Methoden in der Politikwissenschaft. Rolf Frankenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rolf Frankenberger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783170234895
Скачать книгу
pro Kopf aufweisen, dann sind sie demokratisch.

      Explanandum: Staat x ist demokratisch.

      Randbedingung: Staat x hat mehr als 20.000 € durchschnittliches Bruttoinlandsprodukt pro Kopf.

      Daraus ergeben sich zwei wichtige Unterschiede. Erstens ist eine logische Deduktion von Explanans auf Explanandum ausgeschlossen. Ein Land mit entsprechendem BIP ist nicht automatisch, sondern nur sehr wahrscheinlich demokratisch. Zweitens ist es möglich, dass mehrere probabilistische Aussagen zur Erklärung eines Phänomens dienen und daraus logische Widersprüche resultieren.

      Eine weitere wichtige Unterscheidung von Erklärungen ist die zwischen Kausal-, Funktional- und Intentionalerklärungen (Føllesdal u. a. 1988).

      Kausalerklärungen nehmen die Grundform von deduktiv-nomologischen Erklärungen an. Sie bestehen aus den Elementen Gesetz, Randbedingung und Phänomen. Sie umfassen auch induktiv-statistische Erklärungen, da bei beiden ein kausaler Zusammenhang angenommen wird. Das Kausalitätsprinzip besagt: »Für jedes Ereignis muss es eine Ursache oder auch eine komplexe Menge von Ursachen geben« (Kromrey 2009, 17). Ursache und Wirkung sollten dabei in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen, wobei Ursache vor Wirkung kommt. Eine Ursache-Wirkung-Relation kann durch die Prinzipien Determinismus (alles hat eine Ursache) und lokale Kausalität aufgezeigt werden. Letzteres bedeutet, dass es keine Abstandswirkung geben kann, daher sollten räumliche und zeitliche Distanz zwischen Ursache und Wirkung gering sein. Alternativ müssen Kausalketten bestehen, die beide miteinander verbinden.

      Funktionalerklärungen versuchen, ein Phänomen mittels seiner Wirkung zu erklären. Die häufigste Variante ist die der günstigsten Wirkung. Phänomene existieren, weil sie eine positive Wirkung auf das Gemeinwesen haben. Solche Argumentationsmuster finden sich in struktur-funktionalistischen Ansätzen der Politikwissenschaft, etwa den systemtheoretischen Ansätzen nach David Easton. Hier wird ausgehend von der grundlegenden Annahme, dass Systeme zum Selbsterhalt streben, gefragt, wie dies generell möglich ist. Die Antwort aus dieser Perspektive: durch funktionale Differenzierung. Es gibt also bestimmte Funktionen, die erfüllt werden müssen, wie etwa das Durchsetzen der allgemeinverbindlichen Regeln. Die Existenz von Justiz und Polizei lässt sich dann darüber erklären, dass sie diese Funktion für eine Gesellschaft in einer guten Art und Weise erfüllen, sodass Konflikte durch sie verregelt werden. Dies kann belegt werden durch die Angabe der Verbindung zwischen günstiger Wirkung und dem Phänomen, das diese hervorbringt. Oder durch die Angabe von Personen, die das Phänomen bewusst auswählen. Im ersten Fall werden sie also in Kausalerklärungen überführt und im zweiten Fall in Intentionalerklärungen.

      Intentionalerklärungen erklären ein Phänomen mit seiner beabsichtigten Wirkung. Sie nehmen folgende Struktur an: Eine Person legt ein bestimmtes Verhalten (beobachtbare Körperbewegung) an den Tag. Der Person werden Wünsche und Annahmen zugeschrieben und Verhalten, Wünsche und Annahmen zueinander in Bezug gesetzt, sodass aus dem Verhalten eine bewusste, durch die Wünsche geleitete und auf ein Ziel ausgerichtete Handlung wird. Es muss dabei aufgezeigt werden, dass die Person davon ausgeht, dass ihr Verhalten ein Mittel zur Verwirklichung des Wunsches ist, dass ihr Verhalten durch Wunsch und Annahmen verursacht wird. Wird also beispielsweise der Einsatz von Gewalt gegen Demonstrant:innen untersucht, so müsste aufgezeigt werden, dass die:der Regierungschef:in bewusst abgewogen und willentlich entschieden hat, dass die Sicherheitskräfte Gewalt einsetzen sollen und einen entsprechenden Befehl erteilt hat. Das Verhalten kann beobachtet werden, die Wünsche und Annahmen wären durch eine Befragung oder die Studie von Protokollen herauszufinden.

