»Es wurde beschlagnahmt«, erklärte er. »Im zeitlichen Umfeld des Jupiter-Ereignisses. Der Kommandant, der es geflogen hatte, wurde degradiert, später allerdings rehabilitiert. Mit den Details habe ich mich nie beschäftigt. Die Akte ging über den Tisch eines meiner Beamten.«
Jennifer gab ihm zu verstehen, dass er die Klappe halten konnte.
»Ob wir an Bord gehen können?«, fragte sie mich leise.
Ich wiegte den Kopf. »Wie ich sehe«, wandte ich mich an Kauffmann, »haben sie einige Modifikationen vorgenommen.«
Der Sekretär schob sich neben uns und spähte neugierig auf das Schiff hinaus, dessen gewaltiger Leib jetzt im grellen Weißlicht kräftiger Strahler glänzte. »Nun«, sagte er ausweichend. »Alles, was ich weiß, ist, dass es ziemlich mitgenommen war. Es wurde von Grund auf überholt und gewartet, und wohl auch auf den neuesten Stand gebracht.« Er sah mich ratlos an. »Wenn Sie wünschen, kann ich morgen den Leitenden Ingenieur einbestellen, der dafür verantwortlich war.«
Ich registrierte daran zunächst die ganz neue Bereitschaft eines Entgegenkommens. Deshalb beließ ich es vorläufig dabei, ihm dankend zuzunicken.
»Die Torpedoschächte wurden auf Omega-Kanonen umgerüstet«, sagte Jennifer. »Und in das Leitwerk wurde eine Zett-Zwei-Flosse eingezogen.« Sie blickte Kauffmann voller Anerkennung an, der aber offenbar nur Bahnhof verstand. »Ich glaube, ich habe euch Zivilisten unterschätzt“, säuselte sie. »Darauf kann man aufbauen!«
In den nächsten Tagen setzten wir unsere diplomatischen Bemühungen fort. Jennifer überließ das weitgehend mir. Ich war der Besonnenere, und ich hatte auch wesentlich mehr Erfahrung in diesen Dingen. Während sie sich einen kleinen Stab von Technikern und Ingenieuren zusammensuchte und eingehend die Jägerflotte und die ENTHYMESIS inspizierte, kletterte ich auf der Leiter der Hierarchien und Zuständigkeiten auf und ab. Ich ging mit aller Behutsamkeit und Langmut zu Werke, die wir uns unter den gegebenen Umständen leisten konnten. Das Bewusstsein, dass uns die Zeit davonlief, war dabei mein ständiger Begleiter. Zustatten kam mir, dass der Persönliche Sekretär Gordon Kauffmann eine unerwartete Kooperationsbereitschaft an den Tag legte. Irgendetwas musste in den unterirdischen Hangars mit ihm vorgegangen sein. Hatten wir ihn anfangs so in die Enge gedrängt, dass ich zwischenzeitlich fürchtete, er werde nach diesem Lokaltermin jeden weiteren Kontakt mit uns verweigern, so zeigte er sich im Nachhinein plötzlich umgänglich, aufgeschlossen und über alle Maßen hilfsbereit. Rational war es kaum zu erklären. Ich vermutete, dass es mit dem Anblick der ENTHYMESIS zusammenhing, der auf einen Zivilisten beeindruckend, um nicht zu sagen: furchteinflößend genug war. Wir hatten ihm unser Schoßhündchen gezeigt, und dieses Schoßhündchen war zufällig eine Dänische Dogge. Jetzt wusste er jedenfalls, was für Leute wir waren, und er beeilte sich, uns zu Diensten zu sein.
Diese Dienste konnte ich auch dringend brauchen. Ohne seine Funktion als Türöffner, juristischer Berater, Dolmetscher des politischen und verwaltungstechnischen Jargons und nicht zuletzt seelischer Beistand hätte ich es nicht geschafft. Zunächst ging es darum, meinen Anspruch auf die ENTHYMESIS geltend zu machen. In rascher Folge wurde ich von einem Zimmer ans nächste verwiesen. Mehrere Tage brachte ich in den Vorzimmern der Herren und Damen Minister, Direktoren und Sekretäre, Beauftragten und Kommissare, Generale und Behördenleiter zu. Meine Aufenthalte in den eigentlichen Büros und Besprechungszimmern der Herrschaften währten stets nur wenige Minuten. Ich sagte stets mein gleiches Sprüchlein auf, das Ergebnis war ebenfalls stets das gleiche, nämlich keines. In der Regel nannte man mir einen weiteren Namen, eine neue Zimmernummer, eine andere Abteilung. Am Ende stand zu befürchten, dass die Vorgänge in der Nacht von Pensacola in einem förmlichen Revisionsprozess neu aufgerollt werden würden. Das würde Monate dauern, aber wir hatten nur noch Wochen, vielleicht nur noch ein paar Tage. Ich beschloss daher, meine Taktik zu ändern.
