Es war eine hübsche Frau, die das Interview wollte, aber an einem Tag wie diesem hatten weder Milo noch ich ein Auge dafür. In uns sah es wahrscheinlich ebenso schlimm aus wie in dem Café.
Wir gingen weiter. Ich sprengte das bedrückte Schweigen, das zwischen uns herrschte, mit heiserer Stimme: „Heute wurde Jeff Skerrit aus dem Gefängnis entlassen. Er wohnt wieder unter seiner alten Adresse. Vielleicht sollten wir mal bei dem Haus vorbeifahren und ein wenig beobachten, wer heute so alles bei ihm ein und aus geht, um ihm seine Aufwartung zu machen.“
„Keine schlechte Idee“, meinte Milo. „Das bringt uns vielleicht auf etwas andere Gedanken.“
Also fuhren wir in die 40th Straße und beobachteten vom Sportwagen aus das Gebäude mit der Nummer 183. Es war ein dreistöckiges, älteres Appartementhaus mit einer fünfstufigen Treppe vor der Eingangstür und hohen, schmalen Fenstern, die mit hübschem Stuck eingerahmt waren, der stellenweise allerdings schon ziemlich vom Zahn der Zeit zernagt und porös geworden war.
Jeff Skerrits Wohnung lag in der 2. Etage. Er hatte sich dort ein luxuriöses Appartement eingerichtet, das den heruntergekommenen, schäbigen Eindruck des Gebäudes, den es von außen bot, Lügen strafte.
Leute betraten das Haus oder verließen es. Ein bekanntes Gesicht war nicht darunter. In Skerrits Wohnung rührte sich nichts. Die Fenster waren geschlossen, obwohl es ziemlich heiß war.
Milo sprach es aus: „Entweder hatte Skerrit nach seiner Entlassung noch keine Sehnsucht nach seinem Zuhause, oder er war schon da und ist sofort wieder abgedampft. Die Wohnung jedenfalls ist verlassen. Ich glaube, wir können unsere Zelte hier abbrechen.“
„Ganz meine Meinung. Fahren wir ins Federal Building und räumen wir unsere Schreibtische auf. Und dann warten wir, was die Spuren in dem Café ergeben.“
Wir stiegen in den Wagen, und ich fuhr los.
4
Jeff Skerrit war nicht tot. Er hatte, als DeLuise abdrückte, versucht, sich nach links zu werfen, und so war ihm die Kugel in die rechte Brustseite gedrungen. Keith Belmont und seine beiden Komplizen hatten ihn am Rand der Flushing Bay zwischen dichtes Gestrüpp geschleift und dort liegen lassen, in der irrigen Meinung, dass es Tage, vielleicht sogar Wochen dauern würde, bis man den halb oder ganz verwesten Leichnam finden würde.
Allerdings war Jeff Skerrit irgendwann zu sich gekommen. Mit letzter Kraft war er aus dem Gestrüpp gekrochen. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, der Blutverlust hatte ihn ausgehöhlt, immer wieder verhinderte er mit übermenschlichem Willen ein Abgleiten in die Bewusstlosigkeit, was seinen sicheren Tod bedeutet hätte. Der Selbsterhaltungstrieb war stärker als Schwäche und Schmerzen.
Er schleppte sich bis zum Rand des Highways, der die Bucht säumte, und dort brach er zusammen. Er trieb in der Schattenwelt der Trance, jeglichen Willens, jeglichen Gedankens beraubt, dem Tod näher als dem Leben.
Ein Autofahrer hielt an, als er die reglose Gestalt am Straßenrand liegen sah. Er drehte Jeff Skerrit auf den Rücken und erschrak, als er das viele Blut wahrnahm. Aus fiebrig glänzenden Augen starrte ihn der Mann am Boden blicklos an. Skerrits Atem ging rasselnd, seine Bronchien pfiffen.
Sofort verständigte der Mann per Mobiltelefon die Notrufleitzentrale. Und schon Minuten später raste ein Wagen vom Emergency Service mit eingeschalteter Sirene heran. Nach der Erstversorgung vor Ort wurde Skerrit ins New York Hospital an der York Avenue gebracht und sofort operiert.
Die Nacht verging, und am nächsten Morgen war Skerrit über den Berg. Er war bei Bewusstsein. Er hing an einem Tropf, Schläuche führten in seine Nase. Ein Monitor lief und zeigte seine Pulsfrequenz an.
Eine Krankenschwester erschien und fragte ihn nach seinem Namen und seiner Adresse. Nur mühsam kam Skerrits Denken auf Touren. Die Erinnerung setzte ein, dann das Begreifen. Also hatten die Schufte ihm, ehe sie ihn ins Gebüsch warfen, sämtliche Papiere abgenommen.
