Christine ließ den Kopf sinken, und zwei kleine Tränen flossen über ihre Wangen.
»Wenn Euch das Ruhe geben kann, und Ihr glaubt, daß meine schwesterliche Neigung nichts nütz ist, so will ich sie verbergen ...«
Und wieder flossen zwei Tränen über ihre rosigen Wangen. Aber dieser Anblick zerriß Michael das Herz.
Er sprang auf Christine zu und ergriff ihre Hände. Ihr Stickrahmen fiel von ihrem Schoß bis in die Mitte des Zimmers; der Ritter aber achtete nicht darauf, er drückte nur die warmen, weichen Sammethände an seine Lippen und wiederholte:
»Weint nicht, Fräulein, um Gottes willen, weint nicht!«
Er hörte aber auch nicht auf, die Hände zu küssen, als Christine, wie das Menschen zu tun pflegen, wenn sie Kummer haben, ihre Hände auf dem Kopfe zusammenlegte; im Gegenteil, er küßte sie um so heißer, bis die Wärme, die aus Kopf und Stirn strahlte, ihn wie Wein berauschte und seine Sinne verwirrte.
Dann wußte er selbst nicht, wie und wann seine Lippen auf ihre Stirn geraten waren und sie noch heißer küßten. Dann gelangten sie auf ihre weinenden Augen, und alles tanzte um ihn her. Dann fühlte er jenen zarten, weichen Flaum über ihrem Munde, dann berührten sich ihre Lippen und drückten sich lang und kräftig aneinander. Es wurde still im Zimmer, nur die Uhr tickte in gemessenem Ernste.
Plötzlich hörte man im Flur Bärbchen trampeln, und ihre kindliche Stimme rief:
»Die Kälte, die Kälte!«
Wolodyjowski sprang von Christine zurück wie ein Luchs, der von seinem Opfer aufgescheucht wird, und in diesem Augenblick stürzte Bärbchen lärmend ins Zimmer und wiederholte unaufhörlich:
»Die Kälte, die Kälte!«
Da stolperte sie plötzlich über den Stickrahmen, welcher mitten im Zimmer lag; sie blieb stehen und blickte verwundert bald auf das Körbchen, bald auf Christine, bald auf den kleinen Ritter und sagte:
»Was, habt Ihr aufeinander gezielt wie mit dem Wurfspieß?«
»Und wo ist Tantchen?« fragte Fräulein Drohojowska, indem sie sich bemühte, aus ihrer wogenden Brust einen ruhigen, natürlichen Ton hervorzubringen.
»Tantchen kriecht aus dem Schlitten heraus,« antwortete gleichfalls mit veränderter Stimme Bärbchen, und ihre beweglichen Nasenflügel gingen lebhaft hin und her. Sie blickte noch einige Male auf Christine und Herrn Wolodyjowski, der inzwischen das Körbchen aufgehoben hatte; dann ging sie plötzlich aus dem Zimmer.
Aber in diesem Augenblick schleppte sich die Frau Truchseß durch die Tür; auch Sagloba kam von oben herunter, und das Gespräch kam auf die Frau Kämmerer von Lemberg.
»Ich habe gar nicht gewußt, daß sie die Patin des Herrn Nowowiejski ist,« sagte die Frau Truchseß, »der ihr viel gebeichtet haben muß, denn sie hat Bärbchen furchtbar mit ihm aufgezogen.«
»Und was hat Bärbchen gesagt?« fragte Sagloba.
»Ei was, Bärbchen, der Springinsfeld. Sie hat der Frau Kämmerer gesagt, er habe keinen Bart und ich keinen Verstand, und Gott wisse, wer von uns zuerst dazu komme.«
»Das wußte ich wohl, daß sie ihre Zunge nicht verlieren würde, aber wer weiß, was sie in Wirklichkeit denkt? Frauenlist!«
»Wie das Herz denkt, so spricht die Zunge — so steht's mit Bärbchen! Übrigens habe ich Euch schon gesagt, daß sie Gottes Willen noch nicht empfindet; eher Christine.«
»Tantchen!« sagte plötzlich Christine.
Das weitere Gespräch verhinderte ein Diener, welcher ankündigte, daß das Abendbrot bereit sei. Sie gingen also alle in das Speisezimmer; nur Bärbchen war nicht da.
