"Ich verstehe. Dann ist es im Moment also nicht belegt..."
"Das mag sein."
"Könnten Sie feststellen, wer am 3. dieses Zimmer bewohnte?"
"Hören Sie..."
Ich schnitt ihm das Wort ab. "Ja oder nein?"
Borovsky überlegte einen Moment. "Unser Haus ist für seine Diskretion bekannt und..."
Ich beugte mich etwas vor. "Vielleicht ist es Ihnen lieber, wenn wir mit einem Durchsuchungsbefehl wiederkommen und hier alles auf den Kopf stellen."
Borovskys Stirn legte sich in Falten. Er betätigte seine Gegensprechanlage und wies seine Sekretärin an, die entsprechenden Unterlagen herbeizubringen.
Fünf Minuten später hatten wir es dann schwarz auf weiß.
Das Zimmer war von einem Mann namens William Hamid bewohnt gewesen. Eine Personenbeschreibung bekamen wir wenig später von einem der Zimmermädchen. William Hamid war dunkelhaarig, hatte einen gepflegten Knebelbart und hohe Wangenknochen. Als Adresse hatte er eine Straße in Washington, DC angegeben. Wir gaben diese Daten an die Zentrale weiter. Sollten unsere Kollegen in Washington überprüfen, wer William Hamid war.
Milo und ich machten uns indessen auf den Weg nach Little Italy. Genauer gesagt zu CARLO'S EXPRESS in der Mott Street.
Manchmal sind es Kleinigkeiten, die uns G-men bei unseren Ermittlungen weiterbringen. Gewohnheiten, Vorlieben und so weiter. Und da wir im Moment keine wirklich heiße Spur von Leila hatten, mussten wir nach jedem Strohhalm greifen.
Wir fuhren über die Brooklyn Bridge, als aus der Zentrale eine Rückmeldung wegen William Hamid kam.
Es existierte in unseren Datenarchiven ein Mann dieses Namens auf den auch die Beschreibung passte. Hamid war Geschäftsmann, vor einigen Jahren mal in Verfahren verwickelt gewesen, bei dem es um illegalen Technologie-Transfer gegangen war.
Außerdem besaß Hamid eine Reederei, deren Sitz New York City war und von einem Verwandten geleitet wurde. Wiederholt wurde HAMID GLOBAL TRANSPORTS verdächtigt, in illegale Geschäfte verwickelt zu sein.
"Eine Reederei, das passt doch wie die Faust aufs Auge", meinte Milo. "Wenn man zwei und zwei zusammenzählt, bedeutet das doch, dass jetzt irgendwo, in einem beliebigen Hafen, ein Schiff liegen könnte, das die Druckplatten an Bord nimmt, um sie dann über dunkle Kanäle bis nach Bagdad zu bringen."
"Ich hoffe nur, dass das nicht schon längst passiert ist", meinte ich.
"Kaum zu glauben, aber wir kümmern uns um einen Pizzaladen", schüttelte Milo den Kopf.
"Weil wir jeder Spur folgen müssen, bei der auch nur der Hauch einer Chance besteht, dass sie zu Leila führt."
"Wie auch immer. CARLO'S EXPRESS habe ich auch schon in Anspruch genommen, wenn ich abends noch Hunger hatte", meinte Milo. "Und ich sag dir eins: Deren Pizzen sind wirklich das beste, was ich in dieser Hinsicht seit langem zwischen den Zähnen hatte."
Als wir die Mott Street erreichten, brauchten wir eine Weile, bis wir CARLO'S endlich gefunden hatten. Der Laden war ziemlich klein und unscheinbar. Vor allem verzichtete er völlig auf Leuchtreklame oder irgendwelche anderen optischen Reize, um auf sich aufmerksam zu machen. Das Hauptgeschäft für CARLO'S EXPRESS war offensichtlich der Service, einem jede gewünschte Pizza bis an die Haustür zu bringen.
Ein kleines Lokal mit ein paar Tischen, an denen man sich niedersetzen konnte, gab es allerdings auch.
Wir zeigten unsere Ausweise herum und fragten nach dem Chef. Carlo DiLivio war ein breitschultriger Mann mit Halbglatze. Zu unserer Überraschung war er der einzige Italo-Amerikaner bei CARLO'S. Alle anderen Angestellten waren Einwanderer aus der Ukraine und Weißrussland. "Alles kann man lernen", sagte DiLivio. "Die machen genauso gute Pizzen, als wären Sie in Italien geboren - arbeiten aber für den halben Lohn."