Okay, rann es zähflüssig durch seinen Verstand. Sollen sie mich ruhig für tot halten. Ja, sie sollen denken, dass sie mir das Licht ausgeblasen haben. Und wenn ich wieder auf den Beinen bin, dann hole ich mir diese Schweine.
Er gab mit schwacher, zerrinnender Stimme die erbetene Auskunft, allerdings waren der Name und die Adresse, die er nannte, falsch. Die Schwester notierte alles und verschwand wieder. Irgendwann erschien ein Ärzteteam. Nach der Visite tauchten zwei Männer vom Police Departement auf. Nach Meinung des behandelnden Arztes war der Patient vernehmungsfähig. Wichtige innere Organe waren durch den Schuss nicht verletzt worden. Die Lunge war wie durch ein Wunder verschont geblieben.
Eine Vielzahl von Fragen prasselte auf den Verletzten nieder. Und immer wieder erklärte er den beiden Polizisten mit lahmer Stimme, sich an nichts erinnern zu können. Irgendwann schloss er erschöpft die Augen.
Der Arzt, der dabei stand, bat die Cops, es dabei bewenden zu lassen und in ein paar Tagen wiederzukommen, wenn der Patient wieder zu Kräften gekommen war.
Unzufrieden mit dem Ergebnis zogen sich die beiden Polizisten zurück. Und schon zwei Stunden später wussten sie, dass unter der Anschrift, die der Verletzte dem Krankenhaus mitgeteilt hat, niemand mit seinem Namen wohnte.
Also kehrten sie ins Hospital zurück. Der Arzt meldete zwar Bedenken an, dass sie ihn noch einmal vernahmen, schließlich aber stimmte er doch zu.
Skerrit war wach. Als er die mürrischen Mienen der beiden Officer sah, ahnte er, dass sein Schwindel aufgeflogen war.
„Wie heißen Sie wirklich, Mister?“, knurrte der Ältere der beiden Cops. „Der Name, den Sie dem Krankenhaus genannt haben, passt nicht zu der Adresse, die Sie angaben.“
Der jüngere Cop setzte schroff hinzu: „Wir können Ihnen auch die Prints abnehmen lassen und Sie erkennungsdienstlich behandeln. Es wird ganz an Ihnen liegen, Mister. Also raus mit der Sprache: Wie heißen Sie, und wie lautet Ihre Anschrift?“
Jeff Skerrit wusste, dass er keine Chance hatte. Matt sagte er: „Ich will der Polizei ganz sicher keine Mühe machen. Aber es ist wohl so, dass mir irgendjemand nach dem Leben trachtet. Ich bin heute morgen aus dem Gefängnis entlassen worden und war auf dem Weg zur Bushaltestelle, um nach Manhattan zu fahren. Da wurde ich von drei Kerlen …“
„Ist das auch keine Räuberpistole, die Sie uns da auf die Nase binden?“, grollte das Organ des Älteren der beiden Cops.
„Nun, die Kugel in meiner Brust ist wohl beredt genug“, versetzte Skerrit. Er atmete vorsichtig durch. Jeder tiefe Atemzug bereitete ihm Schmerzen. Sein Gesicht verzog sich. Dann sprach er schleppend weiter: „Also, ich kannte die Schufte nicht. Sie hielten mir ihre Pistolen unter die Nase und bugsierten mich in ein Oldsmobile. Kaum, dass wir über die Brücke und auf dem Festland waren, knallte mir einer ohne Kommentar die Kugel in die Figur. Von da an weiß ich nichts mehr.“
„Sie haben jetzt ziemlich viel geredet, Mister“, sagte der jüngere Cop. „Ihren Namen und Ihre Adresse kennen wir allerdings nach wie vor nicht.“
Skerrit seufzte. „Das ist das Problem. Wenn meine Geschichte publik gemacht wird, dann wissen diese Halsabschneider, dass ich ihren Anschlag überlebt habe, und es ist wohl nur eine Frage von Tagen, bis sie mir wieder einen Killer schicken. Ob ich ein zweites Mal auch so viel Glück habe wie gestern, das bezweifle ich.“
„Sie möchten also, dass die Sache nicht durch die Medien geht. Nun, das lässt sich einrichten.“
„Ich will, dass Sie‘s mir versprechen. Kein Bericht in den Medien, keine Publikation meines Namens.“
„Okay, versprochen. Es geht ja schließlich auch darum, Sie zu schützen. Falls Ihre Geschichte stimmt …“
Der Polizist war offensichtlich noch immer ziemlich skeptisch.
„Sie stimmt“, knurrte Skerrit. Dann nannte er seinen Namen und seine Adresse.
Ehe sich die beiden Polizisten verabschiedeten, fragte der Jüngere