Das Schwergewicht walzte mit blutunterlaufenen Augen heran. Der Bursche verließ sich auf seine Kraft, mit der er Roberto Tardelli ungespitzt in den Boden hätte rammen können, wenn dieser den Fehler gemacht hätte, sich dem Gegner frontal entgegenzuwerfen.
Es wurde ein Kampf Hirn gegen Faust.
Der Vierschrötige schoss einen Hammer ab, der Roberto in der Mitte entzwei geschlagen hätte – wenn er getroffen hätte. Doch der wendige Mafiajäger wich diesem und den nachfolgenden Schlägen geschickt aus. Er konterte mit sicherem Auge und nutzte die Fehler des andern hart und blitzschnell zu seinem Vorteil aus.
Er geriet keine Sekunde in ernsthafte Gefahr.
Hingegen machten dem Großen Robertos brettharte Handkanten schwer zu schaffen. Binnen Kurzem kassierte der Vierschrötige drei Treffer, die ihn hart an den Rand einer schmählichen Niederlage bugsierten. Er versuchte, als Roberto auf dem Vormarsch war, einen Entlastungsangriff, der jedoch ziemlich schiefging. Als Roberto Tardelli die ungedeckte Kinnspitze des Gegners bemerkte, machte er das Maß mit einem kraftvoll hochgezogenen Uppercut voll.
Der streitsüchtige Kerl torkelte rückwärts aus der Wohnung.
Roberto folgte ihm bis auf den Gang, und als er zu einem neuerlichen Schlag ansetzte, riss der Schwere die Hände beschwörend hoch und gurgelte mit dick angeschwollenen Lippen: „Es reicht! Ich habe genug, verdammt!“
„Okay“, nickte daraufhin Roberto. Er blieb noch in Kampfstellung. „Dann darfst du dich jetzt empfehlen. Und ich würde an deiner Stelle nicht noch mal hierher kommen. Es könnte sein, dass wir uns wieder begegnen.“
„Gott behüte!“, ächzte der Große, machte auf den Hacken kehrt und trottete mit hängenden Schultern davon. An dieser Niederlage würde er noch lange knabbern. Er war doppelt so breit und etwas größer als Roberto – und hatte dennoch seine Dresche bekommen. Das muss einen ja ins Grübeln bringen.
Roberto Tardelli hörte die schweren Schritte des Burschen. Er vernahm das Ächzen der Stufen, die vom ersten Stock zum Erdgeschoss hinunterführten, und dann klappte die Haustür.
Das Feld war geräumt.
Als Roberto in Claudia Breggs Wohnung zurückkehrte, lag das Mädchen immer noch auf dem breiten Bett.
Jetzt erst brachte das Mädchen seine Kleidung in Ordnung. Sie warf Roberto einen erstaunten, dankbaren Blick zu. Dann stand sie auf, ging zu einer in die Wand eingebauten Bar, füllte zwei Gläser mit mildem Bourbon und reichte eines davon ihrem Schutzengel, der bei ihr im genau richtigen Moment aufgetaucht war.
„Danke“, sagte sie sanft. „Sie haben sehr viel für mich getan.“
Die fünf Finger an ihrer Wange verblassten langsam. Roberto erwiderte schmunzelnd: „Ich hab‘s gern getan. Ich kann Kerle, die Mädchen schlagen, nicht ausstehen.“
„Jetzt schulde ich Ihnen etwas“, sagte Claudia.
„Unsinn ...“
„Doch, doch.“ Sie wies auf das Bett. „Wollen Sie mit mir schlafen?“
Roberto blickte das Mädchen verwundert an. „Ich bin nicht deswegen hier, Claudia.“
„Das macht nichts. Ich wüsste nicht, wie ich mich anders dankbar erweisen könnte.“
„Ich schon“, sagte Roberto lächelnd. Er beschrieb den Mann, hinter dem er her war, und mit dem Claudia vor dem „Little Tattoo“ gesehen worden war. Es fiel ihm nicht schwer, Mel Kowalski zu beschreiben. Das Dossier, das COUNTER CRIME von diesem gefährlichen Killer angelegt hatte, war nicht nur viele Seiten stark, sondern ihm lagen auch eine Menge Aufnahmen bei, die diesen Berufsmörder in Badehose, Trainingsanzug, Smoking, Parka und so weiter zeigten.
