Die Spirale der Arbeitslosigkeit
Die wohl bekannteste Folie aus meinen Vorträgen ist die Spirale der Arbeitslosigkeit. Sie entstand spontan, als ich versuchte, einem Gewerkschaftssekretär zu erklären, welche Probleme wir in den Seminaren zu lösen haben. Der meinte dazu: „Sie wollen doch nicht behaupten, dass alle Arbeitslosen nicht arbeiten wollen!“
Nein, das wollte ich nicht behaupten, aber ich wollte ihm klarmachen, dass viele Seminarteilnehmer verschiedene Phasen der Arbeitslosigkeit durchlaufen und diese schließlich in objektiver Arbeitsunfähigkeit endet. Egal ob diese Unfähigkeit physische oder psychische Ursachen hat. Und ich wollte darstellen, dass diese unterschiedlichen Phasen oft nicht zu den angebotenen Seminartypen passen. In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit ist sicher ein Bewerbertraining sinnvoll, nach zwei Jahren allerdings unsinnig.
Ich zeichnete ihm dann auf einer Serviette (wie es so meine Art ist, die Dinge anschaulich darzustellen) den Verlauf einer Arbeitslosigkeit bis zum bitteren Ende auf. Diese Darstellung habe ich im Laufe der Jahre kaum verändert, ich hatte wohl damals eine meiner wenigen „göttlichen Eingebungen“, auf jeden Fall kann man damit nicht nur einem Gewerkschaftler, sondern auch einem Arbeitslosen anschaulich erklären, wohin die Reise geht, wenn er nichts tut.
Schließlich passiert immer etwas, und wer nicht handelt, der muss damit rechnen, dass die Dinge sich einfach weiterentwickeln – nicht unbedingt zum eigenen Wohlergehen. Mutlosigkeit, Flucht in Krankheiten, Suchtprobleme, Resignation und Motivationsverlust sind keine bewussten Entscheidungen der Betroffenen, sondern das Ergebnis eines oft mehrere Jahre andauernden Prozesses.
Das war der Grundgedanke bzw. die Idee, die ich dem Vertreter der Arbeiterschaft klarmachen wollte. Dafür entstand die Spirale der Arbeitslosigkeit.
Jede Phase kann auch anders sein
Natürlich kann man über die Darstellung der einzelnen Phasen unterschiedlicher Meinung sein und sicher sind Ihre Erfahrungen als Trainer und die der Arbeitslosen individuell. Aber wie mit so vielem, was ich hier aus meiner beruflichen Erfahrung darstelle und interpretiere, möchte ich anregen, darüber nachzudenken. Vielleicht gelingt es mir sogar, dass Sie – vermutlich mit einer eigenen Interpretation – dieses Modell in Ihrer Seminararbeit benutzen.
Wenn du immer tust, was du schon immer getan hast, wirst du immer bekommen, was du schon immer bekommen hast! (Henry Ford)
Die Reduktion der Erfolgschancen
Vorweg noch folgende Anmerkung, die ebenfalls aus meiner Erfahrung resultiert: Wer drei Monate arbeitslos ist, hat nur noch 50 Prozent Erfolgschancen am ersten Arbeitsmarkt. Die Probleme werden größer, sie überwiegen bei Weitem die eigenen Lösungsmöglichkeiten. Die Spirale zu durchlaufen, dauerte vor zwanzig Jahren etwa eineinhalb Jahre, heute schaffen es manche Arbeitslose innerhalb von sechs Monaten. Das Endergebnis ist die im Bewusstsein verankerte persönliche „objektive“ Arbeitsunfähigkeit. Dazu kommen noch die sozialen, finanziellen und gesundheitlichen Schwierigkeiten.
Lassen Sie mich die einzelnen Phasen und ihre Eigendynamik kurz erklären, es sind die „durchschnittlichen“ Ergebnisse meiner langjährigen Arbeit vor allem mit Langzeitarbeitslosen.
Die einzelnen Phasen
Es beginnt immer mit dem Verlust eines wesentlichen Bestandteils des Lebens – der regelmäßigen Arbeit und dem stetigen Einkommen.
Zunächst, nach vielen Jahren in der Tretmühle, gönnt man sich eine Verschnaufpause. Die hat man sich verdient. Erst dann wird geschaut, wie es weitergeht.
In diesen zwei bis drei Monaten ist die Zeit durch zwei Tätigkeiten geprägt: Gartenarbeit und Tapezieren. Man kümmert sich endlich um das, was schon seit Langem dran gewesen wäre, und kann sich auf diese Weise bei der Familie beliebt machen. Es hängt ein Ersatz am Mobile.
Nun wird es Zeit, sich neu zu orientieren. Will man in den gleichen Beruf zurück, einen radikalen Neuanfang oder eine Selbständigkeit beginnen, beim Kumpel Herbert mit ins Geschäft einsteigen, eine Umschulung machen oder vielleicht sogar auswandern? In langen Gesprächen mit Familie, Freunden und Bekannten kommt man zu keiner Entscheidung. Eher steigt die Verwirrung, weil die vielen Möglichkeiten Wunschbilder sind, zu deren Verwirklichung man nicht die erforderlichen Ressourcen hat.
Also fängt man damit an, sich zu bewerben, um nicht nur herumzusitzen. Da aber der ungeübte Arbeitslose keine Werbung verschickt, sondern Informationen an mögliche Problemlöser – sprich Firmen – sind diese „Bettelbriefe“ ohne Wirkung.
Weil nichts passiert, entsteht Familiendruck. Es ist ja auch für die Angehörigen ungewohnt und schwierig, wenn ein frustrierter Mensch den ganzen Tag zu Hause herumhängt und mit seinem unverdienten Schicksal hadert.
Also macht sich der Arbeitslose auf die Suche nach Bekannten und Kumpels, die ihm vielleicht helfen könnten. Eventuell studiert er Anzeigen und klappert die Firmen im Umkreis ab. Das Ganze geschieht recht unprofessionell, deshalb sind diese „Verkaufsaktivitäten“ auch nicht von Erfolg gekrönt.
Nun schließt sich die Phase an, in der Bewerbungen zum Alibi werden, damit die Angehörigen nicht meinen, man würde sich nicht mehr bemühen. Die Hilferufe an mögliche Problemlöser werden verstärkt. Alle Angehörigen werden eingespannt und zur Freude des Jobcenters werden monatlich mehr als fünfzig Bewerbungen versandt. Beworben wird sich auf alles, was sich nicht wehrt, egal ob die Stelle überhaupt etwas mit dem erlernten Beruf zu tun hat, man sich als Arbeiter um eine Ingenieurstelle bewirbt oder der Arbeitsplatz zweihundert Kilometer vom Wohnort entfernt ist.
Das alles funktioniert nicht – wäre ja auch unlogisch – und der Arbeitslose wird depressiv. Frust, Demotivation, Orientierungslosigkeit und Versagensängste verschärfen die familiären Probleme, auf die die Beteiligten mit Verbitterung und Aggression reagieren.
Langsam merkt der Betroffene, dass hier ein Problem existiert, für das es kein Lösungskonzept gibt, welches größer wäre als die eigenen Möglichkeiten. Zumal neben dem eigentlichen Problem der Arbeitslosigkeit inzwischen weitere Probleme hinzugekommen sind, insbesondere fehlt ja nun das regelmäßige gute Einkommen. Die finanziellen Reserven der Familie sind erschöpft.
Bei der Suche nach Hilfe landet man in Qualifizierungsmaßnahmen, doch diese lösen die Engpässe nur teilweise. Das Hauptproblem, die persönlichen Einstellungen und Schwierigkeiten bleiben bestehen. Diese Haltung wird auch durch andere Arbeitslose bekräftigt, Gleichgesinnte, die aufgrund ähnlicher Erfahrungen bestätigen: Wir können uns anstrengen, wie wir wollen, doch es funktioniert nicht.
(Als Personalleiter konnte ich nach 30 Sekunden sagen, ob der Bewerber ein frustrierter Langzeitarbeitsloser war oder jemand, der sich noch im Kündigungsprozess befand. Warum? Zum einen war es die Körperhaltung des Bewerbers und zum anderen die Art und Weise, wie er sich ausdrückte. Es gab dort große Unterschiede.)
Logischerweise kommt nun der Betroffene zu dem Erklärungsmodell: Nicht ich bin schuld, sondern die schlechte wirtschaftliche Lage, die Politiker, die Unternehmer – die anderen. Und wer keine Schuld hat, ist niemandem etwas schuldig. Man hat sich doch so bemüht, aber die Bedingungen da draußen lassen es eben nicht zu, dass es eine Lösung gibt.
Hektik und Faulenzen wechseln sich ab, die Durchhängephase kann einige Monate dauern und endet schließlich in totaler Resignation.
Bevor es zu einer objektiven Arbeitsunfähigkeit kommt, ist der weitere Weg des Arbeitslosen geprägt von Kontaktängsten, Suchtproblemen, einer möglichen Flucht in Krankheiten, tatsächlichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen, schließlich sozialem Abstieg und dem Wissen, dass man sich das zukünftige Leben ohne Arbeit einrichten muss.
Das Umfeld macht keinen