»Und einer aus dem Ausland? Der ehemalige Ostblock und der Balkan strömen geradezu herein!«
»Gut, dass du das erwähnst, Cem. Das wird deine Aufgabe sein. Da hast du dich beim letzten Mal schon bewährt.«
»Danke Chef.«
»Ich darf an dieser Stelle unsere neue Kollegin Hannah de Fries begrüßen.«
Alle klopfen auf den Tisch.
»Frau de Fries ...«
»Nennen Sie mich bitte Hannah. Und das gilt für alle hier. Ich möchte nicht die einzige sein, die gesiezt wird.«
Es folgt zustimmendes Klopfen.
»Also Hannah. Wir beide fahren morgen nach Erlangen in die Rechtsmedizin und unterhalten uns mit Professor Dr. Rosser, um erste Erkenntnisse noch vor seinem schriftlichen Bericht zu bekommen. Ich würde Sie ..., also dich dann bitten, dass du dich mit den Motiven solcher Taten anhand der Kriminalgeschichte befasst.«
Ilse wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Und schließlich Hauptkommissar Herbert Wagner. Ja, Kollegen, es hat doch noch geklappt!«
Lautes Klopfen folgt.
»Herbert, du ziehst durch die Innenstadt rund um den Tatort. Du befragst in deiner leutseligen Art alle, die du erwischen kannst. Da konnte vielleicht einer nicht schlafen, hat aus dem Fenster gesehen und etwas für ihn Harmloses, aber für uns ungemein Wertvolles gesehen oder gehört. Da ging einer Zigaretten holen und wurde vom Täter angerempelt und so weiter. Du weißt, was ich meine.«
»Scho, Wolff. Des iss mei’ Spezialität!«
»Also Herrschaften. Dann los und in zwei Tagen um die gleiche Uhrzeit treffen wir uns hier. Außer es ergibt sich vorher etwas. Ich gebe Dr. Ruschka recht. Die Sache eilt. Ich will nicht hoffen, dass da ein Psychopath rumläuft, der so weitermacht.«
»Und eine Frau als Täterin?«
»Ilse, nein. Du hast dieses Opfer nicht gesehen. Ich halte das für ausgeschlossen. Wahrscheinlichkeit bei ein Prozent.«
»Wirklich?«
»Möglich ist alles. Dann fassen wir die Möglichkeit mit ins Auge.«
Auf dem Flur.
»Wolff, wieso du und diese Hannah. Du hättest auch mich mitnehmen können.«
»Ist das die erste Eifersuchtsszene? Ilse, ich muss sehen, woran wir mit ihr sind. Es gibt zwar nur Lob, aber ich will mir selbst ein Bild machen. Wenn es darauf ankommt, muss ich mich, oder müssen wir uns auf sie verlassen können!«
Zugegeben. Hannah de Fries ist 27 und eine sehr attraktive junge Frau. Ihre fast schwarzen, seidig glänzenden Haare trägt sie nach hinten zu einem Zopf gebunden. Ihr schönes Gesicht mit den großen, runden, dunkelbraunen Rehaugen und zarten femininen Zügen kommt dadurch noch besser zur Geltung. Sie hat einen kleinen Mund, aber volle Lippen. Und irgendwie hat sie einen dunklen Teint. Sie ist sehr schlank, nicht sehr groß, aber ihre weiblichen Formen sind bestens betont. Ich habe sie bislang nur in ganz engen, glänzend schwarzen Hosen und einer ebenso engen schwarzen Lederjacke gesehen. Darunter trägt sie stets nur ein dunkles T-Shirt, das den Blick auf ihren Bauchnabel zulässt, wenn sie sich aufrichtet oder nach hinten streckt. Also es gibt sicher nur wenige Männer, denen das alles entgeht und ich kann Ilse verstehen.
Mir ist nur aufgefallen, dass sie nie richtig lächelt, sie hat so etwas Verletzliches in ihrem Ausdruck.
Am nächsten Tag gegen 9.30 Uhr in Erlangen. Hannah de Fries und ich betreten den weiß-schwarzen, quaderförmigen Bau in der Universitätsstraße. Dr. Rosser ruft uns in den Sezierraum.
Auf dem Tisch aus Edelstahl liegt dieser traurige menschliche Rest, den ich in der Nacht von Freitag auf Samstag auf der Fleischbrücke gefunden hatte. Hannah zeigt keine Reaktion auf diesen entsetzlichen Anblick. Ihr Blick ist ernst und konzentriert auf den Tisch gerichtet.
