Tischgespräche zur Gegenwart
de vita caroli quarti
Zivilisationstest. Die Corona-Krise liefert Antworten auf die
Zukunftsfrage der Menschheit: Wie lernen Kulturen? Ein Essay
»zurück bei Büchner.«
5 Fragen – 5 Antworten
vermooste hose: wie wir nun ranzen
Corona-Tagebuch
Sprachlaub oder: Wahr ist, was schön ist
im zug | es beginnt, wo es endet | 5 Fragen – 5 Antworten
Ein Wutanfall. Oder: Von der Sehnsucht nach einer Welt, in der
Leben und Zerstören nicht ein und dasselbe sind
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Corona-Tagebuch | 5 Fragen – 5 Antworten
drüben stehen die robinien | in schreibschrift geschrieben |
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Dunkelblum | 5 Fragen – 5 Antworten
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Vor, während und eine Miniaturutopie nach der Pandemie
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In Erinnerung an Claude Vigée
VEA KAISER, CLEMENS BERGER, MARC ELSBERG, URSULA POZNANSKI
Tischgespräche zur Gegenwart
Vea Kaiser: Es hat sich viel getan in diesem Jahr. Schon allein, dass wir uns heute hier treffen können ist eine Ausnahmesituation, eigentlich wäre zurzeit Frankfurter Messe.
Ursula Poznanski: Es war sicher richtig, dass die Messe abgesagt wurde. Ich war einen Abend in Frankfurt, aber habe keine Messe gesehen. Ich war am Hauptfriedhof, das war insofern gut, weil ich den brauche für mein aktuelles Buch, und hatte am Abend eine Lesung vor 50 Leuten in einem Raum, wo sonst 150 reingegangen wären. Dann bin ich wieder nach Hause geflogen. Es war insgesamt ein bisschen sinnbefreit. Es gab sogar einen Büchertisch, aber man durfte nicht signieren.
K: Clemens, Du hast gerade in Köln gelesen, wie war es dort?
Clemens Berger: Das Forum Independent hat dort ein Buchfest veranstaltet. Das Pech war, dass an diesem Morgen die Kanzlerin sagte, man solle zu Hause bleiben. Nach Monaten an Vorbereitung war dann sehr wenig los. Ich hatte zwei Lesungen, die erste war um vier. Da waren vielleicht 30 Leute, die zweite hätte um sieben sein sollen, aber da kein Mensch mehr da war, haben wir es gelassen. Dann wollten wir essen gehen, in ein Restaurant, in dem man normalerweise ohne Reservierung keinen Platz bekommt. Als wir hinkamen, war dort kein einziger Mensch. Im Hotel waren beim Frühstück fünf Leute. Man musste zuerst die Hände desinfizieren und dann über die desinfizierten Hände Einwegplastikhandschuhe ziehen. Beim Rückflug, am Sonntag, bin ich sicher zwei bis drei Kilometer durch die Gänge gegangen, ohne einen einzigen Menschen zu sehen. Aber im Flugzeug saßen alle Schulter an Schulter, das finde ich wirklich absurd.
K: In Deutschland beobachtete ich auf der einen Seite viel strengere Regeln, und auf der anderen Seite viel größere Nicht-Akzeptanz dieser. Als ich mit der Deutschen Bahn fahren musste, befand sich mein zugeteilter Sitzplatz neben einem älteren Herrn. Der wollte keine Maske tragen, also hat er sich eine Bierflasche bestellt und an der vier Stunden genuckelt.
P: Stell dir vor, das Virus wäre noch ansteckender und bei 50 % der Infizierten tödlich. Die Leute würden sich doch gegenseitig umbringen, wenn man jemanden ohne Maske sieht.
Marc Elsberg: Interessant ist: Wenn man sich die Seuchenfilme der letzten Jahrzehnte anschaut, sieht man nirgendwo eine Maske.
K: Wie oft habt ihr euch im letzten Jahr gedacht: Um Gottes Willen, das ist ja wie in meinen Romanen? Die Realität holt die Fiktion ein.
P: Ich habe sowas nie geschrieben und habe auch keine Lust, es zu schreiben. Für eine Dystopie müsste man es noch ein bisschen mehr auf die Spitze treiben.
E: Lustig sind die Cartoons, wo zwei Menschen auf der Couch sitzen und sagen: Niemand hat bei diesen Dystopien die Langeweile erwähnt. Das liegt aber natürlich auch an dem Verlauf, den wir haben.
P: Es rechnet ja auch niemand damit, dass du der Sache mal so müde wirst, also dass die Krise einmal langweilig wird. Am Anfang haben noch alle aus den Fenstern gesungen.
B: Der Anfang ist immer interessant.
P: Wir ziehen alle an einem Strang, wir schaffen das!
E: Um die Frage zu beantworten, jein, die Dynamik war bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar, wenn man sich mit solxchen Situationen beschäftigt, so wie ich in »Blackout«. Dass sich die Leute nicht schon nach ein paar Stunden gegenseitig umbringen, sondern dass man in einer Krise am Anfang zusammenhält. Mein Agent und mein Verlag wollten jahrelang, dass ich über eine Pandemie schreibe, aber das hat mich nicht interessiert, weil es schon in den späten 90ern ein riesengroßer Hype war.
K: In diesem Herbst habe ich bereits 25 Corona-Bücher gezählt. Das erste kam Anfang Mai heraus. Ein Schweizer Journalist dürfte binnen einer Woche einen Corona-Roman geschrieben haben. Keine Ahnung, wie der das gemacht hat. Hat es euch bisher gereizt, über Corona zu schreiben?
E: Gar nicht.
P: Nein.
B: Nein.
K: Okay, ich gestehe: Ich schrieb vier Wochen lang über alle diese Paare in meinem Freundeskreis, die durchdrehten,