Der „Wasservorhang“ im Tempel der Nacht auf Schloss Schönau, um 1800
Blick auf Schloss Schönau, 2019
„Akte X“ auf Schloss Schönau
Im Schloss Schönau hatte Erzsi ein Zimmer, das in einem sonst unbewohnten Trakt des weitläufigen Gebäudes lag. Grundsätzlich war das Schloss auf Gäste ausgerichtet, es verfügte über viele Schlafzimmer, eine große Küche mit den besten Köchen, repräsentative Speiseräume und vor allem über einen wunderbaren Garten, der von Erzsis ausgesuchten Gärtnern nach ihren Wünschen gestaltet worden war. Er gehörte zu den schönsten in Österreich. Erzsi ließ es sich nicht nehmen, Postkarten mit Ansichten ihres üppig blühenden Parks drucken zu lassen. Man kann diese heute im Heimatmuseum in Schönau besichtigen.
Doch in ihr Boudoir, eine Art Privatheiligtum, das mit Dutzenden Erinnerungsstücken aus der Monarchie vollgestellt war, durfte außer ihren Kindern niemand eintreten. Und auch diese nur einzeln und nach Voranmeldung. Gerahmte Fotos ihrer Vorfahren standen sogar an die Stuhlbeine gelehnt, hauptsächlich Fotos von Kaiserin Elisabeth und Kronprinz Rudolf. Sitzbezüge und Überwürfe waren mit Vögeln bedruckt, Tiere, die Erzsi sehr liebte. Ihr Vater Rudolf war ein sogar in Biologenkreisen anerkannter Ornithologe gewesen und er hatte mit Erzsi in den wenigen Jahren, in denen er seine Tochter aufwachsen sah, viel über das Leben der Vögel gesprochen. Noch im hohen Alter konnte Erzsi die Vögel im Park ihrer Penzinger Villa anhand deren Rufe identifizieren. In Schönau besaß sie einen Papagei, der „Erzsi!“ rief, was sie ihm selbst beigebracht hatte. Ansonsten war der Raum erfüllt vom Duft der unzähligen Blumen, die an genau definierten Plätzen stehen mussten: Azaleen, Rhododendron und je nach Blütezeit Flieder, Jasmin, Begonien, Veilchen. Auch einige Aquarelle ihrer Mutter Stephanie hingen hier und Darstellungen des blühenden Schönauer Gartens, die ein von ihr beauftragter Künstler geschaffen hatte. Szenen von ihren Reisen an die Adria und die Nordsee konnte man ebenso sehen wie Kriegsschiffe, die an ihre leidenschaftliche Beziehung zu einem U-Boot-Kapitän erinnerten. Die Liaison hatte mitten im Ersten Weltkrieg in einer Katastrophe geendet und für Erzsi versank – wie für viele andere – die Welt nach 1918 im Chaos. Halt und Hoffnung mussten neu erworben werden und in dieser unsicheren Zeit waren Metaphysik und Magie gefragter denn je. Der schrecklichste Krieg, den die Menschheit bis dahin erlebt hatte, die Krise nach einer erschütterten Weltordnung: All das nahmen viele als etwas Unvorstellbares wahr, etwas, das man davor nicht für möglich gehalten hätte, das die schlimmsten Befürchtungen übertroffen hatte. Kartenleger und Hellseher hatten bei manchen Bevölkerungsgruppen Hochsaison. Der hypnotische Sog des Okkulten eroberte bürgerliche Salons und Hinterzimmer, faszinierte Künstler und Avantgardisten.
Die Toten lebten noch in den Köpfen, sie waren noch nicht richtig „begraben“. Auch in Erzsis Kopf lebten solche „Tote“, ihr Vater und ihr im Krieg gebliebener Freund. Auch sonst wurde viel gestorben in Erzsis Familie, ihr Großonkel war in Mexiko erschossen worden, ihre Großmutter und ihr Großcousin fielen politisch motivierten Attentaten zum Opfer. Zuspruch und Trost gehörten zu den Dingen, die Erzsi in ihrem Leben oft schmerzlich vermisst hatte. Sie hätte Freunde zum Reden gebraucht, Unterstützung und Verständnis in ihrer Trauer. Nach dem Ersten Weltkrieg waren es gerade die einsamen Frauen, die spiritistische Zirkel gründeten, um mit „der anderen Welt“ in Kontakt zu treten. Sie klammerten sich an die Vorstellung, die geliebten Toten seien in einer anderen Daseinsform oder auf einer anderen Ebene noch lebendig. Erzsi suchte unter anderem Beruhigung in der Astrallehre, wonach astrale Ebenbilder mithilfe von magnetischen Strichen, die das Fluidum aus dem Körper drängen sollten, sich materialisieren könnten. Diese „Doppelgänger“, Kopien der Versuchsperson, seien in Spiegeln sichtbar und könnten fotografiert werden. Derartige Inhalte wurden damals in Broschüren verbreitet, die sich mit der „praktischen Anwendung des Okkultismus im täglichen Leben“ und mit der „Entfaltung des eigenen Willens“ – so ein Werk – befassten.
