3.Die Kontaktdaten der Kundschaft zu bekommen und damit einen Lead zu generieren.
Aber was geschieht danach? Ob und wie viel Umsatz das Unternehmen durch die neue Kundschaft erzielt, ob sie ein einmaliger oder Stammkundschaft wird und ob sie ihren Freunden, Kollegen und Familienmitgliedern von dem Produkt erzählt, wird außer Acht gelassen.
Und genau das trägt nicht zum Wachstum des Unternehmens bei. Denn „hinten ist die Ente fett“, sprich am Ende der Customer Journey entscheidet sich, ob das Unternehmen nachhaltig wächst oder nicht. Ein Unternehmen, dessen Produkte nur einmal gekauft werden und deren Qualität nicht ausreicht, damit Kunden sie empfehlen, wird nicht dauerhaft wachsen können. Aus diesem Grund untersuchen Growth-Marketer den kompletten Funnel auf mögliche Wachstumshebel. Sie begnügen sich nicht damit, neue Leads zu gewinnen – sie wollen zufriedene Kunden, die immer wieder kommen und von ihren Produkten schwärmen.
Und genau an dieser Stelle verlassen wir das Hoheitsgebiet der meisten klassischen Marketer und begrüßen die Produktmanager, UX-Designer, Vertriebler und Support Manager in unserem Growth-Team. Denn der zuvor genannte Anspruch kann nur erfüllt werden, wenn Marketing, Produkt und Vertrieb Hand in Hand arbeiten. Deswegen sind Growth-Teams heterogen. Experten aus verschiedenen Fachbereichen arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin und sind deswegen gezwungen, ganzheitlich zu denken. Manchmal geht es darum, die Kampagne zu optimieren. Ein andermal um das Onboarding neuer Kunden. Und ein dritter Wachstumshebel kann die Empfehlungsrate in schwindelerregende Höhen katapultieren.
So ist es bei Dropbox geschehen. Die Lösung war einer der ersten dokumentierten Growth Hacks: Zu Beginn experimentierte man bei Dropbox noch mit bezahlten Ads, fand dann aber relativ schnell heraus, dass die Kosten den anschließenden Nutzen um ein Vielfaches überstiegen. Also suchte man nach alternativen Wachstumsmöglichkeiten.
Mit einer genialen Idee schaffte man es dann, in einem Jahr über vier Millionen neue User zu generieren: Die Gründer bemerkten, dass der Speicherplatz für die Nutzer schnell zu einem limitierenden Faktor wurde, und sie entschlossen sich, daraus ein Angebot zu bauen, das sowohl den Nutzern wie auch dem Unternehmen helfen würde. Jeder Nutzer hatte die Möglichkeit, durch E-Mail-Empfehlungen an Freunde mehr Speicherplatz zu erhalten. Meldeten sich die Freunde anschließend bei Dropbox an, profitierten sowohl der Einladende als auch der Eingeladene (Abbildung 2).
Doch die Gründer beließen es nicht bei diesem einen Growth Hack. So konnte man seinen Speicherplatz weiter erhöhen, indem man zum Beispiel den Dropbox-Account mit seinem Twitter-Account verknüpfte oder dem offiziellen Dropbox-Account auf Twitter folgte. Wie bei vielen anderen Erfolgsgeschichten waren es aber nicht allein die einzelnen Hacks, die das enorme Wachstum für Dropbox ermöglichten. Es war vielmehr eine Kombination aus uneingeschränkter Verfügbarkeit und einer sehr ansprechenden User Experience.
Abb. 2: Beispiel des erfolgreichen Growth Hack von Dropbox.
Growth Marketing ist ein (Lern)Prozess
„If you double the number of experiments you do per year, you’re going to double your inventiveness.“ (Jeff Bezos [1]) Dem Growth Marketing liegt eine entscheidende und uralte These zugrunde: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ [2]. Was Sokrates vor 2000 Jahren formuliert hat, hat auch heute noch Bedeutung. Denn wenn ich weiß, dass ich nichts weiß, hilft nur eines: testen und messen! – Was bedeutet das im Growth Marketing?
