Der Mord am Pulverbach. Gisela Garnschröder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisela Garnschröder
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967526189
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und her, immer den Blick zur Erde, suchte er die Unfallstelle gründlich ab, obwohl das von der Spurensicherung schon erledigt worden war. Dörte Masch entfernte mit einem Kollegen die Absperrung der Unfallstelle, und mit einem kurzen Nicken zu Tann fuhren sie davon.

      Der Hauptkommissar hatte nichts gefunden, was ihm weiter geholfen hätte, und nach einer halben Stunde fuhr auch er zurück ins Kommissariat an der Herzebrocker Straße in Gütersloh. In seinem Büro angekommen, fertigte er den Bericht und erkundigte sich telefonisch bei den Kollegen der Spurensicherung, ob schon jemand den Namen des Unfallopfers herausgefunden hatte. Man hatte ein Foto des Verunglückten ins Netz gestellt und einen Rundruf im Radio gesendet, aber bisher keine Reaktion.

      Tann schnappte sich seinen Bericht, gab ihn beim Polizeirat ins Fach und machte sich auf zum Kindergarten, um seinen Sohn wieder abzuholen. Seine Frau war mit ihrer Schulklasse zu einem Tagesausflug an den Dümmer See gefahren und würde erst gegen neunzehn Uhr zurück sein. Am Kindergarten wartete Christian schon auf seinen Vater. Josef Tann brachte ihn zu Rosa Diem, der Tagesmutter, die bei Abwesenheit seiner Frau am Nachmittag den Jungen betreute. Der Junge plapperte im Fond ununterbrochen, aber Tann hörte nur mit halbem Ohr hin, murmelte manchmal ein »Ja, ja« und schoss nach wenigen Minuten mit einem Satz auf den Hof der Tagesmutter. Christian hatte schon den Gurt seines Kindersitzes geöffnet, stellte sich hinter den Sitz seines Vaters und beide stiegen aus. In diesem Moment erschien Rosa Diem in der Tür und rief: »Christian, wir backen heute Waffeln.«

      »Au fein!«, antwortete der Junge, stob davon und verschwand im Haus. Tann begrüßte Rosa Diem, wechselte ein paar Worte und rief, als er schon wieder eingestiegen war:

      »Um sechs hole ich ihn ab.« Rosa winkte und eilte dem Jungen hinterher.

      Tann fuhr noch einmal zur Vennorter Straße. Langsam und aufmerksam ging er nochmals an der Fahrbahn entlang, sah unter einem Strauch einen blauen Stofffetzen, weit entfernt vom Fundort der Leiche, hob ihn auf, bemerkte Blut daran, holte eine Plastiktüte aus der Tasche und gab das Stück hinein.

      Vielleicht war der Unfallverursacher doch noch am Tatort gewesen und erst danach davon gefahren.

      Es erfüllte den Beamten mit Zorn, dass jemand den jungen Mann an der Straße hatte liegen lassen, ohne auch nur den Versuch zu machen, sein Leben zu retten. Er dachte an seinen Sohn, der im November fünf Jahre alt wurde. Wenn so ein gewissenloser Mensch sein Kind überfahren hätte, nein, das würde nie passieren. Schnell wischte Josef Tann den Gedanken weg. Vor einigen Jahren hatte seine Frau Cäcilia, die er liebevoll Cil nannte, einen Unfall. Ein anderer Fahrer hatte ihr die Vorfahrt genommen, und es war zu einem Zusammenstoß gekommen. Wie von Sinnen war er damals zur Unfallstelle gefahren. Nur eine Schramme im Gesicht und einige blaue Flecken hatte sie davon getragen, seinem Sohn, der im Fond schlief, war gar nichts passiert, dennoch hatte er sich geschworen, das dürfe nie wieder passieren, die beiden waren das Beste, was er hatte.

      Noch einmal ging der Beamte auf und ab, er fand nichts mehr und fuhr zurück in sein Büro.

      »Der unbekannte Tote ist zwischen sechzehn und zwanzig Jahren alt, hat dunkelbraunes, halblanges Haar und am rechten Ohrläppchen ein kleines, rundes Muttermal.«

      Cora zog den Stecker aus dem Ohr und das Radio war still. Sie stand am Fahrradständer und hatte gerade ihr Rad abgeschlossen, als die Nachricht gesendet wurde.

      »Volker«, flüsterte sie, »das kann nur Volker sein.« Erschrocken sah sie sich um, niemand hatte ihr Selbstgespräch gehört. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie das Gefühl hatte, jemand könne es hören. Sie nahm ihre Schultasche vom Gepäckträger und ging langsam über den Schulhof. Es war schon fast elf Uhr. Am Morgen hatte sie sich nicht wohl gefühlt und ihre Freundin Martina gebeten, sie bei der Lehrerin zu entschuldigen. Am Eingang auf der obersten Treppenstufe stand Martina nun und winkte ihr zu. Coras Hände zitterten, als sie auf die Freundin zuging, ihre Beine fühlten sich an, als seien sie aus Gummi, in ihrem Kopf hämmerte es wie wild und in ihren Ohren rauschte es, als wäre Sturm. Martina sah Cora kommen, aber sie ging so langsam, als wolle sie nie ankommen. Beunruhigt lief sie ihr entgegen.