»Wo ist Bärbchen?« fragte die Frau Truchseß den Diener.
»Das Fräulein ist im Stall. Ich habe dem Fräulein gesagt, daß das Abendbrot da sei; das Fräulein sagte »Gut!« und ging in den Stall.«
»Sollte ihr etwas Unangenehmes begegnet sein? Sie war so lustig,« sagte Frau Makowiezka zu Sagloba gewendet. Da sagte der kleine Ritter, der ein unruhiges Gewissen hatte:
»Ich will nach ihr sehen.«
Und er ging hinaus; er fand sie wirklich gleich an der Stalltür auf einem Bund Heu sitzend. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie ihn gar nicht bemerkte, als er eintrat.
»Fräulein Barbara!« sagte der kleine Ritter und neigte sich über sie.
Bärbchen fuhr zusammen, als sei sie aus dem Schlafe erwacht, und erhob zu ihm die Augen, in welchen Wolodyjowski zu seinem größten Erstaunen zwei Tränen, groß wie Perlen, bemerkte.
»Ums Himmels willen, was ist Euch, Fräulein, Ihr weint?«
»Ich denke gar nicht daran!« rief Bärbchen aufspringend, »ich denke gar nicht daran, — das kommt von der Kälte.«
Und sie lachte heiter; aber dieses Lachen war ein wenig erzwungen. Dann zeigte sie, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, auf ein Gitter, hinter welchem der Apfelschimmel stand, den Wolodyjowski von dem Hetman zum Geschenk erhalten hatte, und sagte lebhaft:
»Ihr habt gesagt, man könne zu diesem Pferde nicht hineingehen? Wir wollen doch sehen.«
Und ehe Michael sie zurückhalten konnte, sprang sie über das Gitter. Das wilde Tier begann sogleich sich zu bäumen, mit den Füßen auszuschlagen und die Ohren zu senken.
»Um Gottes willen, er kann Euch töten!« schrie Wolodyjowski und sprang ihr nach.
Aber Bärbchen hatte schon begonnen, mit der flachen Hand dem Apfelschimmel auf den Hals zu klopfen und wiederholte: »Mag er mich töten, mag er mich töten!«
Das Pferd aber wendete ihr die dampfenden Nüstern zu und wieherte leise, als freue es sich der Liebkosung.
5. Kapitel.
Nichts waren alle Nächte, die Wolodyjowski durchlebt hatte, im Vergleich zu der, die er nach jenem Ereignis mit Christine verbrachte. Er hatte das Angedenken seiner Verstorbenen verraten, deren Erinnerung er doch liebte; er hatte das Vertrauen dieser Lebenden getäuscht, die Freundschaft mißbraucht; er war Verpflichtungen eingegangen, er hatte gehandelt wie ein gewissenloser Mensch. Mancher andere Soldat hätte sich aus einem solchen Kuß nichts gemacht, er hätte bei der Rückerinnerung an ihn höchstens seinen Bart gedreht; aber Wolodyjowski war, besonders seit Ännchens Tode, sehr peinlich, wie jeder Mensch, dessen Seele von Schmerz erfüllt, dessen Herz zerrissen ist. Was blieb ihm nun zu tun? Wie sollte er handeln?
Es fehlten nur noch wenige Tage zu seiner Abreise, zu der Abreise, die alles zerstören und beendigen konnte. Aber ziemte es sich, davonzugehen und Christine nicht ein Wort zu sagen, sie so zurückzulassen, wie man das erste beste Mädchen zurückläßt, der man einen Kuß gestohlen hat? Gegen diesen Gedanken sträubte sich das tapfere Herz des kleinen Ritters. Selbst in dem Widerstreit, in dem er sich in diesem Augenblick befand, erfüllte ihn der Gedanke an Christine mit Wonne, und die Erinnerung an jenen Kuß durchrieselte ihn mit einem Schauer der Wollust. Es erfaßte ihn eine Wut gegen sich selbst, und doch konnte er sich gegen dies Gefühl der Seligkeit und Wonne nicht wehren. Übrigens nahm er die ganze Schuld auf sich.
»Ich habe Christine dazu verleitet,« wiederholte er mit Bitterkeit und Schmerz, »ich habe sie dazu verleitet, deshalb geziemt es mir auch,