Im klassischen Marketing ist häufig die „Hippo“ (Highest Paid Person's Opinion) ausschlaggebend: Die Meinung des Ranghöchsten, also beispielsweise des Geschäftsführers. Seine Entscheidungen basieren auf jahrelangen Erfahrungen mit der Zielgruppe. Das Problem ist nur: Der Meteorit ist eingeschlagen, die Erfahrungen können mitunter wertlos sein. Betonung liegt auf können.
Denn im Growth Marketing denkt man nutzerorientiert. Wir suchen die Kanäle, Werbeformate, Ansprachen, Inhalte und Produktfeatures, die der Kunde präferiert. Und weil wir diese Vorlieben nicht kennen, werden wir Tests (oder wie die ganz Mutigen sagen „Experimente“) durchführen, um herauszufinden, was der Kunde will. Dabei ist die Meinung des Kunden zwar wichtig, aber nicht ausschlaggebend. Denn seine Taten sind aussagekräftiger als seine Worte. – Was bedeutet das für uns? – Wir folgen dem Growth-Marketing-Prozess (Abbildung 3).
Abb. 3: Growth-Marketing-Prozess.
1.Zunächst wird ein Ziel definiert, das man erreichen möchte. Wie jedes gute Ziel sollte es SMART sein: Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Relevant und Termin-basiert.
2.Die Mitglieder des Growth-Teams generieren Ideen, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
3.Die entstandenen Ideen werden priorisiert. Denn Quantität und Geschwindigkeit der Tests sind wichtig, aber Aktionismus soll trotzdem vermieden werden. Deswegen muss gut überlegt werden, mit welcher Idee man startet. Für die Priorisierung stehen mehrere Scoring-Modelle zur Verfügung, wie beispielsweise ICE, BRASS oder PIE.
4.Die Ideen mit der höchsten Bewertung werden innerhalb von zwei bis vier Wochen umgesetzt. Und zwar mit einem sogenannten „Minimum Viable Test“. Ziel dieses Tests ist es, mit möglichst geringem Ressourcen-Einsatz (Media-Budget, Zeit, interner Aufwand) zu testen, ob die Maßnahme greifen kann oder nicht. Das bedeutet, es sollte ein aussagekräftiger Test sein, von dem man ableiten kann, ob die Maßnahme greift oder nicht.
5.Der Test wird gemessen und analysiert. Wurde das Ziel erreicht? Dann sollte die Maßnahme wiederholt und skaliert werden. Wenn das Ziel nicht erreicht worden ist und auch eine Optimierung der Maßnahme vermutlich nicht den nötigen Erfolg bringt, wird der Test dokumentiert. So stellt man sicher, dass man nicht zweimal den gleichen Fehler macht und baut Schritt für Schritt eine Wissensdatenbank auf.
Growth Marketing ist ein Mindset
„I have not failed. I have just found 10.000 ways that don’t work.“ (Thomas A. Edison [3])
Zwei wichtige Fähigkeiten eines erfolgreichen Growth-Marketers wurden bereits genannt:
1.Die Fähigkeit, mit Experten aus anderen Fachgebieten zusammenzuarbeiten,
2.die Fähigkeit, Erfahrungswerte über Bord zu werfen und möglichst „akademisch“ zu denken und zu testen. Dazu gehört es auch, Fehler als notwendigen Bestandteil des Lernprozesses zu akzeptieren
Die dritte Fähigkeit bezeichnen wir als das Growth Mindset – die Lust auf Veränderung.
Carol S. Dweck ist Professor für Psychologie an der Stanford University. In ihrem Bestseller „The Growth Mindset“ beschreibt sie zwei unterschiedliche Mentalitäten: das „Fixed Mindset“ sowie (wer hätte es erraten) das „Growth Mindset“ [4].
Im Kern geht es darum, dass Menschen mit dem Fixed Mindset glauben, dass Dinge „in Stein gemeißelt“ wären. Entweder ist man gut im Sport oder nicht. Entweder ist man schlau oder nicht. Entweder ist man eine gute Führungspersönlichkeit oder nicht. Alles Begabung, Talent und Veranlagung. Problematisch wird es dann, wenn Menschen mit diesem Mindset den Erwartungen nicht mehr entsprechen können – seien es die Erwartungen anderer oder der eigenen. Denn wenn man trotz hoher Begabung scheitert, ist man in einer Sackgasse (