Hier blickte Sagloba unverwandt forschend in Ketlings Augen; dieser aber wurde bleich und fragte:
»Welche?«
»Fräulein Dro — ho — jow — ska,« sagte Sagloba langsam.
Und indem er die Unterlippe vorschob, begann er unter den zusammengezogenen Augenbrauen mit seinem gesunden Auge zu blinzeln.
Ketling schwieg, bis endlich Sagloba fragte:
»Was sagst du dazu, nun?«
Und Ketling antwortete mit veränderter, aber kraftvoller Stimme:
»Ihr könnt sicher sein, daß ich mein Herz nicht zu Michaels Schaden lenken werde.«
»Bist du dessen gewiß?«
»Viel habe ich im Leben durchgemacht,« versetzte der Ritter, — »mein Ehrenwort.«
Da schloß Sagloba ihn in die geöffneten Arme.
»Ketling, laß deinem Herzenswunsche freien Lauf, soviel du willst! Ich habe dich nur erproben wollen; nicht Fräulein Drohojowska: den kleinen Heiducken haben wir für Michael bestimmt.«
Ketlings Antlitz leuchtete in aufrichtiger, tiefer Freude auf; er umarmte Sagloba, hielt ihn lange an seiner Brust und fragte endlich:
»Ist es gewiß, daß sie sich lieben?«
»Wer würde meinen kleinen Heiducken nicht lieben, wer?« entgegnete Sagloba.
»So ist die Verlobung schon gewesen?«
»Die Verlobung ist noch nicht gewesen, denn Michael hat sich kaum von seiner Trauer freigemacht; aber sie wird sein ... überlaß das nur mir. Das Mädchen ist ihm — sie mag sich auch wie ein Wiesel drehen und wenden — höchlich geneigt, denn bei ihr gilt der Säbel.«
»Das habe ich bemerkt, bei Gott!« unterbrach ihn Ketling, vor Freude strahlend.
»Ha, hast du's bemerkt? Michael beweint noch immer die andere, aber wenn's ihm eine antut, so ist es sicher der kleine Heiduck, denn sie ist der anderen mehr ähnlich, nur daß sie weniger mit den Augen wirft, weil sie jünger ist. Das fügt sich alles gut, nicht wahr? Ich bin überzeugt, zur Wahl haben wir zwei Hochzeiten.«
Ketling sprach kein Wort. Er umarmte Sagloba wieder und legte sein schönes Gesicht an dessen rote Wangen, so daß der Alte ihn abschüttelte und fragte:
»So steckt dir Fräulein Drohojowska schon so tief im Herzen?«
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht,« antwortete Ketling, »ich weiß nur eins: kaum, daß ihr himmlischer Anblick meine Augen erfreut hatte, sagte ich mir, daß mein gequältes Herz nur sie allein noch lieben könnte, und noch in dieser Nacht habe ich den Schlaf durch meine Seufzer weggescheucht und mich ganz der süßen Sehnsucht hingegeben. Sie hat die Herrschaft über mein ganzes Sein errungen, wie eine Monarchin über das untergebene Land und über ihre Getreuen waltet. Ist das Liebe, ist es etwas anderes — ich weiß es nicht.«
»Aber das weißt du doch, daß das kein Schlapphut und keine drei Ellen Tuch zu Pluderhosen sind, kein Gespann und keine Peitsche, keine Wurst mit Rührei noch ein Maß mit Schnaps. Wenn du dessen ganz gewiß bist, so frage über das andere Christine, und wenn du willst, so frage ich sie selbst.«
»Tut das nicht,« erwiderte Ketling lachend. »Wenn ich ertrinken soll, so laßt mich wenigstens noch ein paar Tage glauben, daß ich schwimme.«
»Ich sehe, in der Schlacht sind die Schotten tüchtig, aber in Liebesdingen taugen sie nichts. Die Frauen muß man wie den Feind tüchtig angreifen: veni, vidi, vici — das war meine Maxime.«
»Mit der Zeit, wenn sich meine heißesten Wünsche erfüllen sollten,« sagte Ketling, »werde ich vielleicht um die Hilfe eines Freundes bitten; obwohl ich das Heimatsrecht erhalten habe, adliges Blut in meinen Adern fließt, so ist doch mein Name hier unbekannt, und ich weiß nicht, ob die Frau Truchseß ...«
»Frau Truchseß, Frau Truchseß ...«, unterbrach ihn Sagloba, »darum sei unbesorgt; die Frau Truchseß ist eine wahre Spieldose; wie ich sie aufziehe, so spielt sie. Ich will sogleich zu ihr; man muß ihr sofort zuvorkommen, damit sie nicht scheel sehe auf deine Art mit dem Mädchen umzugehen, denn Eure schottische Art ist anders als die unsrige. Gewiß werde ich nicht gleich in deinem Namen die Werbung vorbringen, ich will nur so beiläufig erwähnen, daß dir das Mädchen in die Augen gestochen hat, und daß es gut wäre, dies Mehl zu Brot umzubacken. So wahr Gott lebt, ich gehe sofort, und du, ängstige dich nicht, ich kann ja doch sagen, was mir beliebt.«
Und obgleich Ketling noch immer zurückhielt, erhob sich Sagloba und ging.
