50 Dinge, die ein Wiener getan haben muss. Alexandra Gruber Carina. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexandra Gruber Carina
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783990404065
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Maria Theresias Sohn Joseph II. griff in seinem Reformeifer stark in die Aufführungspraxis des Theaters ein: Um die Untertanen nicht zu deprimieren, wurden etablierte Stücke wie Shakespeares Romeo und Julia und Hamlet mit dem sogenannten „Wiener Schluss“ versehen – die Protagonisten durften nicht sterben.

      Werner Rauch ist einer der sechs Führer durch das Burgtheater. Abseits der Haupträume wie Vestibül, Bühne und Zuschauerraum gibt es die Möglichkeit, „hinter die Kulissen“ des Theaters zu schauen. In kleinen Gruppen klettern die Besucher auf den Schnürboden 28 Meter über der Bühne, von wo aus während der Vorstellungen die Kulissen gewechselt werden, und drehen Runden auf der ältesten Drehzylinderbühne der Welt. Man besucht die Werkstätten im Keller und durchstreift die Lüftungskanäle des Theaters, steigt die Feststiegen hinauf und kann den Bühnenarbeitern vom Zuschauerraum aus beim Arbeiten zusehen. Das Burgtheater, das zu den berühmtesten Theaterhäusern der Welt gehört, bietet Theater- und Kunstinteressierten allerhand Bemerkenswertes. So lässt sich zum Beispiel die Feststiege beschreiten, die früher dem Kaiser vorbehalten war. An der Decke der Kaiserstiege ist ein Gemälde des berühmten Jugendstilmalers Gustav Klimt zu entdecken – hier noch im Stil der Historienmalerei ausgeführt. Dieses enthält übrigens auch das einzige Selbstporträt Klimts.

      Man erfährt auch einiges an zeitgenössischem Klatsch, etwa dass der Kaiser bei seinen Besuchen einen Spiegel vor sich hertragen ließ, damit er seine Geliebte Katharina Schratt betrachten konnte, dass eine mazedonische Freiheitskämpferin in den Rängen einen Mann ermordete und dass es honorige Schauspieler gab, die sich nach durchzechten Nächten nicht mehr erinnerten, welches Stück sie gerade spielten.

      In der Kantine des Burgtheaters bewirtet Herr Heinz neben Bühnenarbeitern, Schauspielern und Regisseuren auch Besucher, die so einigen Einblick in den Theateralltag bekommen. An der Wand hängt ein Fernsehapparat und überträgt die Aktivitäten auf der Bühne, die zweimal täglich umgebaut wird. Über einen Lautsprecher rufen die Inspizienten die Schauspieler auf die Bühne. Tagsüber ist die Kantine auch für Besucher geöffnet, abends ist sie den Mitarbeitern des Theaters vorbehalten.

       Keller als Sammelsurium

      Nicht ganz so prominent, aber umso interessanter ist der Kellerbereich des Burgtheaters: Abseits von Bühne und Zuschauerraum bildet er so etwas wie das Herz des Theaters. Jede Ausbuchtung der verwinkelten Gänge des Kellers wird zur Lagerung von Requisiten genutzt, überall gibt es Stühle, Koffer, Musikständer und ausgebleichte Kostüme. In einer Vitrine hängt die Uniform Franz Ferdinands aus Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit, daneben stehen ein Sarg, ein Moped. Auf jedem Gegenstand klebt ein Zettel, damit die Bühnenarbeiter wissen, zu welchem Stück er gehört. Werden die Requisiten nicht mehr gebraucht, werden sie am Burgtheaterflohmarkt, der in unregelmäßigen Abständen stattfindet, verkauft.

      Mitten im Keller findet sich der Sockel der Drehzylinderbühne. Diese wurde im Zuge des Wiederaufbaus des Burgtheaters 1954 eingebaut und wiegt 350 Tonnen. Mit ihrer Hilfe können Bühnendekorationen innerhalb von vierzig Sekunden geräuschlos gewechselt werden.

       Rosenduft und Lüftung

      Im Keller residiert auch Herr Martin, der „Wächter der Theaterluft“. Mithilfe des „wichtigsten Radls“ des Theaters, dem Steuerrad für die Belüftungskanäle, regelt er vom Keller aus Temperatur und Luftzufuhr. Die Zugvorrichtung, die mit dem Drehrad verbunden ist, scheint einem Jules-Verne-Roman zu entstammen und läuft kreuz und quer durch den labyrinthischen Keller bis zu einem Lüftungstor unter dem Volksgarten, wo die Luft für den Zuschauerraum angesaugt wird. Kaiser Franz Joseph hatte gar die Idee gehabt, mit der Luft gleich auch noch Rosenduft aus den Rosenbeeten des Volksgartens anzusaugen. Funktioniert hat die Idee, das Burgtheater auf diese Weise zu parfümieren, freilich nie. Ihren eigentlichen Zweck erfüllt die ebenso simple wie geniale Konstruktion aber immer noch tadellos, auch wenn es auf den Stehplätzen in den schwindelerregenden Höhen der Galerie schon einmal bis zu vierzig Grad heiß werden kann.

