Uwe Pfeifer ist gerührt, nimmt trotzdem wahr, dass sie von einem Plan spricht, den sie am Nikolaustag in die Tat umsetzen will.
„Pia Vogels Mann“, denkt er, „ist bestimmt für viele Gespräche der kommenden Nachmittage tauglich.“
Er lauscht ihren Worten und fragt sich, ob er nicht schon um Kaffee bitten kann oder ob es höflicher ist, damit zu warten.
Pia Vogel setzt Kaffeewasser auf. Pfeifer findet es wunderbar, wie sie ihm die Wünsche von den Augen abliest.
„Bis morgen“, sagt sie, als der Kuckuck die Trennungsstunde meldet.
Nach dem Überqueren der Straße wird aus dem Lustesser Pfeifer wieder der Patient, der frustriert vor der Kalorienkiller-Brühe sitzt.
Dank Pia Vogels Kochkunst schläft er in der Nacht tief und fest. Fast hätte er seinen Frühsport versäumt.
„Pia Vogel hat einen Plan, einen Plan, der ihren Mann betrifft“, überlegt er, während er mit zwanzig anderen Dicken durch den Park keucht.
Aber Pfeifer kann es nicht lassen, sich auf das nachmittägliche Mahl einzustimmen. Er guckt durch das Fernglas und was er da sieht, erregt ihn. Die schöne Nachbarin verrührt Eier, Zucker und Mehl. Viele leckere Backzutaten liegen auf dem Küchentisch. Er erkennt Hagelzucker, Vanillestangen, Kokosraspeln, Rosinen, Nüsse und Mandeln, alles, was eine gute Hausfrau für die Weihnachtsplätzchenbäckerei braucht.
Dunkel schweben ihm noch ihre Gesprächsfetzen von gestern durch den Kopf. Ist heute nicht Sonnabend, der Tag an dem Herr Vogel den Kühlschrank ausräumen wird, um den Inhalt mit seiner neuen Frau zu verzehren?
Siedendheiß kommt ihm der Gedanke, dass dieser Mensch, dieser Unmensch, alle Plätzchen einpacken wird. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn. Am liebsten wäre er sofort losgelaufen, um wenigstens ein paar der Köstlichkeiten zu retten, doch er zwingt sich zur Ruhe, der Ehemann wird bestimmt erst am Abend auftauchen. Pfeifer sitzt am Fenster und wartet. Die Zeit schleicht. Er drückt das Glas an die Augen. Die Plätzchen müssten längst fertig sein. Da, endlich holt Pia Vogel das Kuchenblech aus dem Ofen und trägt es zum Tisch. Knusprig und braun lachen ihn die süßen Leckereien an. Seine Gier wächst. Punkt 16.00 Uhr steht Uwe Pfeifer vor Pias Tür und stürmt in die Wohnung. „Seien Sie nicht so ungeduldig“, flüstert sie. „Bald koche und backe ich nur noch für Sie.“
Er hört ihre Worte nicht, denn er muss sehen, ob die Plätzchen für ihn bestimmt sind.
Auf dem Küchentisch liegt ein großer Stoffstiefel, geschmückt mit grüner Tanne und roten Schleifen, prall gefüllt mit den leckeren Backwaren.
„Na, was sagen Sie dazu? Die Überraschung wird meinem Mann sicher gefallen.“
Pfeifer erstarrt, er hat es geahnt, die Köstlichkeiten waren nicht für ihn bestimmt. Nein, der Rohling wird sie mit seiner Geliebten verzehren, und er wird leer ausgehen.
Da klingelt das Telefon.
„Bin gleich wieder da“, ruft Pia und verlässt die Küche.
Jetzt oder nie.
Pfeifer öffnet den Nikolausstiefel, stopft sich mehrere Plätzchen in die Taschen, einige schiebt er sofort in den Mund. Er kaut und schluckt gierig. Und plötzlich ist ihm, als explodiere etwas in seinem Magen, gleißendes Weiß füllt seinen Kopf, dann breitet sich die Helligkeit in seinem ganzen Körper aus.
Er sackt auf den Bodenfliesen der Küche zusammen.
Pia Vogels entsetzte Schreie sind in seinem Schmerz die letzte Wahrnehmung. „Diese Kekse habe ich doch für meinen Mann gebacken!“ Laut und hysterisch ruft sie es mehrere
Male, so, als könne sie Uwe Pfeifer dadurch wieder lebendig
machen.
Dann wird es still.
Nur das Rattern der S-Bahn ist von Ferne zu hören.
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