„Sind nicht alle Pudel schrecklich?“, fragte mein Grundschullehrer. „Und eingebildet obendrein?“ Er lachte ebenfalls. „Und dann diese Frisur!“
„Ich werde es herausfinden“, sagte ich.
So kam eins zum anderen. Ich verabredete mich mit Luisa in Stade, wo sie zu der Zeit arbeitete. Bali führte uns durch die Stadt. Richtig – uns. Natürlich schützte ich mich mit dem Stock, aber dieses schöne, stolze, kluge Tier führte Luisa und mich so sicher durch die Gässchen Stades, als hätte es das schon immer getan. Wahnsinn!
„Luisa, das ist einfach unfassbar!“, schwärmte ich. „Ich bin auf unserem ganzen Weg nicht einmal irgendwo hängen geblieben.“
Als meine Mutter mich wenig später in Hamburg besuchte, bummelten wir zusammen mit Luisa durch die Innenstadt. Auch sie verliebte sich in den Pudel, obwohl sie die üblichen Vorurteile gehabt hatte.
In den nächsten Monaten besuchte ich Gin zwei Mal. Der große Tag rückte näher und ich war voller Vorfreude. Zwischenzeitlich war ich ins Studentenwohnheim gezogen, weil Greta spontan eine Hundeangst entwickelt hatte, obwohl ich ihr noch vor unserer ersten gemeinsamen Wohnungsbesichtigung gesagt hatte, dass ich in Zukunft definitiv mit einem Hund leben würde. Dies war nun schon mein dritter Umzug innerhalb Hamburgs. Aus Bergedorf war ich ausgezogen, weil ich mit zwei ehemaligen Mitschülern in einer WG wohnte, diese mich aber als unbezahlte Putzfrau betrachteten, bis morgens um fünf Uhr soffen und grölten, ohne Rücksicht auf Verluste und morgendliche Termine.
Am Montag, dem 16. Juli 2012, zog Gin Tonic zu mir. Ich war schrecklich aufgeregt und konnte es kaum erwarten, bis es richtig losging. Die Trainerin reiste am selben Abend an. Eigentlich hatten wir vereinbart, dass sie gegen Mittag kommen sollte, doch aus privaten Gründen verschob sich ihre Ankunft. Mir stiegen immer wieder die Tränen in die Augen – vor Freude. Die Trainerin lachte mich aus und wiederholte jedes Mal, dass ich verrückt sei. Aber was sollte ich tun? Ich freute mich eben so sehr auf meine neue Begleiterin.
Am Dienstag begannen wir mit dem Training. Wir übten den Freilauf und den Gehorsam, und nachmittags liefen wir schon eine kleine Runde im Geschirr über die wuselige Grindelallee. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Nur gut ein halbes Jahr, nachdem ich mich bei dieser Schule vorgestellt hatte, war nun ein Hund an meiner Seite. Doch manches gefiel mir überhaupt nicht. So musste ich nach gefühlten fünfzig Metern, in denen wir im Geschirr liefen, ständig Futter verwenden, um Gin zum Weitergehen zu motivieren. Wie bei einer Dampflok, die mit Kohle befeuert wird.
Die erste Nacht schlief ich sehr unruhig. Gin schlug bei dem kleinsten Geräusch an. In einem Studentenwohnheim ist es allerdings leider selten ganz still. Kein Vergleich zu dem Dörfchen, in welchem sie ihre Ausbildung genossen hatte.
Der Mittwoch verlief wie der Dienstag. Allerdings stieß mir die Art und Weise auf, wie die Trainerin Fehlverhalten korrigierte. Kam Gin zu mir, stellte sich aber nicht korrekt an meine linke Seite, sollte ich ihr in die Flanke kneifen. Verweigerte sie einmal das Anzeigen einer Treppe, riss die Trainerin sie im Geschirr hoch und ich hörte den Hund quietschen. Ich möchte hier keine schmutzige Wäsche waschen, sondern gebe nur ungeschönte Tatsachen wieder. Nach der zweiten Nacht war ich so kaputt, dass ich das Gefühl hatte, ein Jahr lang schlafen zu müssen. Gin bellte viel und war nur dann völlig entspannt, wenn die Trainerin bei uns war.
Donnerstagmorgen eskalierte die Situation. Meine Nachbarin Olga begrüßte Gin, nahm ihren Kopf in beide Hände, kraulte ihre Schnauze, blickte ihr in die Augen und fragte, ob sie denn gut geschlafen hätte. Gin fing an zu knurren. Sie hörte gar nicht mehr auf damit. Ich war schockiert. Was zur Hölle war mit Gin los? Ich versuchte, ihr gut zuzureden, aber vergebens. Da ich das Verhalten des Hundes nicht einschätzen konnte, bat ich Olga, mein Zimmer zu verlassen, bevor noch etwas Schlimmes passierte. Sie ging, und Gin hörte mit dem Theater auf.
Vollkommen fertig berichtete ich der Trainerin von diesem Vorfall. Ihre Antwort darauf war: „Du musst ihr das Gefühl geben, dass alles in Ordnung ist und es keinen Grund zum Knurren gibt.“ Großartig! Wie sollte ich einem völlig fremden Hund, der aus heiterem Himmel Leute anknurrte, nur weil man ihn falsch angeschaut hatte, ein Gefühl von Sicherheit geben, wenn ich doch selbst total verunsichert war?
Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt wenig Erfahrung mit Hunden. Eine wichtige Begegnung aber werde ich nicht vergessen: Der Hund des damaligen Freundes meiner Mutter hatte anfangs fürchterliche Angst vor mir, weil er nicht damit umgehen konnte, dass ich mich komisch bewegte oder ihn nicht direkt ansah. Bei jeder Gelegenheit bellte und knurrte er mich an. Aus Angst, ihn zu verärgern, überlegte ich mir nachts dreimal, ob die Blase wirklich doll genug drückte und ich mich aus meinem Zimmer trauen sollte. Aber nach einer Weile lagen wir beide vor dem Kamin, der Hund mit dem Kopf in meinem Schoß. Ich weiß nicht, wie es geschehen war, irgendwie hatten wir zueinandergefunden. Ich war kein Profi, was Hunde anging. Zu wenig wusste ich über den Umgang mit ihnen. Und ich hatte großen Respekt vor ihnen, vor allem vor den knurrenden. Weil die Trainerin das wusste, fühlte ich mich mit ihrem Rat ziemlich alleingelassen. Sie schien meine Bedenken, Gin nicht in den Griff zu bekommen, nicht wirklich ernst zu nehmen.
Gin, die Trainerin und ich bummelten durch meine Lieblingspassage und aßen eine Kleinigkeit. Wir saßen da, waren ganz entspannt, und ich dachte schon: „Na also, es klappt ja doch!“ Aber dann kam ein Kind, das Gin zu lange in die Augen schaute, und schon fing sie an zu knurren und zu bellen. Ich hätte auf der Stelle heulen können.
Am Nachmittag rief mich meine Mutter an und fragte begeistert nach den Fortschritten. Jetzt heulte ich wirklich.
„Ich schaff das nicht. Gin bellt ständig, wenn andere Leute etwas tun, was ihr nicht passt, und ich weiß einfach nicht wieso. Ich glaube, wir passen nicht zueinander!“
Meine Mutter versuchte erst, mich zu trösten, und redete mir gut zu, aber je mehr ich ihr mein Leid klagte, desto besser verstand sie, was wirklich los war. „Hör auf dein Bauchgefühl“, sagte sie. „Erzwingen kannst du nichts!“ Wenn ich ehrlich zu mir war, hatte ich mich längst entschieden. Die vielen Gassirunden im Dunkeln, in denen Gin unschuldige Passanten anknurrte, dieses ständige Gebell, sobald sich jemand erdreistete, sein Zimmer zu verlassen, die scheinbare Lustlosigkeit, mit der Gin mit mir arbeiten wollte …
Da ich die Anweisungen hatte, Gin nicht allein zu lassen, damit die Bindung sich festigte, nahm ich sie am Abend umständlich mit in den Wäschekeller. Mittlerweile hatte ich Angst vor lauten Geräuschen, denn ich wollte um jeden Preis ihr Bellen vermeiden. Bis zur Waschmaschine ging alles gut. Es lag nur noch der Rückweg vor uns. Während wir auf den Fahrstuhl warteten, kam ein Bewohner des Wohnheims über die Treppe zu uns in den Keller. Er bog um die Ecke und ich grüßte ihn. Gin auch – auf ihre Art. Sie bellte und knurrte, als wolle sie ihn zerfleischen. Zum Glück kam in dem Moment der Fahrstuhl. Ich konnte sie hineinziehen und dem armen Mann nur noch ein „Es tut mir wirklich leid!“ hinterherrufen. Vor lauter Hektik drückte ich irgendeinen der Knöpfe. Zu meinem Glück war es nicht der Alarm, doch wir stiegen im falschen Stockwerk aus. Ich erkannte es am Geruch im Flur und daran, dass ich mir fast das Genick brach, als ich über einen geparkten Rollstuhl vor einem der Zimmer stolperte. Nicht auch das noch! Nicht noch mehr potenzielle Opfer!
Irgendwie schafften wir es ohne weitere Zwischenfälle in mein Zimmer. Der Tag mit Gin war schlimm genug gewesen und ich hatte mich entschieden, mich von ihr zu trennen. Und wie es kommen musste, tat sie alles, um diesen Entschluss zu festigen. Was hatte ich nur falsch gemacht? Weinend brach ich auf meinem Bett zusammen. Was zu viel war, war zu viel!
Wenn schon niemand meine Sangeskünste entdeckte, ich nicht auf große Welttournee gehen konnte, wollte ich mit Kindern arbeiten. Wie aber sollte mein Alltag aussehen, wenn ich einen so launischen und unberechenbaren Hund an meiner Seite hatte?
Wir taten beide kein Auge zu. Gin fühlte sich offenbar genauso unwohl in meiner Gesellschaft wie ich mich in ihrer. Wir verunsicherten einander und alles würde sich nur noch weiter aufschaukeln, statt besser zu werden. Mein Entschluss, Gin zurückzugeben, war richtig, das wusste ich nun ganz sicher, auch wenn es wehtat. Die Ärmste konnte ja nicht wirklich etwas