Claudia wusste sofort, von wem Roberto sprach.
Sie hätte wohl kein Wort über Kowalski gesagt, wenn sie nicht in Robertos Schuld gestanden hätte. Schweigen gehörte zu ihren grundlegendsten Geschäftsprinzipien. Doch dieses eine Mal machte sie eine Ausnahme. Und so erfuhr der Mafiajäger, dass Mel Kowalski dem Mädchen erzählt hatte, er wolle heute nach Chicago fliegen.
Für Roberto stand fest: Wenn der Profikiller das gewollt hatte, dann hatte er es inzwischen auch bestimmt getan. Anders formuliert hieß das: Mel Kowalski noch länger hier in Miami Beach zu suchen, war vollkommen sinnlos. Seine Fährte würde erst wieder in Chicago aufzunehmen sein.
10
Obwohl die Hitze in Miami Beach beinahe unerträglich gewesen war, hatte sie ihm besser gefallen als dieser verdammte Regen, der Chicago in eine einzige riesige Pfütze verwandelte. Wie an grauen Schnüren rann das Wasser ununterbrochen vom Himmel. Seit acht Stunden. Und es war noch immer kein Ende abzusehen. Vom Michigansee pfiff ein kühler Wind durch die Straßenschluchten der Metropole und peitschte den wenigen Menschen, die bei diesem Sauwetter unterwegs waren, den Regen erbarmungslos ins Gesicht.
Roberto kroch die Feuchtigkeit in alle Glieder.
Er ging mit verdrossener Miene seines Weges.
Irgendwie kam ihm die Millionen-Einwohner-Stadt, in der er sich nicht zum ersten Mal aufhielt, feindselig vor. So als wollte sie ihn hier nicht haben, weil sie sich noch sehr gut an die vielen Unruhen erinnerte, die er in der jüngsten Vergangenheit hier gestiftet hatte.
COUNTER CRIME bestand nicht nur aus Agenten. Diese große Organisation, die sich so hervorragend zu tarnen wusste, verfügte über ein Netz von Kontaktleuten, Zuträgern, Sympathisanten und Spitzeln, das sich über die gesamten Vereinigten Staaten ausbreitete. Selbstverständlich gab es auch äußerst wichtige Stützpunkte in Übersee. Da waren sie allerdings nicht so dicht gesät wie in den USA.
Alle Leute, die mit COUNTER CRIME irgendwie in Verbindung standen, und in dieser Stadt lebten, waren von Roberto Tardelli bereits kontaktiert worden, doch ohne Erfolg. Keiner hatte Mel Kowalski gesehen.
Dennoch war Roberto felsenfest davon überzeugt, dass sich der Killer in Chicago aufhielt.
Roberto hatte sich auch da blicken lassen, wo man aus den verschiedensten Gründen etwas gegen die Mafia hatte, und er hatte mit Männern gesprochen, die im Allgemeinen sehr gut über die Ehrenwerte Gesellschaft Bescheid wussten. Ihnen allen hatte der COUNTER CRIME-Agent klargemacht, dass er scharf wie eine schwedische Rasierklinge auf einen Tipp war, der ihn auf Mel Kowalskis Spur brachte.
Mit einem vorwurfsvollen Blick zum Himmel stieg Roberto Tardelli aus seinem fuchsiaroten Plymouth Fury.
Er lief auf das Hotel zu, in dem er für die Dauer seines Chicagoer Aufenthalts abgestiegen war.
Er schüttelte sich im Foyer wie ein begossener Pudel.
Der Mann an der Rezeption nickte und lächelte. „Bei einem solchen Wetter ist es in unserer Bar am schönsten, Sir.“
„Eine ausgezeichnete Idee“, erwiderte Roberto. Er fuhr mit dem Lift zur sechsten Etage hoch, zog sich trockene Sachen an und bestellte wenig später in der Hotelbar eine Flasche kalifornischen Rotwein. Er trank, und dachte dabei an die herrliche Sonne, in der dieser köstliche Tropfen, der seine Kehle wie Öl hinunterrann, gereift war.
Das