Unterwegs begegnete er Bärbchen, die wie gewöhnlich in ausgelassener Fröhlichkeit war.
»Weißt du, Christine hat Ketling ganz und gar erobert.«
»Er ist nicht der erste!« erwiderte Bärbchen.
»Und du bist darüber nicht böse?«
»Ketling ist eine Puppe — ein artiger Kavalier, aber eine Puppe. — Da habe ich mir das Knie an der Deichsel zerschunden, das ist alles!«
Hier beugte Bärbchen sich nieder und begann das Knie zu reiben, indem sie gleichzeitig Sagloba anblickte; er aber sagte:
»Um des Himmels willen, sei vorsichtig! Wo rennst du wieder hin?«
»Zu Christine.«
»Und was macht sie?«
»Sie? Seit einiger Zeit küßt sie mich beständig und reibt sich an mir wie eine Katze.«
»Sage ihr nichts davon, daß sie Ketling erobert hat.«
»E — he, ob ich das aushalte?«
Sagloba wußte ganz gut, daß Bärbchen das nicht aushalten würde, gerade darum verbot er es ihr.
Er ging also weiter, sehr erfreut über seine Schlauheit, und Bärbchen platzte wie eine Bombe in Fräulein Drohojowskas Zimmer.
»Ich habe mir das Knie zerschunden, und Ketling ist sterblich in dich verliebt!« rief sie gleich an der Schwelle. »Ich habe nicht bemerkt, daß aus dem Wagenschuppen eine Deichsel hervorstand — schwapp, hatt' ich's! Es wurde mir ganz finster vor den Augen, aber es tut nichts. Herr Sagloba hat mich gebeten, dir nichts davon zu sagen. Habe ich nicht gleich gewußt, daß es so kommen wird? Ich hab's gleich gewußt, und du hast ihn mir einreden wollen; sei unbesorgt, man kennt dich! — Es tut noch ein wenig weh. Herrn Nowowiejski habe ich dir nicht einreden mögen, aber Ketling, oho! Der geht nun im ganzen Hause umher, hält sich den Kopf und spricht mit sich selber. Hübsch, Christine, sehr hübsch!«
»Wie bin ich unglücklich, o wie unglücklich!« rief plötzlich Christine und löste sich in Tränen auf.
Bärbchen begann sie zu trösten, aber es half nichts, das Mädchen schluchzte und weinte wie nie zuvor in ihrem Leben.
Wußte doch wirklich im ganzen Hause niemand, wie sehr sie unglücklich war. Seit einigen Tagen war sie in Fieberglut, ihr Gesicht war blaß, ihre Augen hohl, ihre Brust hob und senkte sich in kurzen Atemstößen; es war etwas Seltsames mit ihr vorgegangen. Wie eine plötzliche Krankheit war es über sie gekommen, nicht langsam zunehmend, sondern auf einmal, wie ein Sturmwind, wie ein Orkan hatte es sie mit sich gerissen, wie eine Flamme hatte es ihr Blut erhitzt, wie ein Blitz ihre Einbildung grell geblendet. Nicht einen Augenblick hatte sie vermocht, dieser Kraft Widerstand zu leisten, die so unbarmherzig plötzlich über sie hereingebrochen war. Die Ruhe hatte sie verlassen, ihr Wille war wie ein flügellahmer Vogel ...
Sie wußte selbst nicht, ob sie Ketling liebe, ob sie ihn hasse, und eine furchtbare Angst vor dieser