degenerama. Jek Hyde. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jek Hyde
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783957448668
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geniale Arbeit. Wer ist die Lady?“, fragte Spade und hielt ihr seine Hand hin.

      „Vera“, lächelte sie wieder spitz und legte ihre dünne, feingliedrige Hand mit den schwarzen Nägeln in seine. Spade drückte sie gegen seinen Mund und ließ sie daraufhin wieder frei.

      „Sie will dich unbedingt kennenlernen“, meinte Dennis.

      „Ja? Warum denn?“

      „Weil deine Truppe mir sagte, du hättest alles aufgezogen“, lächelte Vera.

      Spade setzte sich.

      „Ich kenne eine Fotografin, die dich unbedingt kennenlernen will.“ Sie zog an ihrer Zigarette und ließ den Qualm wie Auspuffgase durch ihre Lippen entweichen. „Nach dieser OP erst recht.“

      „Ach ja?“, fragte Spade zufrieden. Als Ivon, die brünette Barkeeperin, zu ihnen herüberschaute, rief er: „Ich nehme ein Diesel!“

      „Du musst Spade unbedingt das mit deiner Titte erzählen!“, drängelte Marc sie.

      „Brust, wir sind hier schließlich in Gegenwart einer Dame, du Arschloch“, schleimte Harry. Vera schien das gar nicht zu kümmern. „Okay, was ist mit deiner Brust, Vera?“, fragte Spade. „Ich habe nur eine.“ Sie straffte den Oberkörper, sodass Spade sehen konnte, dass ihre schwarze Bluse nur auf der rechten Seite ausgebeult war.

      „Wie kam es dazu?“, fragte Spade.

      „Ich wollte sie loswerden. Aus Gründen, die ihr verstehen müsstet. Ich band sie ab und hoffte, dass es reichen würde, das war aber einfach nur schmerzhaft und funktionierte kein bisschen.“

      „Das musst du dir anhören, Spade, das ist echt harter Shit“, meinte Marc.

      „Ruhig, ich höre ihr ja zu, aber das kann ich nicht, wenn du reinquatschst“, mahnte Spade. „Okay, weiter.“

      „Ich habe mir flüssigen Stickstoff besorgt – das ist einfacher, als man denkt. Und da hinein habe ich meine Brust gehängt.“ Provokant lächelte sie weiter.

      „Spade, das musst du dir mal vorstellen, echt übel“, funkte Marc wieder dazwischen.

      „Pscht!“, zischte Vera ihn an. „Es war wie das Prickeln von Kohlensäure, nur stärker. Ein unbeschreibliches Gefühl“, schwärmte sie und zog an ihrer Kippe. Ivon reichte Spade das Colabiergemisch. „Was ist, wenn du mal ein Baby hast?“, fragte Spade und nippte am kalten Glas, während er vergeblich versuchte sich vorzustellen, wie sich flüssiger Stickstoff anfühlte.

      „Genau das“, sagte Vera. „Ein Baby, eine Brust. Außerdem mochte ich die, die ich losgeworden bin, noch nie. Sie wuchs viel zu früh und viel schneller als die andere. Sie störte mich schon immer.“

      Spade lächelte unerkennbar. Er versuchte, es sich vorzustellen, und das Bild in seinem Kopf erfüllte ihn mit einem unangenehmen Schauder. Er sah Vera, wie sie nackt in einer Küche stand, die rechte Brust mit einer Hand zurückziehen, während sie die andere in einen Topf hängte, aus dem der Dampf wie überkochendes Wasser quoll, die Augen geschlossen, die Lippen wie zu einem Stöhnen geformt, die Schneidezähne wie die rosafarbene Zunge leicht entblößt. Er brauchte sein künstliches Lächeln nicht mehr zu halten, das taten seine Muskeln von allein.

      „Ich stelle mir das Ungleichgewicht gewöhnungsbedürftig vor. Ziemlich unregelmäßig, nicht wahr?“, meinte Spade an Vera gewandt.

      „Warum?“ Sie lächelte triumphierend und ihre grüngelben Augen durchbohrten ihn. „Das Universum entstand auch aus einer Unregelmäßigkeit heraus. Ob gut oder schlecht. Ich meine, auf einer Skala von null gleich superschlecht bis zehn gleich göttlich ist die größte Beleidigung doch eine durchschnittliche und unauffällige Fünf.“ Sie stützte sich auf und schaute Spade mit ihrem spitzen Gesicht an. „Es ist wie die Dämmerung des Punks oder der Beatgeneration. Meinetwegen auch der Emos. Wir sind unzufrieden, weil man uns keine Wahl lässt, also schaffen wir uns selbst eine Wahl. Werden zu unseren eigenen Architekten. Das ist eine kulturelle Revolution, Spade.“ Sie lehnte sich wieder zurück und zog an ihrer Kippe in dem langen, schmalen Halter zwischen den ausgestreckten Fingern.