      »Cora, was ist mit dir? Geht es dir immer noch so schlecht?« Cora gab keine Antwort, sie war blass wie ein Leinentuch, wankte plötzlich, und hätte Martina sie nicht gestützt, wäre sie wohl gefallen. Ihre Tasche rutschte zur Erde und Martina hatte alle Mühe die Schwankende bis zur Treppe zu schleppen.

      »Mir ist so schlecht«, stöhnte sie, im selben Moment kippte sie zur Seite und war ohne Bewusstsein.

      Als Cora endlich erwachte, erschien es Martina wie eine Ewigkeit. Der Hausmeister hatte ihr geholfen, die Freundin auf eine Liege zu betten und sofort den Notarzt gerufen.

      »Da sind Sie ja wieder!«, das lächelnde Gesicht von Dr. Bracht schaute auf Cora hinunter. Sofort wollte sie hoch.

      »Bleiben Sie noch ein wenig liegen, Ihr Kreislauf war zusammen gebrochen. Haben Sie so etwas schon einmal gehabt?« Cora schüttelte den Kopf.

      »Wenn es Ihnen besser geht, sollten Sie auf jeden Fall noch einmal ihren Hausarzt aufsuchen, mit solch einer Sache ist nicht zu spaßen.«

      Cora nickte folgsam. Der Arzt verschwand eilig. Nach einer halben Stunde stand Cora auf und fuhr mit dem Rad nach Hause.

      Christa Wiener war erst gegen acht Uhr vom Nachtdienst im Krankenhaus zurückgekommen, sie hatte gefrühstückt und die Zeitung gelesen. Kurz vor neun Uhr schaltete sie das Radio ein und zog sich ihren Schlafanzug an, als sie im Radio eine Nachricht hörte. Erschrocken lief sie in das Zimmer ihres Sohnes. Das Bett war unberührt.

      Volker war siebzehn und machte sich normalerweise sein Frühstück selbst. Wenn er von der Schule kam, war es in der Regel vierzehn Uhr und sie aßen zusammen Mittag. Aber heute war er gar nicht im Haus gewesen. Sie hätte es bereits merken müssen, denn seine Lieblingswurst hatte er nicht angerührt und auch der Erdbeerquark, den er gern mit zur Schule nahm, stand noch im Kühlschrank. Als sie gestern gegen neun Uhr abends das Haus verließ, saß Volker vor seinem Computer. Mit keinem Wort hatte er erwähnt, dass er noch fort gehen wollte. Unruhig rannte Christa hin und her und überlegte ob sie den Sender anrufen sollte. Die Telefonverbindung von Radio Gütersloh stand in der Tageszeitung. Mit fliegenden Fingern blätterte sie nun darin herum. Dann legte sie das Blatt beiseite. Sie musste zur Polizei. Gerade als sie den Hörer in der Hand hatte, klingelte es an der Tür. Eine Frau und ein Mann in Polizeiuniform standen davor.

      »Frau Wiener?« Die junge Beamtin sah sie prüfend an. Christa nickte.

      »Was ist mit meinem Sohn?« Ihr Herz klopfte heftig in ihrer Brust, und das kurze Zögern der Beamtin ließ sie aufschluchzen.

      »Nein, das kann nicht sein. Das muss ein Irrtum sein.« Ohne auf die Beamten zu achten, war sie hinein gelaufen, und ging nun unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Die beiden Uniformierten waren ihr gefolgt und die junge Frau legte den Arm um Christas Schultern.

      »Der junge Mann, den wir gefunden haben, hatte einen Verkehrsunfall. Ein Lehrer des Gymnasiums in Steinhagen hat uns ihre Anschrift mitgeteilt.« Christa blieb stehen.

      »Ich habe es im Radio gehört«, flüsterte sie geschockt, »Ich wollte Sie gerade anrufen. Ist…«, sie stockte. »Ist er tot?« Die Beamtin nickte und Christa ließ den Tränen freien Lauf. Die Beamtin hielt sie umschlungen. Christa bemerkte es nicht. Nach einigen Minuten erklärte die Polizistin:

      »Es ist nicht sicher, dass es Ihr Sohn ist. Er wurde noch nicht identifiziert.« Ein Ruck ging durch die Gestalt von Frau Wiener, sie straffte die Schulten und blickte auf.

      »Er ist nicht nach Hause gekommen. Und die Beschreibung passt zu ihm. Er hat einen Leberfleck am rechten Ohrläppchen.« Sie war jetzt etwas ruhiger.

      »Kann ich ihn sehen?« Die Beamtin nickte wiederum.

      »Jemand muss ihn identifizieren. Trauen Sie es sich zu, oder sollen wir jemand anderen bitten?« Frau Wiener wischte sich mit einem Taschentuch durch das Gesicht und holte tief Luft.

      »Ich komme mit.« Sie ging nach nebenan, kleidete sich hastig um und holte ihren Mantel. Bisher hatte der Polizeibeamte seiner Kollegin das Feld überlassen und verlegen der Unterhaltung