6. Der Entropie entgegenwirken
Eine Sache, die das Leben im Leib Christi zum Erliegen bringt, ist die Entropie: Entropie ist der natürliche Zerfall, der in allen Lebensformen auftritt. Was sich selbst überlassen bleibt, tendiert zu Entropie. Entropie tritt aber nicht nur im Physischen auf, sondern ist auch eine Bedrohung für christliche Gemeinschaft.
Jede menschliche Unternehmung ist früher oder später von Entropie bedroht. Mit der Zeit geht uns allen die Luft aus. Der ständige Einsatz, der nötig ist, damit eine Gruppe von Christen ohne institutionelle Strukturen vorwärts geht, kann sehr kräftezehrend sein.
Setzt in einer organischen Gemeinde Entropie ein, ergreifen meist Alpha-Menschen das Ruder, wie ein Blick in die Kirchengeschichte lehrt. Aufgrund der mächtigen Kraft der Entropie erstarrte das gemeinschaftliche organische Leben der Urgemeinde bald zu einer hierarchischen, pyramidalen und kopflastigen Organisation.
Die Arbeiter im ersten Jahrhundert widerstanden der unausweichlichen Wirkung der Entropie. Sie richteten die Gemeinde immer wieder auf Christus aus, um sie mit neuer Energie zu erfüllen und ihr neue Wegweisung zu geben. Auch dies ist ein Teil der Aufgabe eines Gemeindegründers, das Volk Gottes zu seinem Dienst zuzurüsten und funktionsfähig zu erhalten.
Wie Gott apostolische Arbeiter hervorbringt
Eines der heute vielleicht am wenigsten verstandenen Prinzipien, wie Gott sein Werk vorantreibt, ist, dass reisende Arbeiter immer aus einer bestehenden Gemeinde erwuchsen. Es waren Menschen, die eine einzigartige Offenbarung über Christus und über den ewigen Ratschluss Gottes in ihm hatten. Sie waren mit dem Geheimnis Gottes wohlvertraut und in besonderem Maße befähigt, dieses Geheimnis anderen verständlich zu machen (Eph 1,9; 3,2-11; Kol 1,24-29). Darüber hinaus erlernte der christliche Arbeiter all diese geistlichen Wahrheiten als normales Glied einer bestehenden organischen Gemeinde, in der er kein Leitungsamt ausübte.11
Ein großer Teil der Vorbereitung eines Arbeiters auf seinen Dienst ist das Leben in einer organischen Gemeinde – bevor er ausgesandt wird. In diesem seltenen Rahmen erfährt und lernt der christliche Arbeiter die geistliche und praktische Realität des Leibes Christi. Die Arbeiter des ersten Jahrhunderts gingen nicht samstags aus der Synagoge hinaus, um am folgenden Sonntag Gemeinden zu gründen. Sie mussten erst selbst das erleben, was zu gründen sie dann ausgesandt wurden. Dieses Prinzip ist enorm wichtig. Möchtegern-„Gemeindegründer“, die selbst noch keine Erfahrung im Umfeld einer authentischen organischen Gemeinde gesammelt haben, tun gut daran, dies zu tun.
Kein Studium an einem theologischen Seminar oder einer Bibelschule kann jemanden dazu befähigen, eine Gemeinde des lebendigen Gottes ins Leben zu rufen. Auch eine Position in einer institutionellen Kirche oder einem Bibelkreis ermächtigt einen nicht dazu. Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass man Zeit in einer organischen Gemeinde des Leibes Christi verbracht hat.
Anders gesagt: Man kann nicht produzieren, was man nicht selbst erlebt hat. Mehr noch: Die Höhen und Tiefen, das Erprobtwerden und die daraus resultierende Veränderung, Zerbruch und Auftrieb, Aufgedecktwerden und Erweiterung – kurzum alles, was organisches Gemeindeleben mit sich bringt, ist Grundvoraussetzung für die Vorbereitung der zu Gottes Werk Berufenen.
Ohne eine solche Vorbereitungszeit draufloszumarschieren und Gemeinden zu gründen, ist daher nichts als Torheit. Wer so vorgeht, beweist, dass er Gottes Wege gründlich missverstanden hat. Das herausfordernde Leben im Leib Christi ist dazu da, dass Möchtegern-Arbeiter zu „fahrenden Geistlichen“ werden, die über das Volk des Herrn herrschen, wie distanzierte Bosse. Als einfacher Christ in einer organischen Gemeinde zu leben, führt zu Zerbrochenheit und Demut. Es ist dazu da, den Arbeiter zu formen, sodass er dem Volk Gottes nicht zur Gefahr wird. (Eines der wichtigsten Kennzeichen, dass jemand geistlich gesehen „sicher“ ist, ist, dass er in einem Team arbeitet.) Dieses Leben dient auch ihrer Aus- und Zurüstung, damit sie wissen, was sie tun, wenn es um den Aufbau von Gottes Haus geht. Anders ausgedrückt: Im Werk Gottes ist nicht nur die Methode von Bedeutung; die Person als solche ist genauso wichtig. Es ist, wie Watchman Nee sagt:
Wir müssen bedenken, dass wir mit apostolischen Methoden kein apostolisches Ergebnis erzielen, wenn wir nicht auch dieselbe Hingabe, denselben apostolischen Glauben und die apostolische Vollmacht haben. Wir dürfen den Wert ihrer Methoden nicht unterschätzen, denn sie sind unbedingt notwendig, um Frucht zu ernten. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, dass apostolische Geistbevollmächtigung dazu gehört, und dürfen uns auch nicht vor der Verfolgung fürchten, die die Apostel zu erleiden hatten.12
Helfer im Werk
Das Neue Testament stellt unmissverständlich fest, dass nicht alle Christen zum apostolischen Dienst berufen sind (1 Kor 12,28 ff.). Viele Christen sind jedoch berufen und begabt, das apostolische Werk zu unterstützen. Wie wir bereits gesehen haben, hatte Paulus eine Reihe von „Mitarbeitern“, die ebenfalls Gemeinden gründeten. Doch darüber hinaus hatte er weitere Männer und Frauen, die ihn in seiner Arbeit unterstützten.13
Von diesen waren zweifellos einige Propheten und Lehrer, andere vielleicht nicht. Alle jedoch hatten sie ein Herz für das Werk des Herrn und waren gewillt, nach ihren Kräften und Fähigkeiten zu helfen. Unter ihnen waren Johannes Markus, Onesiphorus, Sosthenes, Erastus, Urbanus, Priscilla und Aquila, Kreszenz, Onesimus, Philemon, Archippus und Phoebe.
Zusätzlich hatten Petrus und Paulus oft ein Unterstützerteam, das sie auf ihren Reisen begleitete (Apg 10,23; 11,12; 12,25; 15,2). Leider sind manche Christen der irrigen Auffassung, Gemeindegründer zu sein sei das anzustrebende „Nonplusultra“. Eine solche, den Dienst des apostolischen Arbeiters verklärende Vorstellung ist tragisch und dumm zu nennen.
Wer nicht zum Gemeindegründer berufen ist, ist deswegen noch lange kein Christ zweiter Klasse. Wie gesagt, hatten die Menschen, die Paulus unterstützten, ein Herz für Gottes Werk und waren stark daran beteiligt. Ohne sie wäre das Werk nicht vorangekommen.
In Wirklichkeit gibt es neben dem Aposteldienst viele Gaben im Leib Christi, die vom Herrn genauso wertgeachtet sind: Propheten, Lehrer, Evangelisten, Helfer, Ermahner und Tröster – um nur einige zu nennen (Eph 4,11 ff.; 1 Kor 12,28 ff.; Röm 12,4 ff.).
Im traditionellen kirchlichen System stehen jenen, die sich von Gott zum Dienst „berufen“ fühlen, hauptsächlich drei Optionen offen: Sie können sich zum Pastor, zum Missionar oder zum Kirchenmusiker/Anbetungsleiter ausbilden lassen. Diese stark eingeschränkte Vorstellung vom Dienst hat keine biblische Basis. Ich bin überzeugt, dass dadurch viele „berufene“ Christen in Rollen gezwängt werden, die Gott nie vorgesehen hat.
Das Neue Testament stellt die Gemeindegründer nicht dem Rest der Christen gegenüber. Es gibt verschiedene Begabungen und Dienste, und diese wirken zusammen, dass die Gemeinde des lebendigen Gottes entsteht und wächst.
Eine Herausforderung für alle Gemeindegründer
Vielleicht gehören Sie zu denen, die glauben, es gäbe heute keine Apostel mehr. Zweifelsohne nehmen die zwölf Apostel eine einzigartige Stellung in Gottes Plan ein (Lk 22,30; Offb 21,14).14
Die Schrift erwähnt allerdings eine ganze Reihe weiterer Apostel, so beispielsweise Paulus und Barnabas (Apg 14,4.14; 1 Kor 9,1-6); Jakobus, den Bruder des Herrn (Gal, 1,19); dazu Timotheus und Silas (1 Thess 1,1; 2,6). Das sind nur einige der Apostel, die im Neuen Testament Erwähnung finden. Der apostolische Dienst