Der Rumpf ist zwar vom Blut gereinigt und der entsetzliche Gestank verflogen, aber der Anblick ist immer noch grauenvoll.
»Herr Dr. Rosser, ich darf Ihnen unsere neue Mitarbeiterin vorstellen, Frau Kommissarin Hannah de Fries.«
»Freut mich, Frau de Fries. Ich kann Ihnen leider nicht die Hand geben, Sie sehen, ich bin gerade bei der Arbeit. Tja, Herr Schmitt. Ganz durch bin ich noch nicht mit meinen Untersuchungen, vor allem fehlen die ganzen Laborwerte, Toxikologie und so weiter, Sie verstehen schon. Aber eines steht für mich schon ziemlich fest. Dieser Mann hier war kein etabliertes Mitglied unserer Gesellschaft.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun. Wir veranlassen immer zuerst ein großes Blutbild. Da war ja am Tatort genug vorhanden und ich habe sofort eine Probe gezogen. Dann machen wir einen Alkotest. Der Blutalkoholwert lag zum Todeszeitpunkt bei 1,8 Promille. Der Mageninhalt bestand aus noch unverdauten Dosenravioli und Bier. Der Leberwert und der Allgemeinzustand, soweit dieser feststellbar war, lassen den Schluss zu, dass es sich wohl um einen Alkoholiker, womöglich obdachlosen Alkoholiker handelt.
Die Todesursache steht für mich fest. Es war ein Schlag, ein heftiger, gewaltsamer Schlag mit einem harten, aber nicht stumpfen Gegenstand gegen den unteren Hinterkopf. Der Gegenstand drang tief in das Gewebe, verletzte wichtige Blutgefäße und brach den zweiten Halswirbel, sodass sofort eine Lähmung nach unten eintrat. Der Täter durchtrennte noch die Halsschlagader. Das war’s dann. Von den Verstümmelungen und weiteren Verletzungen hat das Opfer wohl nichts mehr mitbekommen.«
»Die Tat eines Wahnsinnigen?«
»Nein. Durchaus nicht. Der Täter wusste offenbar genau, wie er vorgehen musste. Vor allem die Durchtrennung der Sehnen im vorderen Hüftbereich ist geradezu professionell. Genau an der richtigen Stelle.«
»Der Mörder macht so etwas also gerne?«
Hannah fragt den Doktor gezielt.
»Ich weiß nicht, ob er das gerne macht, aber er kann es sehr gut.«
»Ein Arzt? Ein Psychopath?«
»So weit möchte ich noch nicht gehen. Es gibt eine ganze Reihe von Merkmalen, die diesen Schluss zulassen. Eines davon ist die kontrollierte und eiskalte Vorgehensweise bei der Tat.
Dann spricht dafür, dass er wohl einen bestimmten Grund hat, die Beine so nach hinten zu knicken und das Gesicht zu entfernen.«
»Er?«
»Vermutlich. Sagen wir, die Tat wurde von einem psychopathisch veranlagten Menschen verübt. 80 Prozent solcher Täter sind Männer. Und es gehört auch ein erheblicher Kraftaufwand dazu, die Beine so nach hinten zu biegen. Es wurde zwar auch die Kapsel, die das Hüftgelenk umschließt, angeschnitten, aber so leicht ist es nicht, den Oberschenkelkopf da herauszubrechen.«
»Sie legen sich fest?«
»99 Prozent, ja. Wenn Frauen Morde verüben, dann meistens mit Gift oder Medikamenten, oder beidem. Eleganter halt. Zwar sind auch hier Verstümmelungen nicht ausgeschlossen, aber seltener.«
Hannah scheint ganz in ihrem Element zu sein, aber eine wichtige Frage fällt auch mir ein.
»Sie sagen Morde. Kann das der Anfang einer Serie sein?«
Dr. Rosser blickt eine Weile nach unten und überlegt. Dann richtet er den Blick auf mich.
»Ich befürchte ja, Herr Schmitt. Der Mörder hatte einen Grund und er will uns mit der Art, wie er das Opfer zugerichtet hat, möglicherweise etwas mitteilen.«
Ich sehe Hannah an und merke an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie diesen Verdacht schon einige Zeit hatte, denn sie macht eine kleine nickende Kopfbewegung.
»Dann hat es wohl auch nichts damit zu tun, dass das hier wahrscheinlich ein Obdachloser ist?«
Hannah kommt dem Doktor zuvor.
»Nein.