      „Ich würde mir gern Ihre Brust ansehen. Die fehlende, meine ich. Ich habe so was noch nie gesehen, bin neugierig, wie eine fehlende Brust aussieht“, gab Spade zu.

      Vera zog ihre Bluse an der linken Seite ein Stück hinunter. Über der glatten Haut verlief der Riemen eines einseitigen BHs, darunter befand sich glatte, gestraffte Brustmuskulatur, wie bei einem Mann, glatt, ohne Brustwarze, mit einer tiefen Narbe darunter, die beinahe aussah wie der Lanzenstoß Jesu.

      „Eine Brust besteht zum größten Teil aus Fettgewebe und Haut. Darunter sind auch nur Muskeln wie bei euch.“

      Spade spürte imaginäre Schmerzen bei der bloßen Vorstellung an den flüssigen Stickstoff und wie er ihr Fettgewebe gefror. Schrecklich wie ein Autounfall und doch faszinierend schön.

      Das war er also? Der asiatische Gemischtwarenladen mit billigen, ausländisch gefertigten Kleidern, Porzellanfiguren und billigem Plastikspielzeug, hinter dem sich die Schönheitschirurgie befand. Pomelos, Äpfel, Ananas, Orangen. Ein einfacher Obststand aus hölzernen Schachteln auf dünnen Metallbeinen, der auf dem Pflaster des breiten Gehwegs vor dem großen Schaufenster stand, das voller einfacher Schaufensterpuppen mit irgendwelchen Trend-Imitationen war. Ein kleiner, älterer Asiat stand am Obststand, auf den Pia nun zielstrebig zuging. Es gab kaum jemanden, der sich für den kleinen Laden interessierte. Draußen standen ebenfalls billige Fahrräder und eine kleine Auswahl an Kleidung.

      Der ältere Herr sah zu Pia auf, als würden ihr zerschnittenes Gesicht und ihr flauschiger Iro ihn einschüchtern. Pia lächelte und fragte: „Kennen Sie einen Doktor Steinmann?“

      Der kleine, leicht gebeugte Kerl lächelte, was seine ohnehin schon spaltförmigen Augen noch schmaler werden ließ. Er nickte: „Oh ja, oh ja, ich kenne einen Doktor Steinmann. Wenn Sie mit Doktor Steinmann reden wollen, müssen Sie meine Frau fragen. Sie steht drinnen an der Kasse.“

      „Danke.“ Pia ging die drei Stufen in den Kasten, den ein Zoll sicherlich gern einmal unter die Lupe nehmen würde, wobei er das Leben der beiden, vielleicht sogar gern, zerstören und ihnen jede Grundlage entziehen würde, nur um die Namen von Firmen zu schützen, die einfach nicht satt wurden, egal, wie viel sie verschlangen.

      Drinnen machte sie gleich die ältere Asiatin aus, die an der Kasse stand, und ging zu ihr hinüber. „Kennen Sie …“, und noch bevor Pia aussprechen konnte, fuhr die Frau dazwischen: „Doktor Steinmann?“

      Pia nickte. „Ja.“

      „Doktor Steinmann ist gerade nicht da.“

      Daraufhin begannen Pias Erwartungen zu schmelzen.

      „Er wird bald zurück sein, warten Sie einen Moment.“

      Sofort richteten sich Pias Erwartungen wieder auf.

      „Wie lange wird es denn dauern, bis er zurück ist?“, hakte sie nach.

      „Nicht lang. Zehn Minuten“, meinte Frau Wo.

      Zehn Minuten konnte Pia ruhig warten, also sagte sie:

      „Ich sehe mich solange um“, und ging um das Regal.

      Billiges Spielzeug. Blaue Spritzpistolen, Plastikhubschrauber, lauter kleine Zootiere aus Plastik in einem Beutel, auf dessen Pappverschluss ein gemalter Löwe, Zebras, Giraffen und Elefanten gedruckt waren. Pia ging an den billigen Puppen vorbei. Babys aus Plastik, die sie mit ihren blauen Augen aus der Verpackung heraus anstarrten. Schon als Kinder spielten die Mädchen, wie man sich um ein Kind kümmert, fast, als wären sie für nichts anderes da. Und dicht daneben No-Name-Barbies, die sie lächelnd und hübsch geschminkt aus ihren Kisten anstarrten. Alle in hübschen, pinkfarbenen Kleidern. Pia hatte Pink noch nie gemocht oder die Tussen verstanden, die anscheinend im Kleinkindalter stecken geblieben waren, außer, dass ihre Sexualität dazugekommen war.

      Überall