      2.3 Methoden als Werkzeugkasten der Forschung

      So wie Handwerk:innen zum Ausüben ihres Berufs besondere Werkzeuge benötigen, brauchen auch Wissenschaftler:innen zur Beantwortung von Forschungsfragen Werkzeuge. Diese Werkzeuge werden oft unter dem Begriff Methoden zusammengefasst. Eine Methode ist nach Alemann und Forndran (1995, 33) »das, was Wissenschaftlichkeit des Forschens und Argumentierens auszeichnet. Alles andere, was nicht präzise und kontrolliert und von anderen nachvollziehbar vorgeht – und das heißt Wissenschaftlichkeit –, bleibt Spekulation oder common sense«. Wir benötigen solche Methoden, weil wir viele Phänomene, die wir untersuchen wollen, gar nicht direkt mit unseren Sinnesorganen erfassen können. Wir haben zum Beispiel kein Sinnesorgan zum Erfassen von Dingen wie Demokratiequalität oder Bruttosozialprodukt. Wir können diese weder sehen noch hören, riechen, schmecken oder fühlen. Und auch Motivationen und Handlungen können wir nicht immer unmittelbar erfassen. Das gilt auch für historische Prozesse oder gesellschaftliche Verhältnisse. Wenn wir etwa die soziale Ungleichheit einer Gesellschaft erfassen wollen, müssen wir uns verschiedener Hilfsmittel bedienen. Wenn soziale Ungleichheit als ungleiche Teilhabe an Herstellung, Verteilung und Konsum materieller und immaterieller Güter verstanden wird, dann muss diese Teilhabe gemessen werden. Dies kann zum Beispiel über Fragen nach Bildung, Berufstätigkeit, Einkommen und frei verfügbarem Einkommen geschehen. Man benötigt also einen Fragebogen als Werkzeug bzw. die Befragung als Methode, um soziale Ungleichheit als Phänomen zu erfassen. Methoden sind also Mittel zum Zweck, nämlich um Wissen über die Wirklichkeit zu erlangen, in der wir leben. Und das idealerweise mit dem Ziel, uns »besser in der Wirklichkeit zurecht zu finden, sie besser zu verstehen« (Behnke u. a. 2006, 17).

      Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass wissenschaftliches Vorgehen im Allgemeinen und wissenschaftliche Methoden im Besonderen zunächst einmal auf dem Alltagsverständnis von Wirklichkeit aufbauen und dieses dann systematisch verfeinern. Das Ziel ist die Nachvollziehbarkeit des Prozesses, mit dem wir zu Erkenntnis gelangen. Das hat zur Folge, dass Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung immer auch von der verwendeten Methode abhängen. Ein häufig angeführtes Beispiel ist der sogenannte IQ-Test. Hier wird Intelligenz über die Fähigkeit zur Beantwortung von bestimmten vordefinierten Fragen nicht nur abgefragt, sondern letztlich auch definiert, denn auch Intelligenz ist – ähnlich wie soziale Ungleichheit – ein Konstrukt, das nicht direkt messbar ist. Ein Kernelement solcher Tests ist der von Wolf Oswald und Erwin Roth entwickelte Zahlen-Verbindungs-Test, der die sogenannte allgemeine Intelligenz misst. Personen müssen dabei scheinbar willkürlich angeordnete Zahlen in ihrer numerischen Reihenfolge verbinden. Die Bearbeitungsgeschwindigkeit in Verhältnis zu Alter und anderen Kriterien ergibt dann IQ-Werte. Darüber hinaus gibt es in der Psychologie viele weitere Tests, die Intelligenz auf andere Weise messen und dementsprechend auch einzelne Dimensionen von Intelligenz in den Vordergrund stellen, wie etwa verbale und praktische Intelligenz.

      Der Einsatz von Methoden hängt zudem von den jeweiligen wissenschaftlichen Grundannahmen ab. Nur wenn man davon ausgehen kann, dass die Welt tatsächlich existiert und dass sie prinzipiell erfassbar ist, ist es überhaupt sinnvoll, sich dieser Welt über Theorien und Methoden zu nähern, die sich auf die Welt und auf erfassbare Größen in der Welt beziehen. Und nur wenn man davon ausgehen kann, dass man diese Welt exakt und entsprechend festzulegender Regeln abbilden kann, ist empirische, erfahrungsbasierte Forschung überhaupt sinnvoll. Dabei gilt: »es gibt zwar nur eine Wirklichkeit, aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, das heißt verschiedene Methoden, sich der Wirklichkeit zu nähern, und je nach verwendeter Methode mag das daraus entstehende Bild der Wirklichkeit, unser Weltbild, unterschiedlich sein« (Behnke u. a. 2006, 19).

      Diskussionsfragen

      • Welche Formen können Erklärungen annehmen?

      • Warum sind exakte Definitionen in der Wissenschaft wichtig?

      • Welche Bedeutung haben die Konzepte Operationalisierung und Messung in diesem Zusammenhang?

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно