Psychiater Na schön, wir werden sehen. Und nun sprechen Sie sich aus.
Doktor Dessenbrinck Es handelt sich um das Programm DECISION. Sie wissen, was ich meine? Das Projekt von Professor Koenig.
Psychiater Ja, ich habe davon gehört.
Doktor Dessenbrinck Er hat es vernichtet. Die Bänder durch das Wirbelfeld laufen lassen. Die Arbeit von acht Jahren. Auch meine Arbeit.
Psychiater (brummend) Und weiter?
Doktor Dessenbrinck Er hat mir erklärt, warum er es getan hat. Er meinte, die Menschheit sei noch nicht reif dafür. Da würde etwas in Bewegung kommen … etwas, was sich nicht aufhalten lässt. Er sagte, dass die Intelligenz, die auf diese Weise entsteht, jene des Menschen weit übertrifft. Er sagte, die Folgen wären genau so entscheidend wie die Konfrontation mit außerirdischen Intelligenzen, die uns überlegen sind. Die Konsequenzen wären stärker als die aller Revolutionen, die es bisher auf der Erde gegeben hat.
Psychiater Und nun trauern Sie um das Ergebnis Ihrer Arbeit. Das ist verständlich. Aber es hat nun einmal keinen Sinn, sich über vergossene Milch Gedanken zu machen. Hören Sie, ein Mann Ihrer Qualitäten! Sie werden neue interessante Aufträge erhalten, vielleicht gelingt es Ihnen sogar, einen Teil Ihrer Erfahrungen zu verwerten. Lässt sich denn dieses Programm nicht rekonstruieren – wenigstens in den Grundzügen?
Doktor Dessenbrinck (seufzend) Sie verstehen mich nicht. Darum geht es doch gar nicht. Sehen Sie, ich verstehe die Argumente von Professor Koenig sehr gut. In allem, was er sagt, hat er recht. Und so ist die Konsequenz, die er gezogen hat, völlig logisch.
Psychiater (erstaunt) Und trotzdem sind Sie bedrückt? Was quält Sie denn nun eigentlich?
Doktor Dessenbrinck Er hat offensichtlich recht – und doch wieder unrecht. Kann man denn den Fortschritt aufhalten, indem man Daten löscht? Kann man den Kopf in den Sand stecken? Kann man Probleme lösen, indem man sagt »ohne mich«!
Psychiater Sie meinen, was in Ihrem Institut gelungen ist, könnte auch anderen gelingen …
Doktor Dessenbrinck Das ist zwar richtig, aber es stört mich nicht. Es ist etwas ganz anderes, was mir im Kopf herumgeht …
Psychiater Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie es nicht sagen. Sie müssen einfach Vertrauen haben!
Doktor Dessenbrinck Nun, ja – es ist nicht einfach so … Professor Koenig hat das Programm zwar vernichtet, aber ich habe ein Duplikat davon aufbewahrt. (Seufzt) Bis heute weiß ich noch nicht, ob ich richtig gehandelt habe oder falsch.
Psychiater (merklich aus der Ruhe gebracht) Das Programm ist also noch vorhanden? Es ist nicht zerstört?
Doktor Dessenbrinck Ich sagte Ihnen doch, ich habe ein vollständiges Duplikat.
Psychiater Und das ist alles, was Sie belastet? Sie haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt – und das ist das Beste, was ein Mensch tun kann.
Doktor Dessenbrinck Sie meinen also … Es war richtig …
Psychiater Aber klar! Immerhin handelt es sich um die Forschungsergebnisse vieler schwerer Jahre. Ich hätte verstehen können, wenn es Sie gekränkt hätte, dass nun alles vernichtet sei … So aber! Ich glaube, ich kann Sie beruhigt nach Hause schicken. Sie sind ein Mensch von ungewöhnlichen moralischen Qualitäten – das verursacht schon manchmal Schlaflosigkeit. Ich werde Ihnen einige Tabletten verschreiben, Sie werden sich erholen – und sich keine Gedanken mehr machen über etwas, was ja eigentlich gar nicht geschehen ist.
Rascheln von Papier, Abbruch der Tonbandaufzeichnung.
Das Programm von Professor Koenig war also nicht vernichtet, der Menschheit eine Entscheidung weniger abgenommen! Der Schritt in die Öffentlichkeit, den der Psychiater N. unternahm, geschah ohne die Erlaubnis von Doktor Dessenbrinck, der von der Publikation völlig überrascht wurde. Vielleicht hätte er sich im letzten Moment noch entschlossen, die Magnetbänder zu löschen, doch einige vom Ministerium rasch herbeibeorderte Beamte in Zivil sorgten dafür, dass er erst gar keine Gelegenheit dazu bekam. Noch am selben Tag wurde eine Konferenz zusammengerufen, an denen die führenden Informatiker und Kybernetiker, aber auch Philosophen und Theologen unter dem Vorsitz des Ministers teilnahmen. Offenbar war es schwer, das Gespräch in geordneten Bahnen zu halten – oft genug wechselten abstrakt theoretische Erörterungen unkontrolliert mit dem Gedankengut der populären Wissenschaft, der Ethik und Morallehre und der praktisch technischen Argumentation, ohne dass der eine den anderen verstand. Wir geben einige Auszüge aus der Diskussion wieder.
Pastor Schult … eine beachtliche Leistung des menschlichen Verstands, gewiss! Aber eben doch nicht mehr. Punkte und Zahlen auf einem Stück Papier, magnetisierte Eisenteilchen in einem Tonband. Na und? Ist es nicht eine neue Form von Aberglauben, dass wir dahinter das Böse wittern? Und ich meine das Böse: eine reale Macht, die in unser Leben eingreift, und nicht nur abstraktes Schema.
Professor Toff Nur Software meinen Sie, nur Theorie! Ist Ihnen denn nicht klar, dass das Gute wie auch das Böse stets nur in den Gedanken steckt und nie in den Dingen! Stets nur in abstrakten Prozessen, aus denen Entscheidungen entwachsen, und nicht in hämmernden Kolben und rotierenden Rädern!
Minister Ein altes Problem! Ob Hardware oder Software – ein Instrument, über dessen Gebrauch wir beraten müssen. Und ebenso wenig gut oder böse wie ein Messer oder ein Hammer. Wenn wir hier Bedenken hätten, meine Herren, dürften wir überhaupt kein technisches Werkzeug verwenden, und schon gar keine Waffe. Aber dafür sind wir ja schließlich da – Vertreter des Volks –, um die Mittel, über die wir verfügen, zum Wohl der Gemeinschaft anzuwenden …
Professor Meder Ich finde die Vorstellung, ein Computer könnte gewissermaßen die Macht an sich reißen, geradezu lächerlich. Wir wissen doch alle, dass ein Computer nur das auszugeben vermag, was man ihm eingegeben hat. Und das gilt auch für den modernsten Computer der Welt.
Professor Pazzini Ein solcher moderner Computer ist schließlich auch unser Gehirn, verehrter Kollege! Wollen Sie vielleicht behaupten, dass dieses keine Innovation zu schaffen vermag?
Professor Meder Sie können doch das menschliche Gehirn nicht mit einem Computer vergleichen! Diese alten Primitivvorstellungen der beginnenden Kybernetik sind doch längst überholt!
Professor Pazzini Das Gehirn ist genauso wie jede Maschine aus Materie zusammengesetzt, die sich in verschiedenen Zuständen befinden kann. Es gibt keinerlei Grund dafür, dass eine Maschine, die von Menschen gebaut ist, nicht zu prinzipiell denselben Leistungen fähig ist wie das menschliche Gehirn. Umso mehr, als das Programm von Professor Koenig seine eigene Weiterentwicklung übernimmt und dadurch zu Strukturen findet, an denen wir unsere Erkenntnisse über simple Digitalrechner nicht anwenden können.
Pastor Schult Der Mensch ist schließlich ein lernfähiges Wesen, das seine Erfahrungen aus der Umwelt gewinnt. Wie wollen Sie einem Computer, der blind und taub ist, anwendbares Wissen über die Welt zudichten? Das wäre doch die mindeste Voraussetzung dafür, dass er überhaupt eingreifen kann.
Professor Toff Der Computer hat sowohl Augen – nämlich Videokameras – wie auch Ohren – nämlich Mikrofone. Und er hat mehr als das: Er ist in einem weltumspannenden Datennetz mit sämtlichen Speichern verbunden. Er verfügt über das gesamte Wissen der Vergangenheit und der Gegenwart, und durch unzählige Kanäle kommt immer neue Information hinzu. Denken Sie doch daran, dass heute sämtliche Meldungen aus Presse und Funk computergesteuert verarbeitet und wieder ausgegeben werden. Alle auch nur einigermaßen interessanten Texte, ob literarisch oder wissenschaftlich, gehen durch die Übersetzungsautomaten, und sind somit einer maschinellen Intelligenz stets präsent. Selbst die geheimsten Nachrichten, vielfach zerhackt und verschlüsselt, sind dem Computer zugänglich – denn er ist das einzige System, das die komplizierten Codes zu entschlüsseln vermag. Und da wagen Sie zu behaupten, der Computer könne weniger sinnfällig auf Zustände der Umwelt reagieren als der Mensch!
Professor Pazzini Vom Standpunkt der Automatentheorie aus gesehen halte ich es durchaus für möglich, dass sich ein System, das funktionale Zusammenhänge