht? Nun, ein Grund ist, dass ich genau weiß, dass ich irgendwann versuchen würde, meine Leser zu unterhalten, wer immer sie sein mögen, und das ist eindeutig nicht der allgemein anerkannte Zweck eines Tagebuchs. Ich schätze, unter dem Strich läuft es zudem darauf hinaus, dass ich als einziger potenzieller Leser meiner Werke mich selbst nicht interessant oder anregend genug finde.
Das Einzige, was entfernte Ähnlichkeit mit dem Schreiben eines Tagebuchs oder Journals haben könnte, ist der monatliche Brief, den ich seit Januar 2014 auf meiner leidgeprüften Website schreibe. Dazu hatte ich mich aus zwei Gründen durchgerungen. Erstens, weil meine Frau fand, das sei eine gute Idee; eine einfache Möglichkeit, mit allen in Kontakt zu bleiben, die sich dafür interessierten, ein wenig darüber zu hören, was sich in unserem Leben tut. Das sagte sie mehrere Male. Sogar etliche Male. Wenn Bridget etwas für eine gute Idee hält, dann ist es oft auch eine. Der andere Grund hat mit Furcht zu tun.
Solange das Leben seinen gewohnten Gang ging, ungestört von größeren persönlichen Katastrophen, hielt ich es nie für nötig, es auf Schritt und Tritt genau unter die Lupe zu nehmen oder zu dokumentieren. Doch wenn das Grauen über unseren Weg hereinbricht, scheint alles langsamer zu werden. Zeiten des Friedens werden zu etwas Bemerkenswertem. Das bewirkt die Furcht. Ich will euch ein wenig darüber erzählen, wie ich Furcht erlebe.
Wie den meisten von uns ist mir Furcht nicht ganz fremd. Einmal habe ich sogar ein Buch über all die Dinge geschrieben, die mir Angst machen. Das war keine leichte Aufgabe, vor allem, weil mir noch gar nicht klar gewesen war, was für eine außerordentliche Vielfalt von Ängsten ebenso Teil von mir waren wie meine Arme und Beine. Es ist nicht viel leichter oder weniger blutig, sich eine chronische Furcht abzuschneiden, als sich einen Arm oder ein Bein zu amputieren. Jesus sagte, es wäre besser, mit nur einer Hand oder nur einem Auge in den Himmel zu kommen, als ganz draußen bleiben zu müssen. Diese erschreckend eindrückliche Metapher hatte ich nie vollkommen verstanden, bis mich das Schreiben jenes Buches dazu zwang, mich eingehend damit zu beschäftigen, wie sehr manche Infektionen des Grauens sich in meinem Denken und Fühlen eingenistet hatten. Wir bestehen aus Schatten und Licht.
Natürlich meint Jesus die Sünde, wenn er davon spricht, sich Augen herauszureißen und Glieder abzuhacken. Ich rede von Furcht, und Furcht an sich ist keine Sünde. Oder wenn, dann hätte auch Jesus sie einige Male begangen, und wir müssten unsere ganze theologische Sichtweise verändern. Nein, wir kommen um solche Zeiten der Dunkelheit nicht herum, und niemand, jedenfalls ganz bestimmt nicht Gott (und höchstens eine kleine Zahl sonderbarer Christen) wird uns dafür verurteilen. Die Frage ist für uns dieselbe, vor der auch Jesus stand. Wie wehren wir die Versuchung ab, uns durch die Furcht von der wichtigen Aufgabe abhalten zu lassen, nur das zu tun, was wir den Vater tun sehen?
Diese Frage lässt sich nicht mit einem jener scheußlichen frommen Sprüche beantworten, die uns keinen Schritt weiterhelfen. Mag ja sein, dass die vollkommene Liebe die Furcht austreibt, aber wenn diese Ansammlung von Wörtern als Etikett herhalten muss, das wir auf etwas kleben, was wir nicht einmal ansatzweise verstehen, dann nützt uns das nicht viel, oder? Im Garten Gethsemane, so wird uns berichtet, hat Jesus gesagt: „Mein Kummer ist so groß, dass er mich fast erdrückt.“ Wir reden von den härtesten Herausforderungen in den härtesten Situationen.
Ja, die Furcht war mir wohl bekannt. Aber im Herbst 2013 passierte mir etwas, was mir neu war. Ich hatte noch nie wirklich mit der Furcht vor dem Tod gerungen. Natürlich war mir wie den meisten von uns Menschenwesen klar, dass einst, wenn mein langer Strom unaufhörlicher Sorgen endlich dünner wird und versiegt, eine bärtige Gestalt mit einer langen Sense in der Hand mich höhnisch grinsend heranwinken wird, um mein Schicksal zu besiegeln, aber die Freuden und Verzweiflungen des Lebens hatten mich davon abgelenkt, mich zu sehr damit zu beschäftigen (vielleicht hatte ich der Scheu davor auch einen geistlich respektableren Anstrich gegeben). Jesus sagt über die allgegenwärtige menschliche Angst vor dem Tod Folgendes:
Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde