»Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben«8, machte angeblich Walter Ulbricht seiner nach ihm benannten Gruppe von kommunistischen Kadern klar, die 1945 aus dem Moskauer Exil zurückkam, um in der sowjetisch besetzten Zone neue politische Strukturen aufzubauen. Sie hatten vor allem dafür zu sorgen, dass das deutsche Volk die Anweisungen der sowjetischen Militärverwaltung befolgt. Jenseits aller theoretischen Überlegungen, was »demokratisch« sein oder bedeuten kann, ist eines klar: Ulbricht wollte etwas vorspiegeln, das nicht war, was es ist. Er wollte vom positiven Glaubwürdigkeitskapital, das der Begriff Demokratie bei Menschen genießt, erst recht bei demokratisch ausgehungerten Menschen, profitieren. Das demokratische Aussehen durfte auf keinen Fall demokratisch sein. Wir – nicht das Volk – müssen die Macht in der Hand halten. 1949 wurde dann die DDR gegründet, die nicht als einziger nicht demokratischer Staat das Wort »demokratisch« im Namen führte. Man denke an Nord-Korea, das sich noch heute »Demokratische Volksrepublik Korea« nennt. Mit dieser verbalen Fassade meint das Kim-Regime, nach innen wie außen als etwas Besseres zu erscheinen, als es ist, jedenfalls nicht als Diktatur. Diktaturen haben es da in gewisser Hinsicht leichter als liberale Demokratien, sie handeln per Dekret und zwingen die Menschen ihres Machtbereichs, das Wort in der verdrehten Bedeutung zu akzeptieren. Aber warum legen sie so großen Wert darauf? Welchen Vorteil bringt es ihnen, so zu tun, als seien sie nicht das, was sie sind?
Auch die Nationalsozialisten taten dies. Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels vertraute seinem Tagebuch im Februar 1942 an, »ich veranlasse, dass von unserem Ministerium Wörterbücher für die besetzten Gebiete vorbereitet werden, in denen die deutsche Sprache gelehrt werden soll, die aber vor allem eine Terminologie pflegen sollen, die unserem modernen Staatsdenken entspricht. Es werden dort vor allem Ausdrücke übersetzt, die aus unserer politischen Dogmatik stammen. Das ist eine indirekte Propaganda, von der ich mir auf die Dauer einiges verspreche.«9
Unpräziser oder falscher Sprachgebrauch kann das Ergebnis von Unwissenheit sein, aber auch von wissentlichem Missbrauch der Terminologie. Die vorliegenden Essays beschreiben und analysieren die Wahl und Verwendung von Begriffen, die mit einer bestimmten Bedeutung beladen sind, und das Ausmaß, in dem sie als Machtinstrumente der Förderung bestimmter politischer Ziele dienen.
Als Student in Jerusalem in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren gehörten auch bei mir politische Diskussionen in den Cafeterien an der Universität zur täglichen Übung des Campuslebens. In diesen Diskussionen wurde mit dem Begriff »Faschisten« oft sehr frei herumgeworfen. Faschismus war die Hauptgefahr, Faschisten sollten ausgeschlossen und, noch besser, bekämpft werden. Die Argumentation klang oft ziemlich schwammig, und ich wollte besser verstehen, was das Ganze genau bedeutete. Ein damaliger Mitbewohner im Studentenheim, der Politikwissenschaft studierte, riet mir, die Vorlesungen eines jungen und vielversprechenden Dozenten namens Ze’ev Sternhell zu besuchen.10 Der junge Sternhell, der damals zwar noch keinen Weltruhm auf dem Feld der Faschismusforschung erlangt hatte, schuf dank seiner instruktiven Vorträge ein Bewusstsein dafür, wachsam sein zu müssen. Den sorglosen Umgang mit politischer Sprache beendeten diese natürlich nicht. In den 1980er-Jahren sprachen US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher gern davon, dass der Kommunismus bekämpft werden müsse. Als die Sowjetunion 1989 implodierte, sahen die beiden begeisterten Antikommunisten darin einen Sieg über den Kommunismus. Nach Reagans Tod titelte The Economist sogar: »Der Mann, der den Kommunismus besiegte.« Es stellt sich die Frage: Tat er das? Hat Reagan tatsächlich einen Krieg gegen den Kommunismus als Idee oder Ideologie gewonnen oder den Wettbewerb zwischen den beiden Supermächten?
Der sorglose Umgang mit politischer Sprache nimmt zurzeit stark zu, und oft dient diese Sorglosigkeit politischen Zwecken. Sprache ist natürlich nicht statisch, und man darf zurecht fragen, ob sich die Bedeutung eines Begriffs nicht ständig verändert. Gleichwohl trägt jeder der hier ausgewählten Begriffe immer eine spezifische Bedeutung mit sich, die der Grund dafür ist, dass er im politischen Diskurs verwendet wird. Ich habe 27 einschlägige Experten, Politologen, Historiker, Philosophen und Soziologen, gebeten, sich jeweils einem besonderen Begriff zu widmen, um die Frage seines möglichen Missbrauchs zu beleuchten.
Leserinnen und Leser folgen bei Beiträgen wie diese meist ihrer Neugier, und daher ist es unwahrscheinlich, dass dieses Buch streng von vorne nach hinten gelesen wird. Dennoch habe ich die Begriffe nicht einfach alphabetisch geordnet, sondern mich entschieden, das Buch mit dem Text über Fake News zu beginnen und mit dem über Wahrheit zu beenden.
Schlagworte können wie Leitsterne, Hymnen oder Feldstandarten eine Richtung vorgeben. Sie sind einprägsam und bequem, indem sie uns jedes vertiefende Nachdenken ersparen. Aber wir verlieren, ohne es zu merken, darüber unsere Freiheit. Denn wenn wir andere für uns denken lassen, werden wir zu ihren Marionetten. Amartya Sen schließt sein Buch Identität und Gewalt mit einem Plädoyer, dem ich mich anschließe: »Wir müssen vor allem darauf achten, dass unser Geist nicht durch einen Horizont halbiert wird.«11
David Ranan
1George Orwell: Politics and the English Language, in: Essays, London 2002, S. 967.
2Victor Klemperer: LTI, Notizbuch eines Philologen, Ditzingen 2018, S. 26.
3Charles S. Peirce: The Fixation of Belief, in: Popular Science Monthly (12), November 1877 ‹http://www.bocc.ubi.pt/pag/peirce-charles-fixation-belief.html› (7.11.2020).
4‹https://de.wiktionary.org/wiki/Kampfbegriff› (8.11.2020).
5Brecht Bertolt: Flüchtlingsgespräche, GW Bd. 14, Frankfurt a. M. 1967, S. 1461.
6Elisabeth Wehling: Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2017, S. 27 f.
7Ebd., S. 191.
8Wolfgang Leonhard: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln 1955, S. 440.
9Elke Fröhlich (Hg.): Die Tagebücher v. Joseph Goebbels. Teil II, Bd. 3, München 1994.
10Professor em. Ze’ev Sternhell starb in Jerusalem im Jahr 2020.
11Amartya Sen: Identity And Violence: The Illusion of Destiny, London 2007, S. 186.
Fake News
Jana Laura Egelhofer
Einleitung
Der Begriff Fake News ist spätestens seit dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 nicht mehr aus dem öffentlichen Diskurs wegzudenken. Der Einsatz von Desinformationen in der politischen Kommunikation stellt gewiss kein Novum dar.1 Das Aufkommen von Internet und sozialen Medien hat die Erstellung und Verbreitung jedoch derart vereinfacht, dass das heutige Ausmaß beispiellos ist. Dementsprechend ist eine Debatte über die möglicherweise demokratiegefährdenden Konsequenzen von politischer Desinformation entfacht – subsumiert unter dem Begriff Fake News.
Bis vor Kurzem verwendeten KommunikationswissenschaftlerInnen »Fake News« noch, um politische Satire-Formate zu bezeichnen, wie beispielsweise die »The Daily Show« in den USA. Satiriker wie Jon Stewart haben den Begriff Fake News selbst als Bezeichnung für ihre Arbeit etabliert, um zum Ausdruck zu bringen, dass – obwohl sie das Format von seriösen Nachrichtensendungen imitieren – ihr Hauptmotiv