BESUCH BEIM SULTAN AUF DEN PRINZENINSELN
25. März, ein herrlicher, sonniger Samstag. Mehmet und Sahin Hodscha fuhren mit der Fähre zu den Prinzeninseln, einer Inselgruppe im Marmarameer südöstlich des Bosporus. Der Sultan und seine Brüder besaßen hier prächtige Häuser mit Dienern und einer Leibgarde. Ohne einen Grund oder eine Einladung war Normalsterblichen der Zutritt zu der Insel verwehrt, und als Onkel und Neffe am Hafen anlangten, wurden sie von der Leibwache des Sultans gründlich nach Waffen durchsucht. Anschließend fuhren sie mit einer Kutsche weiter. Sahin Hodscha wirkte sichtlich nervös, da er nicht wusste, wieso sie dorthin bestellt worden waren – so mancher war lebend hingegangen und tot wieder hinausgekommen. Sie hielten an einem riesigen Tor, vor dem bewaffnete Janitscharen, eine osmanische Eliteeinheit, postiert waren. Einer der Wachen öffnete schließlich den Durchlass und sie konnten passieren. Von weitem sahen sie den Sultan mit seiner Gefolgschaft, der auf einem exorbitanten Anwesen Polo spielte. Der Sultan begrüßte Sahin Hodscha und Mehmet herzlich und fragte, wie es ihnen ginge und wie die Fahrt gewesen sei. Sahin Hodscha wirkte immer noch nervös. Mehmet hingegen schien alles gelassener zu nehmen, er betrachtete das, was während der letzten Tage passiert war, als ein Abenteuer. Der Sultan bat die beiden, zum Abendessen zu bleiben.
Nach dem Essen folgten sie dem Sultan in dessen Arbeitszimmer, das in westlichem Stil eingerichtet war. Möbelstücke aus Eichenholz nach viktorianischem Vorbild trafen hier auf orientalisches Flair.
»Setzt euch«, sagte der Sultan. »Mir wurde von meinem Geheimdienst von einem Ritualmord an der Universität, an der Sie lehren, berichtet. Ein Schüler aus Indien soll gesagt haben, der Meister komme. Ich habe danach zwei Geheimdienstleute auf euch angesetzt, die euch verfolgten. Ihr habt eine Menge Holz gekauft. Ich schätze, um spitze Pfähle daraus zu schnitzen, nicht wahr? Diese Dinge sind mir seit meiner Kindheit bekannt. Ich bekam damals mit, wie mein Vater mit seinem Berater über Dracula sprach. Ich habe hier alte Aufzeichnungen, in denen auch Ihr Name steht. Mein Vater schätzte und mochte Sie und Ihre Familie, Sie haben immer für dieses Land gedient, weshalb ich Sie ebenfalls schätze. Wie Sie wissen, habe ich kein Interesse an schwarzer Magie und ich glaube auch nicht daran, sondern möchte, dass Sie der Sache, ohne viel Aufsehen zu erregen, nachgehen und diesen Schwachsinn beenden. Ich will damit nichts zu tun haben! Wenn mir nochmals Derartiges zu Ohren kommt, werden Köpfe rollen. Sie, Sahin Hodscha, werden Ihren Pflichten an der Universität nachgehen und das Land nicht verlassen. Ich werde Ihnen dieses Mal allerdings keine Soldaten oder finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, für so einen Humbug, wie es mein Vater damals tat.« Der Sultan rieb sich die Augen. »Ihr seid heute Nacht meine Gäste«, beendete er das Gespräch.