"Wir suchen eine Frau, die unter verschiedenen Namen hier etwas bestellt hat", sagte ich.
"Kein Problem", sagte DiLivio. "Jede Bestellung wird bei uns elektronisch erfasst. Die Fahrer bekommen einen Ausdruck, auf dem die Bestellung samt der Adresse festgehalten ist..."
Carlo DiLivio ging mit uns zu einem der Computer-Terminals, an dem die Bestellungen aufgenommen wurden. Es dauerte nur wenige Augenblicke und wir hatten eine Art Verzehrliste vor uns.
In Leilas Fall war die allerdings recht eintönig.
"Sie scheint eine Vorliebe für vegetarische Kost zu haben", stellte Milo fest.
"Ich erinnere mich an die Lady", sagte einer der Angestellten, ein hochgewachsener, etwas schlaksiger Mann mit blassblauen Augen und einem unüberhörbaren Akzent. "Sie wollte, dass ich ihr alles aufliste, was kein Schweinefleisch enthält."
Wir zeigte Bilder von Leila herum. Einer der Angestellten erinnerte sich daran, ihr eine Lieferung ins Plaza Athenee gebracht zu haben. "Ich habe mich über das hohe Trinkgeld gewundert", fügte er hinzu.
Ich wandte mich an Carlo DiLivio.
"Hätten Sie etwas dagegen, wen wir Ihre Telefone abhören würden? Es könnte schließlich sein, dass diese Frau noch einmal anruft."
"Mama mia, wenn Sie jeden verhaften wollen, der hier eine vegetarische Pizza bestellt, dann ist das schlecht für's Image, Mister."
Ich schüttelte den Kopf.
"Nein, nein, so geht das natürlich nicht. Milo und ich kennen die Stimme diese Frau und könnten sie vermutlich auch identifizieren... Und Ihre Leute haben jetzt ein Bild der Gesuchten gesehen. Wenn Sie die Pizza an Ort und Stelle abliefern, werden sie Leila mit hoher Wahrscheinlichkeit begegnen."
"Besteht irgendein Risiko für meine Leute?", fragte DiLivio.
"Es ist nicht höher, als bei jedem Ihrer Pizza-Jobs."
Schließlich nickte er.
"Meinetwegen", sagte DiLivio schließlich. "Man sagt immer, dass alle Italiener mit der Mafia zu tun haben. Und heute beweise ich Ihnen das Gegenteil."
Wir sagten ihm nicht, dass dieser Fall herzlich wenig mit der Mafia zu tun hatte.
"Okay", sagte ich. "Dann werde ich jetzt in unserer Zentrale anrufen."
*
Obwohl die Sonne bereits milchig geworden war und sich anschickte, bald unterzugehen, trug die junge Frau eine tiefschwarze Sonnenbrille - genauso wie die beiden dunkel gekleideten Männer in ihrer Begleitung.
Sie schlenderten eine der Ufer-Promenaden im Battery Park entlang.
Um diese Zeit waren kaum noch Touristen hier, die den Ausblick auf die Freiheitsstatue genossen.
Auf einer Bank saß ein Mann und las eine Ausgabe von USA TODAY. Die Zeitung war so gefaltet, dass der Sportteil außen zu sehen war. Das war das Erkennungszeichen.
Die beiden Männer postierten sich in der Umgebung. Einer von ihnen langte kurz unter sein Jackett und überprüfte den Sitz der Waffe, die seine Kleidung unterhalb der Schulter etwas ausbeulte.
Die beiden ließen wachsam den Blick schweifen.
Die junge Frau mit der dunklen Brille setzte sich neben den Zeitungsleser, einen rotgesichtigen Mitvierziger.
Er legte die Ausgabe von USA TODAY auf die Knie und bedachte sie mit einem kurzen, prüfenden Blick.
"Sie sind Leila", stellte er dann fest. "Mr. Hamid hat Sie mir beschrieben..."
"Mr. Hamid ist ein Narr", sagte Leila kalt.
Der Rotgesichtige lachte heiser.
"Wie auch immer. ER bietet mir die Chance, das Geschäft meines Lebens zu machen."