       Workshops

      Für jene, die gerne einmal am Burgtheater spielen möchten, werden Theaterworkshops angeboten. Im kuppelförmigen Dach, in 43 Metern Höhe, verbirgt sich ein Theaterraum: der Lusterboden. Hier unterrichten Theaterpädagogen junge Nachwuchsschauspieler und zeigen diesen, wie sie mit vollem Körpereinsatz den richtigen Ton treffen oder scheinbar langweilige Alltagssituationen in unterhaltsame Stücke verwandeln.

      Als besonderen Service für Blinde und Sehbeeinträchtigte bietet die Burg mit dem Projekt „Theater4All“ einmal im Monat Vorstellungen mit Live-Audiodeskriptionen an, wo Sprecher die Bilder des gesamten Stückes beschreiben. Außerdem werden alle Aufführungen für Besucher mit Hörgeräten mittels Induktion akustisch verstärkt, damit wirklich jeder in den Genuss einer der besten Bühnen der Welt kommt.

      Burgtheater: Universitätsring 2, 1010 Wien. Führungen beginnen beim Haupteingang in der Kassenhalle. Dauer: ca. 50 Minuten. Keine Anmeldung erforderlich, Spezialführungen (Schnürboden, Keller) müssen separat gebucht werden. Preise: Erwachsene 6,50 €, Senioren 5,50 €, Kinder/​Schüler/​Studenten 3 €.

       www.burgtheater.at

      09

      DEMOKRATIE UND NACKTE GÖTTER

      Innere Stadt | Parlament

      Bürger sind nicht immer glücklich mit den Entscheidungen, die im Parlament getroffen werden. Trotzdem lohnt sich ein Besuch. Denn sonst würde man nicht erfahren, was es mit dem Kaiser im Nachthemd auf sich hat und wie man Politiker zum Gespräch treffen kann.

      Es wäre nicht Wien, wenn der Bau des Parlaments nicht von spöttischen Bemerkungen, Debatten und Skandalen begleitet worden wäre. Einigen Abgeordneten war das neue Parlament mit 1600 Zimmern zu groß, die geplante „Austria“ am Brunnen vor dem Haus führte zu hitzigen Debatten und einige mokierten sich über die nackten Statuen.

      Ende des 19. Jahrhunderts war die Ringstraße eine große Baustelle. Das Volks- und Burgtheater, die Oper, das Rathaus, die Universität, das Natur- und das Kunsthistorische Museum wurden errichtet und auch das Parlament: geplant im klassizistischen Stil vom dänischen Architekten Theophil Hansen. Selbstverständlich begleitete den Bau die übliche Wiener Geräuschkulisse.

      Vor dem Parlament sollte eigentlich eine personifizierte „Austria“ stehen. Dies führte zu heftigen Debatten im Vielvölkerstaat. Vertreter der Volksgruppen kritisierten, die Allegorie würde nur den deutschsprachigen Teil des Reichs repräsentieren, also entschied man sich doch für die neutralere Variante, die griechische Göttin Pallas Athene. Dass die Göttin der Weisheit dem Parlament letztlich den Rücken zukehrte, sei freilich schon damals Anlass für Spott gewesen, so erzählt es zumindest der Parlamentsguide.

      Die Führungen im Parlament sind aber nicht nur vergnüglich, sondern für Staatsbürger auch lehrreich – man erfährt einiges über die Herausforderungen des Parlamentarismus, die Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung und die wechselvolle Geschichte des Hauses. Wäre es nach Kaiser Franz Joseph gegangen, hätte dieses nie erbaut werden sollen. Parlament und Verfassung gewährte der Kaiser dem Vielvölkerstaat nur gnadenhalber – zeitlebens behielt er sich die Letztentscheidung über die verabschiedeten Gesetze vor. Deshalb ist er auf dem Giebel des Parlaments auch als römischer Imperator zu sehen. Die Wiener allerdings, Meister des subversiven Wortwitzes, nannten den Imperator in Toga nur den „Kaiser im Nachthemd“.