Statt zu bitten und Rat einzuholen, stellte ich Forderungen und erhob Ansprüche. Statt höflich zu sein, wurde ich auftrumpfend. Statt mich abspeisen zu lassen, leistete ich mir einige Ausfälle. Statt mich auf der Ebene des mittleren Verwaltungsbaus hin und her schieben zu lassen, schrie ich mich zum jeweiligen Vorgesetzten durch. Statt zu fragen, ordnete ich an. Statt zu grüßen, erteilte ich Befehle. Statt diplomatisch vorzugehen, wurde ich unverschämt. Schließlich richtete ich mich direkt an den Kanzler, die Zuständigkeit des Ministers großzügig überspringend. Es kam zu einer persönlichen Unterredung, der ersten seit seinem Fünfminuten-Besuch an unserem Quarantäne-Bett. In eindringlichen Worten und sekundiert durch Kauffmann, den ich zuvor noch einmal ins Gebet genommen hatte, versuchte ich ihm die Situation klarzumachen. Wir waren in einem Shuttle hierher gekommen, das wir auf dem Raumhafen von Sina City im Rahmen eines verlustreichen Feuerüberfalls entwendet hatten. Die Sineser wussten, dass wir hier waren, oder sie würden es durch die nächste Warpsonde erfahren, die in spätestens zwei Wochen das Sonnensystem verlassen würde. Ich erläuterte ihm die Situation der MARQUIS DE LAPLACE und legte ihm die Lage der neugegründeten Kolonien in der Eschata-Region dar. Das prekäre Schicksal Jill Lamberts und WO Taylors verschwieg ich ihm, ebenso unsere Abmachung mit den Tloxi. Ich hütete mich, Jennifers Plan, den sie noch in den Katakomben von Sina City entwickelt hatte, auszuplaudern.
Der Kanzler hörte mir wohlwollend und konzentriert zu, aber er machte den Anschein, als rede ich in einer ihm nicht geläufigen Sprache. Er hatte die Ochsentour durch die Zivilverwaltung gemacht. Weiter als bis zu den Mondstationen und den Marsbasen war er nie gekommen. Er konnte sich unter den Räumen jenseits des Asteroidengürtels genauso wenig vorstellen wie unter einem generatorgestützten, phasenverschobenen Warpantrieb. Als Mann des Volkes, der er im Grunde war, war er froh, dass die Seuchen abgeklungen waren und dass die Ernährung der Bevölkerung wieder sichergestellt war. Er empfand Erleichterung darüber, dass die Ringe, die aus dem Jupiterdurchgang hervorgegangen waren, sich stabilisiert hatten und dass der Meteoritenregen, den sie anfänglich gespeist hatte, zurückging. Auf seine defensiven Maßnahmen, von deren Entschlossenheit wir uns hatten überzeugen können, war er zu recht stolz. Alles weitere überstieg seinen Horizont. Er war im Inneren seines Herzens ein bodenständiger Mensch, der schlechterdings nicht glauben wollte, was ich ihm an Bedrohungsszenarien an die Wand malte. Er hatte im Leben keinem Sineser gegenübergestanden, und obwohl er selbst dieser Partei nicht angehörte, wusste er, dass es eine wachsende Fraktion von Leuten gab, die schlechterdings leugneten, das Jupiter-Ereignis stünde überhaupt in einem kausalen Zusammenhang mit Handlungen, die von Sina ausgegangen seien. Dass Sina nie die offizielle Verantwortung für die Attacke übernommen hatte, erwies sich von hier aus als genialer Schachzug. Tragischerweise waren es die potentiellen Opfer, die darauf hereinfielen und die sich noch etwas darauf zugute hielten.
Ich musste meine gesamte Überredungskunst aufbieten, um ihn davon zu überzeugen, dass Sina existierte und dass dort keine guten Menschen wohnten. Glücklicherweise kamen mir nicht nur Gordon Kauffmann, sondern auch einige der anderen Adjutanten und Sekretäre des Kanzlers zuhilfe, die der Auseinandersetzung gefesselt folgten. Ich vermutete, dass auch sie von ihren eigenen Beweggründen getrieben wurden. Sie standen dem militärischen Stab näher als dem zivilen und erhofften sich etwas für ihre eigene Karriere, oder sie hatten einen Onkel, der eine Fabrik für Torpedoplasma betrieb. Das alles konnte mir gleichgültig sein, solange es meine Position stärkte. Kauffmann kannte sich hier besser aus, und er wusste es geschickt zu benutzen. Ich merkte es daran, wie er einzelne Berater des Kanzlers mehr ins Gespräch zog, während er anderen das Wort abschnitt. Das meiste, was dabei hinter den Kulissen ablief, musste mir verborgen bleiben. Ich legte auch keinen Wert darauf, in die persönlichen Intrigen eingeweiht zu werden, die bei einem solchen Vorgang auch noch alle berücksichtigt werden mussten.
Am Ende kam ein klassischer Formelkompromiss heraus. In der Präambel des Papiers, das dazu aufgesetzt wurde, wurde der rein defensive Charakter unserer Maßnahmen hervorgehoben. Der Kanzler übergab mir weitreichende Kompetenzen, und ich verpflichtete mich, diese einzig zur Beförderung des Friedens und zum Wohle der unierten Menschheit zu benutzen. Dann kam das Kleingedruckte. Mir wurde das sinesische Shuttle, die ENTHYMESIS, sowie die Hälfte der Jägerflotte unterstellt. Ihr offizieller Auftrag war es, in die Eschata-Region verlegt zu werden, um die dort neu gegründeten Kolonien zu