Erzsi war als Person mit einem extrem stark ausgebildeten Willen bekannt und es erscheint verständlich, dass ihr theosophische Schulen (etwa Rudolf Steiner, Helena Blavatsky), die die Astrallehre und ähnliche alternative Wahrnehmungen propagierten, nahestanden. Frau Elisabeth Windisch-Graetz gehörte zu den Stammkunden der „Zentralbuchhandlung für Okkultismus“ in der Linken Wienzeile, die von Andreas Pichl geführt wurde. Pichl war in Wien eine Integrationsfigur für alle, die sich dem Okkulten und Mystischen verschrieben hatten. Er veranstaltete auch Konzerte und Vorträge zu einschlägigen Themen, außerdem engagierte er sich als Präsident der Carl-du-Prel-Gemeinde. Du Prel gehörte ähnlich wie Schrenck-Notzing zu den führenden Gelehrten auf dem Gebiet der Grenzwissenschaften, auch wenn die beiden Forscher gelegentlich Differenzen ausfochten. Du Prel hatte sich viel mit den Vorläufern des Okkultismus befasst, also mit dem Mesmerismus und der „Mondsucht“. Wie Schrenck-Notzing setzte er sich für die Integration des Spiritismus und der Hypnoseforschung in den Kanon der Naturwissenschaften ein. Den Menschen beschrieb du Prel als „Bürger zweier Welten“, wobei das irdische Leben einen „Spezialfall“ des eigentlichen, jenseitigen und transzendentalen Daseins darstelle.
Bei Pichl erwarb Erzsi das dreibändige Werk „Die Geschichte des Spiritismus“, das ihr Sohn Franzi später in den persönlichen Hinterlassenschaften seiner Mutter wiederfand. Erzsi lernte, dass Medien Phänomene bewirken könnten, die auf deren besondere psychische Disposition zurückzuführen seien. Innere Kräfte könnten als Emanationen von Fluiden sichtbar werden. Bei Sitzungen sei es möglich, dass Erscheinungen, Stimmen und andere Manifestationen des Übernatürlichen auftreten könnten. Immer gehe es darum, diese „Visionen“ durch den eigenen Willen beherrschbar und lenkbar zu machen. Sie las vom sehr berühmten Medium Eva C. (Marthe Béraud), deren Vorstellungen pornografischen und – wie später publik wurde – betrügerischen Charakter hatten. Den größten Celebrity-Status in der Welt der Parapsychologie konnte damals Eusapia Palladino für sich in Anspruch nehmen, eine süditalienische Waise, die mit Illusionisten auf Tour gegangen war und auf diese Weise wohl einige optische Tricks erlernt hatte, die sie später zum Besten gab. Ihre Bekanntheit ging auf Levitationsphänomene zurück. Sie konnte angeblich schwere Gegenstände wie Tische von 22 Kilogramm Gewicht durch die Luft segeln lassen. Ebenso konnte sie Gegenstände verrücken, ohne diese anzufassen, man hörte Musik spielen, ohne dass dafür eine Quelle zu erkennen gewesen wäre. Sie soll weiters tastbare Materialisationen hervorgerufen haben, die unsichtbar gewesen seien; sie hinterließen aber Abdrücke in Paraffin. Es gab menschliche und tierische Erscheinungen, alle begleitet von elektrischen und thermischen Phänomenen.
Die vielen Experimente mit den Medien sollten zu einer empirischen, tendenziell evidenzbasierten Metaphysik beitragen. Manchmal gelang es, zumindest die Möglichkeit von „mind over matter“ zu demonstrieren; doch letztlich blieben Schrenck-Notzing und seine Mitstreiter in einer Reihe endlos wiederholter Kunststückchen stecken. Man kam über das rein Deskriptive und/oder Spekulative nicht hinaus. Doch nach außen hin war Schrenck-Notzing in der damaligen Zeit ein bestens vernetzter Wissenschaftler mit einer Menge an Bewunderern und das „Vergebliche“ seiner Bemühungen war damals nicht so offensichtlich, wie es uns heute zu sein scheint. Solange die „Seriosität“ der Unternehmungen gewährleistet war, zeigte sich Erzsi für die Versprechungen und Reize des Okkulten jedenfalls sehr empfänglich.
Séancen
Erzsis Boudoir ist versiegelt, die Türen sind von innen versperrt. Im Raum herrscht