Herr über Leben und Tod bist du. Olaf Müller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Müller
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269183
Скачать книгу
griechische Taverne als ein Bistro aus Antwerpen.

      »Was hast du für mich? Mord, Totschlag, Eifersucht, Gift?« Vera Braun konnte ihre Neugier nicht verbergen.

      »Kaffee. Oder auch einen Schoppen. Trinkst du noch gerne Chianti?«

      »Eins, nur ein klitzekleines Gläslein. Muss zum Dom. Da spricht heute Aleida Assmann.«

      »Friedenspreis des Buchhandels.« Fett nickte wie ein allwissender Professor.

      »He, Kommissar Fett kennt sich aus. Das gibt’s nicht.« Ihre dunkelbraunen Augen blickten erstaunt.

      »Ein bisschen Bildung kann nicht schaden. Stammt von Heine, nicht von mir.«

      »Bildungsmonster Fett. Wow. Darauf einen Chianti.«

      Sie rief den Kellner und bestellte zwei Gläser.

      »Vorsorgliche Bevormundung. Merci. Wenn du es nicht wärst.«

      »Wer dann, Columbo? Du hast sonst nur den Schmelzer.«

      Das saß. Fett hatte nur Schmelzer. Fett, der Chef, und Schmelzer, der Schüler. Oder war er eher sein alter Lehrmeister. Nur Schmelzer. Ja, wenn er darüber nachdachte, er hatte wirklich nur Schmelzer. Er verbrachte mehr Zeit mit Schmelzer als mit irgendeinem anderen Menschen.

      »Zwei Chianti?« Der Kellner jonglierte ein Tablett durch die Tischreihen.

      »Hier. Die junge Dame und der alte Mann.« Fett verwies freundlich auf Vera Braun.

      »Ein Toter in der Eifel, und der Kommissar schiebt in Seelenruhe sein Klapprad durch die Kockerellstraße.«

      »Feststellung oder Frage?«

      »Beobachtung.«

      »Zum Wohle. Auf die vierte Gewalt.«

      Sie lächelte ihr Journalistenlächeln. Halb wissend, halb fragend, neugierig, auf der Suche nach einer Story. Dunkelblauer Blazer, die Daunenjacke von Moncler hing lässig über dem Stuhl, braune Lederstiefel und strohblonde Haare.

      »Lass mich nicht verhungern, Herr Fett.«

      »Herr Fett bestellt einen gemischten Vorspeisenteller und sagt dir höchstens unter drei etwas.« »Unter drei« nannte man die vertrauliche Information, die sie in ihrem Blatt nicht drucken durfte.

      »Unter drei. Immer so verschwiegen.«

      »Warte bis zur Pressekonferenz vom Kollegen Kemmen.«

      »Jörg, der gute Jörg. Du weißt viel mehr als Jörg Kemmen. In jeder Beziehung. Und der Jörg ist vor 14 Tagen in den Ruhestand verabschiedet worden.« Sie schaute ihm so tief in die Augen, dass er die Doppeldeutigkeit ihrer Bemerkung überhörte. Stimmt, er hatte vergessen, dass Kemmen pensioniert worden war.

      »Ein alter Mann aus Bergstein, morgens auf dem Krawutschketurm, wird mit einem amerikanischen Karabiner, wie ihn die GIs hatten, erschossen. Danach noch sieben Stiche in die Brust«, berichtete Fett. »Heute kurz vor Tagesanbruch.«

      »Wer war der Ermordete?«

      »Ermittlungstaktik. Nicht öffentlich.«

      »Komm. Unter uns.«

      »Wir wollten einen Kaffee trinken, nun ist es ein Wein, und du quetschst mich aus. Schade.« Fett wirkte enttäuscht und ein wenig genervt. Lieber wäre er nach Hause geradelt. Er, der »Herr Jens«.

      »Schon gut, schon gut. Themenwechsel. Muss eh gleich zum Dom. Die Kulturleute sind alle krank. Da darf ich mal einen Beitrag für die Kulturseite schreiben.«

      »Kann nicht schaden.«

      »Was, der Dom oder Kultur oder beides.«

      »Ein wenig Kontemplation.« Fett trank sein Glas aus.

      »Schlechte Laune, Herr Kommissar?« Sie schaute ihn neckisch und frech an.

      »Zu viel Trubel, schöne Vera. Wo geht die Reise hin? Die Gesellschaft rutscht, Schieflage. Organisierte Kriminalität, Clans, Gewalt, Drogen, Prostitution, Prepper-Typen, die sich auf den Weltuntergang vorbereiten, und diese Diskussion über die Antoniusstraße in der Innenstadt. Der Polizeipräsident hat recht. Dort wird es immer Kriminalität geben. Wollen wir daneben einen Kindergarten einrichten? Nein. Trotzdem proben die bewegten Damen von der Prostituiertenhilfe den Aufstand.«

      »Einer muss den Zwangsprostituierten aus Osteuropa und Afrika helfen.«

      »Ja, helfen. Und Gesetze respektieren und durchsetzen. Wir lassen unsere Spielregeln aufweichen. Klappt auch nicht beim Fußball. Wenn jeder seine eigenen Regeln macht, funktioniert das Spiel nicht. Schau nach Hambach. Schau nach Hamburg zum G20-Gipfel oder Berlin Rigaer Straße. Manche sprechen von befreiten Zonen. Wovon befreit? Von der Ordnung, den Gesetzen, die unser Zusammenleben regeln.«

      »Spannender als Aleida Assmann. Könnte dir noch lange zuhören.«

      »Mach dich nur lustig.« Fett war gereizt.

      »Im Ernst, Michael.« Erstmals sprach sie seinen Vornamen aus. »Der Zynismus in der Redaktion geht mir auf den Senkel. Ein Ausdruck unserer Unsicherheit. Wer liest noch Zeitung? Wir glauben, dass wir für das System wichtig sind. Jeder blöde Youtuber hat mehr Follower als wir Leser. Manchen Redakteuren bleiben nur Zynismus und Alkohol. Und hin und wieder eine richtig gute Geschichte von den jungen Kollegen, die abtauchen in wahre Sorgen, Nöte und Probleme.«

      »Wie heißt der Song? Hurra, unsere Welt geht unter?«

      »Ja. Glaube schon.«

      »Ich zahle vorne, Vera. Lass dir das Lächeln nicht stehlen. War vielleicht der falsche Moment für einen Plausch. Du musst los. Sonst platzt du mitten in die Veranstaltung.« Vera Braun schaute dem Kommissar nachdenklich hinterher, als er zum Tresen ging. Sie fand ihn seit Jahren interessant. Eine harte Nuss. Sie wurde nicht schlau aus diesem heiteren Melancholiker, von dem die Polizeireporter mit großem Respekt sprachen. Seine Aufklärungsquote sei beeindruckend. Aber er selbst unnahbar.

      »Alles erledigt, schöne Frau Braun. Grüß mir den Dom, den Dompropst und Paul, den Chefredakteur, wenn du ihn siehst.«

      »Paul Schnigge. Den sehe ich morgen bei der Redaktionskonferenz. Werde es ausrichten, Columbo. Mach’s gut. Beim nächsten Mal reden wir nicht über die Toten. Nur über uns, die Lebenden.«

      »Gerne.« Fett hielt ihr die Tür auf, grüßte den Wirt, der ein Glas polierte und lächelnd nickte.

      Fett und die Verfolgung

      Schmelzers Recherchen halfen nicht weiter: keine Kameraaufnahmen, keine Spuren, keine Scharfschützen aus Bergstein, und der Karabiner M1 lag ohne Schlagbolzen und dadurch unbrauchbar im Museum Hürtgenwald. Herr Falter, der Vorsitzende, bestätigte, dass nichts abhandengekommen sei. Alle ausgestellten Waffen seien unbrauchbar. Das Alibi von Bauer Tyssen war wasserdicht. Verwandte der Ehefrau waren in Rostock informiert worden. Kaltenbach hatte seiner Ehefrau den Kontakt zu ihnen untersagt. Nun würden sie das Erbe antreten. Von ihnen kam niemand als Täter in Betracht; ihre Alibis hatten die Kollegen an der Ostsee überprüft. Zudem hatte wegen der Abneigung von Kaltenbach niemand mit einer Erbschaft von ihm gerechnet.

      Am Dienstagnachmittag fuhren Fett und Schmelzer erneut zum Burgberg. Schmelzer ließ den Wagen wieder auf dem Parkplatz hinter der Kirche stehen. Das Monster erwähnte er nicht.

      »Wir nehmen zunächst den Rundweg, und dann geht’s hinauf.« Fett brauchte Bewegung und den Überblick über den Burgberg.

      »Wenn’s denn sein muss. Habe heute festes Schuhwerk an«, maulte Schmelzer.

      Schmelzers Laune nervte Fett. Es wurde immer offensichtlicher: Der Kollege war nicht motiviert. Wer nicht motiviert ist, der ist unaufmerksam. Wer unaufmerksam ist, schaut nicht genau hin und hört nicht genau zu. Ob er zu wenig Fleisch bekommen hat, überlegte der Kommissar.

      Fett schritt zügig voran, links an der Krawutschke-Infotafel vorbei im Uhrzeigersinn um den Burgberg. Nach 100 Metern stießen sie auf Überreste eines massiven Bunkers am Abhang Richtung Obermaubach.