Gregor, 16:
„Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, egal wie es Eltern machen, in den Augen der Kinder ist es irgendwie immer falsch!“
Das Kinderbuch von Nina Schindler „Wenn meine Eltern sich trennen“3 ist gut geeignet, um sich in die Seele von Kindern (im Grundschulalter) vor, während und nach der Scheidung einzufühlen. Sie reagieren mit Wut, Angst, Depressionen und Schuldgefühlen. Dieses Bilderbuch ist comicartig aufgemacht und beinhaltet Fragebögen für Eltern und Kinder zur Analyse. Rechte und Wünsche der Kinder werden besprochen und es werden „Verträge“, die sie mit ihren Eltern aushandeln können, als Muster vorgegeben. Keinesfalls sollten Kinder dieses Buch alleine lesen. Nur ein gemeinsames Lesen mit einem Elternteil oder mit vertrauten Personen kann den gewünschten Erfolg bringen, dass Scheidungskinder begreifen, was bei der Scheidung ihrer Eltern passiert.
Wegen der vielen nicht abweisbaren Schäden für Trennungs- und Scheidungskinder fragen sich verantwortungsvolle Eltern, ob sie sich wirklich trennen dürfen. Es ist aber erwiesen, dass es keinen Sinn ergibt, an einer einmal zerrütteten Ehe festzuhalten. Die Atmosphäre eines solchen Zuhauses ist für Kinder Gift.
Wenn sich die Eltern aber zu einer Scheidung durchgerungen haben, dann ist es wichtig, den Kindern in allen Trennungsphasen eine Stütze zu sein. Voraussetzung dafür sind ein faires, verlässliches und ehrliches Umfeld und Verständnis für die Gefühle und Reaktionen der Kinder.
Zur Fairness gehört es, den Kindern ein zumindest neutrales Bild von dem abwesenden Elternteil zu vermitteln. Ein verlässliches und ehrliches Beziehungsnetz kann geschaffen werden, indem Großeltern, Freunde und Verwandte – auch die des Ex-Partners – mit einbezogen werden. Zur Ehrlichkeit gehört, dass die Kinder altersentsprechend über die Trennung der Eltern informiert werden. Man kann Kindern erklären, warum Mama und Papa nicht mehr zusammen leben können und dabei betonen, dass daran auf keinen Fall die Kinder schuld sind.
Harald, 54:
„Nach dem Tod meiner Frau versuchte ich, mich wieder neu zu orientieren und lernte eine geschiedene Frau mit einem 9-jährigen Sohn kennen. Für mich war der Sohn willkommen, ich konnte aber nicht ahnen, dass der noch sehr an seinem geschiedenen Papa hing und sich keinen anderen Mann an der Seite seiner Mutter vorstellen konnte. Ich hatte keine Ahnung, warum der Sohn sich renitent und abwehrend verhielt. Am deutlichsten ist mir seine Ablehnung in der Wohnung seiner Mutter aufgefallen, wo er offenbar das Revier gegen mich, den fremden Eindringling, verteidigte.
Heute weiß ich, dass ein neuer Mann in einer Mutter-Sohn-Beziehung keine Chance hat und auch, dass seine Mutter und ich dieses Kind mit unseren Zukunftsplänen überfordert haben. Wir haben nur an uns gedacht und nicht an die Gefühle dieses Kindes.“
Noch vor kurzem vermutete man zwangsläufig Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Scheidungskindern. Inzwischen gilt es als gesicherte Erkenntnis, dass weniger die Familienstruktur als vielmehr die Qualität der Beziehungen der Kinder zu ihren nun getrennt lebenden Eltern und deren jeweiligen Herkunftsfamilien ausschlaggebend dafür ist, ob die Kinder die Chance haben, zu stabilen Persönlichkeiten heranzuwachsen.4
Die Qualität der Beziehungen kann eher positiv oder eher negativ sein. Im positiven Fall bleiben nach der Scheidung der Eltern die Beziehungen zwischen den Elternteilen und den Kindern unbelastet und den Kindern bleibt darüber hinaus das Beziehungsnetz aus väterlicher und mütterlicher Familie erhalten. Im negativen Fall führt die Scheidung der Eltern zu einem jahrelangen Krieg nicht nur zwischen den Eltern, sondern auch zwischen den Familien, wodurch die Kinder zwischen die Fronten geraten und auch ihre erweiterte Familie (Opa, Oma, Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins) verlieren. Derart belastete Scheidungskinder können unter vielfältigen Symptomen leiden, wie etwa unter psychosomatischen Beschwerden, emotionaler Labilität, Schlafstörungen, Leistungsabfall und Kontaktängsten.
