Knigges Empfehlungen zur "Kunst des Umgangs mit Menschen" lassen sich insgesamt beschreiben als eine Synthese aus aristokratisch-höfischen und bürgerlichen Lebensauffassungen und Umgangsformen, die zwar heftige polemisch-antifeudalistische Tendenzen enthält, aber ein modernes bürgerliches Selbstbewusstsein vorstellt. Knigge als eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vertritt als Repräsentant der deutschen Aufklärung dabei auch deren Dialektik: Das Programm der 'relativen Aufklärung' meint bei Knigge weniger Auflehnung im Großen als Resignation im Kleinen: "Die beste Aufklärung des Verstandes ist die, welche uns lehrt, mit unsrer Lage zufrieden und in unsern Verhältnissen brauchbar, nützlich und zweckmäßig tätig zu sein."
Wer so argumentiert, war kein wirklicher Umstürzler der Verhältnisse, vielmehr wird in seiner Argumentation deutlich, dass er ausgleichend und moderierend tätig sein wollte. So argumentierte er in seinem Hauptwerk im Kapitel "Ueber den Umgang mit den Großen der Erde, Fürsten, Vornehmen und Reichen", dass man auf damaliger verfassungsrechtlicher Grundlage bleiben müsse. Er weist seine Leser darauf hin, dass jene, "was sie sind und was sie haben, nur durch Übereinkunft des Volks sind und haben; dass man ihnen diese Vorrechte wieder nehmen kann, wenn sie Missbrauch davon machen; [...] endlich, dass in diesen Zeiten der Aufklärung bald kein Mensch mehr daran glauben wird, dass ein Einziger [...] ein angeerbtes Recht haben könne, hundert tausend weisern und bessern Menschen das Fell über die Ohren zu ziehn".
Knigges „Ueber den Umgang mit Menschen“ ist ein Zeitdokument, das vor allem auch als historische Quelle gelesen werden sollte. Gehen Sie mit Knigge also auf eine Zeit- und Entdeckungsreise ins 18. Jahrhundert, in der die „normalen“ Menschen anfangen, sich selbst als Akteure zu verstehen, die in den vorgefundenen und sich ändernden Verhältnissen sich orientieren, sprich neu „benehmen“ müssen.
Theatervorstellung der Literaturbrauerei: Knigge in einer absurd-komischen Bearbeitung
Literatur plus Theateraufführung bietet diese Sonderedition des „Knigge“. Das in dieser Edition verfügbare Theatererlebnis ist eine Aufzeichnung der Aufführung von „Knigge. Über den Umgang mit Menschen“ mit Reimund Groß (Schauspieler) und Hartwig Nickola (Kontrabass) in der Regie von Annette von Klier. Das Stück adaptiert den klassischen Stoff und nimmt die Rezeptionsgeschichte dieses Klassikers aufs Korn. Jeder kennt heute den „Knigge“. Den Business-Knigge, den Kaffee-Knigge, Chat-Knigge, Sex-Knigge. In dem Theaterstück geht es aber vor allem um eins: Der Knigge ist nicht mehr, was er einmal war. Der verstorbene Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796) ereifert sich, dass Generationen von Herausgebern sein Werk bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben haben. Er wollte einen verantwortungsvollen, von Respekt und Wohlwollen geprägten Umgang der Menschen miteinander. Völlig desinteressiert war er selbst an Ratschlägen, wie man etwa Rot- zu Weißweingläsern auf dem gedeckten Tisch richtig platziert, oder wie man beim One-Night-Stand die Etikette bewahrt. Jetzt kehrt der gepeinigte Geist aus dem Jenseits zurück in die materielle Welt, um festzustellen, dass sich die Menschen seit seiner Zeit um keinen Deut verbessert haben: randalierende Jugendliche in U-Bahnen, hetzende Politiker in Parlamenten, sektenhafte Verfechter selbst auferlegter Benimmregeln. Wenn Knigge nun zurückkehrt, um seine Texte eigenhändig vorzutragen, bekommt er zur sinnlichen Unterstützung seines Vortrages einen Musiker zur Seite gestellt. Knigge selbst war ja zu Lebzeiten ein formidabler Komponist. Jetzt muss er sich auf der Bühne des 21. Jahrhunderts mit einem Kontrabassisten Namens Brenner herumschlagen, der weit weniger am humanistischen Anliegen des Freiherrn interessiert ist, als viel mehr an der in Aussicht gestellten Gage. Und die Musik, die er seinem imposanten Instrumente entlockt, bewirkt mitunter Eigenwilliges bei dem Freiherrn. So dürfen wir denn gespannt sein, wie sich der Umgang dieser beiden Menschen miteinander gestaltet...