»Natürlich, Euer Sultan«, willigten die beiden ein. Auf dem Weg zu den Gästezimmern betrachtete Mehmet die Gemälde, die an den Wänden hingen. Es waren Porträts der Vorfahren des Sultans. Er stand schließlich fasziniert in seinem Zimmer. Die Gästezimmer waren venezianisch eingerichtet, wieder mit orientalischem Flair gemischt. Die Zimmer waren sehr geräumig, alle mit Kamin und einem einladenden Bett. Der Boden war ausgelegt mit feinen persischen Teppichen, die Wände waren tapeziert im venezianischen Stil in brauner Farbe mit goldenem Blumenmuster. Das Bett war im viktorianischen Stil aus massivem Eichenholz gebaut, mit dicken daunengefüllten Kissen und Decken. Etwas Vergleichbares hatte er vorher noch nie gesehen, außer auf Zeichnungen und Gemälden aus dem Westen. Mehmet kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Danach starrte er wie immer auf die Kiz Kulesi, die er auch von hier aus gut sehen konnte. Nach einer Weile legte er sich schlafen. Am nächsten Morgen weckte Sahin Hodscha, der erleichtert darüber war, dass der Sultan ihm freie Hand gab, seinen Neffen, der das Bett regelrecht umklammerte.
»Steh auf, wir sind zum Frühstück eingeladen.«
Der Sultan war bereits früh abgereist in den Palast nach Istanbul zum Topkapipalast. Seine rechte Hand Sayid, der Obergeneral der Janitscharen, empfing Sahin Hodscha und Mehmet und entschuldigte die Abwesenheit des Sultans. Sayid war ein Waisenkind, das der Sultan in den Trümmern des Krieges des osmanischen Feldzugs im Orient gefunden hatte. Sayid zog seinerzeit ein Messer und wollte die Soldaten angreifen, was den Sultan amüsierte. Dieser war angetan von dem Mut des damals Zehnjährigen und nahm ihn zu sich. Er wuchs mit dem Prinzen im Palast auf, wurde in der Kriegskunst ausgebildet und sein Anblick war einschüchternd. Sayid war ein Mann von großer kräftiger Statur mit sehr ernsthaften Gesichtszügen und einer tiefen dunklen Stimme. Ein Mann der wenigen Worte. Die Janitscharen gehörten der Armee an und wurden so erzogen, dass sie das Korps als ihre Heimat und Familie und den Sultan als ihren Vater anerkannten. Nur diejenigen, die sich als stark genug herausstellten, verdienten sich im Alter von vierundzwanzig Jahren den Rang eines echten Janitscharen. Sie wurden unter strikter Disziplin und harter Arbeit in speziellen Schulen ausgebildet, wo sie dem Zölibat unterworfen waren und dem Islam beitraten. Im Gegensatz zu den freien Moslems durften sie nur einen Schnurrbart und keinen Vollbart tragen. Die Janitscharen lebten ausschließlich für den Krieg, heirateten nicht, besaßen keinen Besitz und bezogen kaum Sold. Sie dienten dem Sultan loyal bis zum Tod. Sayid jedoch war viel mehr als das, der Sultan vertraute ihm und schätzte ihn mehr als seine leiblichen Brüdern oder Verwandten.
Sayid führte Sahin Hodscha und Mehmet an den Strand, wo einhundert Mann einer Armee, die nur aus Janitscharen bestand, trainierten. Mit den Schwertern und Bogen in der Hand erweckten sie den Eindruck von lebenden Tötungsmaschinen. Mehmet und Sahin Hodscha stockte der Atem.
»Ich bin dabei, wenn ihr mich braucht. Ihr könnt auf mich zählen, denn ich glaube an das Böse und ich werde es bis zum Tod bekämpfen. Auch wenn mein Herr nicht daran glaubt, ich tue es. Ich habe es zu oft gesehen, das Böse. Es hat mir alles genommen, meine Familie, meine Heimat, alles, was ich geliebt habe! Überall herrscht das Schlimme«, sagte Sayid mit tiefer Stimme.
Die beiden waren erstaunt über diese Worte, sie stellten auch keine weiteren Fragen und bedankten sich. Sayid begleitete sie bis zur Kutsche und verabschiedete sich. Für Sahin Hodscha war dieses Wochenende auf der Prinzeninsel überraschend und verwirrend. Er fragte sich, wieso ausgerechnet der Obergeneral der Janitscharen sich anbot. Wusste er vielleicht mehr, als er sagen wollte?
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