Die Folgen von Scheidung sind für betroffene Kinder verheerend und mindestens so schmerzhaft wie für die Eltern. Ein Großteil der Scheidungskinder ist sogar emotional dermaßen beeinträchtigt, dass sie unter Lern- und Konzentrationsstörungen leiden und oft eine Klasse wiederholen müssen. Insbesondere leiden sie daran, dass ein Elternteil „abwesend“ ist.
4. Wie erleben Kinder
die Abwesenheit eines Elternteils?
Als „abwesender Elternteil“ ist der Elternteil zu verstehen, in dessen Haushalt sich die Kinder zu einem Zeitpunkt nicht befinden. Beim alleinigen Sorgerecht leben die Kinder meistens bei der Mutter und leiden darunter, dass sie ihre Väter im Rahmen des Besuchsrechtes nur alle zwei Wochen am Wochenende oder in den Ferien sehen. Auch im Fall des gemeinsamen Sorgerechtes und dem ständigen Wechsel zwischen den Elternhaushalten sehnen sie sich nach dem Elternteil, der gerade nicht anwesend ist.
Sehr treffend zeigte das der Film „Woche für Woche“ (ARD, 10. Februar 2010, 20.15-21.45 Uhr), der mit dem Deutschen Fernsehpreis 2009 ausgezeichnet wurde. Es ist ein Film über ein Scheidungskind und sein chaotisches Leben zwischen Mama und Papa:
Felix Weingarten ist sieben Jahre alt und Einzelkind. Seine besorgte Mutter tut alles, um ihren Sohn zu fördern. Sie besorgt ihm eine Therapie gegen seine Rechtschreibschwäche und meldet ihn wegen seiner schlechten Körperhaltung beim Yogakurs an. Sein Vater arbeitet als Alleinverdiener viel in der eigenen Schreinerei. Dann passiert das, was statistisch gesehen in jeder dritten Ehe in Deutschland vorkommt: Felix΄ Eltern trennen sich, einvernehmlich, wie sie nie vergessen zu betonen. Aus Gründen der Fairness entscheiden sie sich, eine gerechte Lösung hinsichtlich ihres einzigen Sohnes zu finden. „Woche für Woche“ heißt das Modell, nach dem Felix abwechselnd bei seiner Mutter und bei seinem Vater lebt. Was für die Eltern zunächst eine faire, salomonische Lösung ist, bedeutet für den Jungen absolutes Chaos und Orientierungslosigkeit. Zwei materielle Identitäten prallen aufeinander, im Wochenwechsel ist der Junge gezwungen, nicht nur umzuschalten zwischen Mama und Papa, sondern zwischen zwei Kinderzimmern, zwei Betten, zwei Zahnbürsten.
Während sich seine Familie halbiert, verdoppelt sich seine materielle Existenz. Felix erlebt einen wechselvollen Alltag in verschiedenen Milieus: Bei der Mutter lebt er in bevorzugter Wohngegend in einem schönen Jugendstilhaus, bei seinem Vater in einem wenig repräsentativen Wohnviertel mit hohem Ausländeranteil, wo er aber Carem kennenlernt, einen Jungen aus einer türkischen Großfamilie mit zahlreichen Geschwistern, Cousins und Cousinen. Dort ist immer etwas los und Felix fühlt sich nicht mehr allein.
Während Felix immer noch hofft, dass seine Eltern wieder zusammenfinden, sehen gerade diese sich mit immer größeren Problemen konfrontiert. Sein Vater stößt schnell an seine Grenzen, als er versucht, Beruf und Kindererziehung unter einen Hut zu bekommen. Yoga- und Legasthenietermine fallen öfter aus und statt Vollwertkost gibt es eher mal Pizza, was seiner Ex-Frau natürlich gar nicht gefällt: Ein Psychotherapeut soll die Trennung des Elternpaares begleiten, damit der Sohn keinen Schaden davonträgt, aber gerade in der Therapiestunde verschärft sich der Machtkampf der Eltern durch gegenseitige Schuldzuweisungen.
Der Film zeigt, dass die Eltern zwar das Beste für ihr Kind wollten, Felix aber mit der Situation, Woche für Woche bei dem einen oder anderen Elternteil zu leben, überfordert war. War er bei der Mutter, hatte er Heimweh nach seinem Vater, war er bei seinem Vater, hatte er Heimweh nach seiner Mutter. Felix kam mit seinen getrennt lebenden Elternteilen nicht gut zurecht und empfand es als Defizit, seine Eltern nicht mehr gleichzeitig zu haben.
Der kleine Felix hat theoretisch zwei „Zuhause“ und deshalb gar keins, weil er weder hier noch dort so richtig Wurzeln schlagen kann. Das „Zwei-Zuhause-Modell“ ist bei Psychologen