Die Literaturbrauerei ist ein mobiles Sprechtheater, das literarische Texte aus vergangenen Zeiten ins Heute überträgt. Annette von Klier (Regie), Reimund Groß (Schauspieler) und Hartwig Nickola (Kontrabass) schicken die Zuschauer mit rezitierten Texten auf eine innere Zeitreise, führen sie in die Welt, die hinter den Worten liegt, und vermitteln ein sinnliches Gefühl für die Schönheit der Sprache. Um diese Texte nicht nur intellektuell sondern auch sinnlich erlebbar zumachen, legt „Die Literaturbrauerei“ ihr Hauptaugenmerk auf die inneren Vorgänge in den Texten und arbeitet gern mit Musikern zusammen. Die literarische Sprache bleibt die des Autors, die auf einem neu gewebten musikalischen Klangteppich serviert wird. So entstehen atmosphärisch sehr dichte und intensive Vorstellungen, die die Zuschauer auf eine innere Zeitreise in die Welt hinter den Worten mitnehmen und ihnen ein Gefühl für die Schönheit der Sprache vermitteln. Im Mittelpunkt der Aufführungen stehen immer die Texte. Deren Auswahl, dramaturgische Bearbeitung und Vortrag übernimmt Reimund Groß, Regie und Produktion liegen in den Händen von Annette von Klier. Entscheiden wir uns für einen Text, so beschäftigen wir uns intensiv mit Autor und Zeitumständen, verzichten aber bewusst auf jedes theoretische Konzept, sondern verlassen uns in der Arbeit auf unser Gefühl. Darsteller, Musiker und Regisseurin finden so in einem gemeinsamen Prozess die jeweilige Form des Abends. So lassen wir uns vom Verlauf der gemeinsamen Arbeit zum Ergebnis führen und können mit Fug und Recht behaupten: Der Abend hat so werden wollen.
Mehr Informationen zur Literaturbrauerei finden Sie hier: www.die-literaturbrauerei.de
Alexander Schug
Theatervorstellung der Literaturbrauerei: Knigge in einer absurd-komischen Bearbeitung (Länge: ca. 10 Minuten)
Vorrede zu dieser dritten Auflage
Die gütige, nachsichtsvolle Aufnahme, deren das Publikum in und außer Deutschland dies Buch würdigt, übertrifft sehr meine Erwartung. Der schnelle Absatz der ersten beiden Auflagen; die vorteilhaften Urteile einsichtsvoller Kunstrichter; die Auszüge, welche der Herr Prediger Fest und andre daraus gemacht haben, und endlich die Übersetzungen desselben – das alles fordert mich auf, keine Mühe zu sparen, nach und nach das Fehlerhafte darin auszumerzen, und durch nötige Zusätze sowie durch Verbesserung der Schreibart meinem Werke mehr Vollkommenheit zu verschaffen.
Aufmerksame Leser werden finden, welche große Veränderungen, sowohl was die Anordnung, als was den Inhalt selbst betrifft, ich bei dieser dritten Auflage, wenn man sie gegen die ersten beiden hält, vorgenommen habe. Ich bin dabei neben meiner eigenen Überzeugung der Zurechtweisung würdiger Männer gefolgt. Unter diese zähle ich, wie billig, mit Dankbarkeit auch den Herrn Rezensenten im siebendundachtzigsten Bande der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, dessen milde, aber verständige und ernsthafte Winke ich größtenteils zu meinem Vorteile genützt habe.
Über unweisen, nicht reiflich durchgedachten Tadel hingegen habe ich mich hinausgesetzt. Ohne der verachtenswerten Beschuldigung des salzburgischen Herrn Kritikers Erwähnung zu tun, will ich nur des Vorwurfs der den deutschen Schriftstellern so eignen, zu großen Vollständigkeit gedenken, womit der undeutsche Herr Rezensent in der Allgemeinen Literatur-Zeitung mich beehrt. Ich werde mich bestreben, dieses Vorwurfs in vollem Maß würdig zu werden. Hat mein Buch einigen Wert, so bestimmt gewiss eben diese möglichste Vollständigkeit einen großen Teil desselben, und jedermann wird zum Wohltäter an mir werden, der mir jetzt anzeigt, über welche Verhältnisse und Lagen im menschlichen Leben ich noch Bemerkungen und Vorschriften zu liefern versäumt habe.
Man hat gegen den Titel dieses Werks die Erinnerung gemacht: dass er nur Regeln des Umgangs ankündigte, da hingegen das Buch selbst fast über alle Teile der Sittenlehre sich ausdehnte. Billige Richter haben indessen eingesehen, wie schwer dies zu vermeiden war. Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die