Seewölfe - Piraten der Weltmeere 95. John Curtis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: John Curtis
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954394197
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ab, marsch mit dir in die Kammer des Seewolfs. Dort unterhalten wir beide uns weiter“, sagte sie streng. „Und rühr dich ja nicht vom Fleck, bis ich da bin, ich kriege dich, so oder so!“

      Bill wurde blaß um die Nase. Er warf dem Profos, der eben ein paar Männer durch die Wanten jagte, einen ängstlichen Blick zu. Wenn bloß Carberry von dieser Sache nichts erfährt! dachte er voller Angst. Er hing sehr an dem Profos, Carberry war wie ein Vater zu ihm, er kümmerte sich rührend auf seine rauhe Weise um Bill, der Junge konnte mit jeder Frage zu ihm kommen. Aber es gab Dinge, da verstand der riesige Profos keinen Spaß. Bill ahnte, daß dies wohl dazu gehören würde.

      Er wartete eine zweite Ermahnung gar nicht erst ab, sondern flitzte los, verfolgt von den Blicken Siri-Tongs und Will Thornes.

      Siri-Tong stand auf, aber der Segelmacher hielt sie zurück.

      „Seien Sie nicht zu streng mit dem Bengel, Siri-Tong“, bat er. „Er hat ganz gewiß nichts Böses dabei gedacht, bestimmt nicht!“

      Die Rote Korsarin sah den Segelmacher nachdenklich an. Wenn sie daran dachte, daß der Bengel sie und den Seewolf in der Kammer belauscht hatte, dann schoß ihr noch nachträglich die Schamröte ins Gesicht. Es war zwar ein offenes Geheimnis, daß der Seewolf und sie sich liebten, aber die Männer redeten nicht darüber, nie hatte irgend jemand aus der Crew auch nur einen zweideutigen Witz darüber gerissen. Die Männer respektierten sie und den Seewolf. Vielleicht spürten sie sogar, wie sehr der Seewolf sie brauchte, nachdem er auf so schreckliche Weise seine Frau und seine beiden Söhne verloren hatte. Nur zu oft hatte Siri-Tong bemerkt, wie stark ihm das alles auch heute noch zusetzte, auch wenn er sich nichts anmerken ließ.

      Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht der Roten Korsarin.

      „Das Bürschchen hat sich den besten Fürsprecher ausgesucht, den ich mir denken kann“, sagte sie. „Gut, ich will sehen, was ich mit ihm anstelle. Aber er wird heute lernen, daß er so etwas nie wieder tun darf. Herr des Himmels, Thorne, stellen Sie sich doch bloß mal vor, er hätte Hasard und mich …“. Flammende Röte schoß ihr ins Gesicht. Ohne ein weiteres Wort lief sie weg.

      Will Thorne blickte hinter ihr her.

      „Na, Freundchen, in deiner Haut möchte ich jetzt auch nicht stecken“, murmelte er und griff wieder zur Segelnadel.

      Bill hörte die Rote Korsarin bereits auf dem Gang, der durchs Achterkastell der „Isabella“ zur Kammer des Seewolfs führte.

      Himmel, dachte er voller Angst, wie soll ich ihr denn bloß erklären, daß ich wirklich nur einen kurzen Blick durch das geöffnete Fenster geworfen habe! Sein Magen krampfte sich zusammen. Weniger aus Furcht vor den Prügeln, mit denen er rechnete, die waren schon ganz in Ordnung. Aber aus Scham, und weil er sich wie ein Schuft fühlte. Dabei hatte er gar nicht lauschen wollen. Als er auf dem Achterdeck ein Tau klarierte, war es ihm aus der Hand gerutscht und auf die Heckgalerie gefallen, und er hatte es nur wieder heraufholen wollen.

      An diesem Punkt seiner Überlegungen betrat die Rote Korsarin die Kammer. Sie schloß die Tür hinter sich und blieb dann vor ihr stehen. In der Rechten hielt sie ihren breiten Ledergürtel, den sie bereits abgeschnallt hatte. Dann sah sie Bill schweigend an, und der Junge kroch unter ihrem Blick immer mehr in sich zusammen.

      „Her mit dir, Bill, oder muß ich dich erst holen?“ sagte sie schließlich.

      Bill ging mit weichen Knien zu Siri-Tong hinüber.

      Die Rote Korsarin packte Bill mit der freien Hand am Oberarm und zog ihn zu sich heran. Nie hätte der Junge vermutet, daß die Rote Korsarin über soviel Kraft verfügte.

      Bill duckte sich unwillkürlich, und ein Schluchzen drang aus seiner Kehle. Der Bengel tat Siri-Tong schon wieder leid, aber sie riß sich zusammen. Mit einem schnellen Griff hob sie sein Kinn an, so daß Bill ihr in die Augen sehen mußte.

      „Sieh mich an, Bill. Und sag mir die Wahrheit. Erwische ich dich bei einer einzigen Lüge, dann ergeht es dir schlecht. Hast du verstanden?“

      Bill nickte.

      „Also, warum hast du den Seewolf und mich belauscht?“

      Bill erzählte. Erst stockend, dann immer schneller. Wie er auf die Heckgalerie geklettert war, um das Tau zu holen, wie er einen Blick durch das Fenster geworfen und was er gesehen hatte.

      Siri-Tong spürte die Blutwelle, die in ihr hochschoß, aber sie rührte sich nicht.

      „Weiter, Bill!“ forderte sie. „Und was dann?“

      „Ich bin abgehauen, Madame, so schnell ich konnte. Ich wußte genau, daß ich etwas Unrechtes getan hatte …“

      Schließlich schwieg er, und auch Siri-Tong verhielt sich still. Sie spürte das glatte Leder ihres Riemens in der Hand, und ein paarmal stieg die Versuchung in ihr hoch, den Jungen übers Knie zu legen und durchzubleuen. Aber dann schüttelte sie den Kopf.

      Sie ließ den Jungen los.

      „Ich glaube dir, Bill“, sagte sie. „Dein Glück, daß Will Thorne für dich gebeten hat, daß du mich nicht angelogen und nicht versucht hast, dein lausiges Fell zu retten. Weißt du jetzt, wie schändlich es ist, einen Mann und eine Frau in einer solchen Situation zu belauschen, du verflixter Lausebengel?“

      Bill nickte und schluckte.

      Wieder sah die Rote Korsarin ihn eine Weile an, dann zog sie ihn mit sich fort.

      „Setz dich Bill, ja, her zu mir. Hör mir jetzt gut zu, Junge. Du bist erwachsen genug, um zu erfahren, wie das zwischen einer Frau und einem Mann ist, wenn sie sich lieben. Und ich habe den Seewolf sehr lieb, verstehst du? Er hat seine Frau und seine beiden Söhne verloren, ich will ihm helfen, darüber hinwegzukommen. Er ist ein prächtiger Mann, und es ist nicht deine Schuld, daß du unter Männern aufwachsen mußt.“

      In Siri-Tongs Gesicht trat ein weicher Zug.

      Sie zog Bill an sich und strich ihm übers Haar. Dann erklärte sie ihm alles, was sie für richtig hielt. Anschließend langte sie nach der Flasche Rum, die vor ihr auf dem Bohlentisch stand. Sie goß zwei Gläser ein und reichte eins davon Bill.

      „So Bill, du weißt jetzt Bescheid. Sei froh, daß ich es war, die dein Gespräch mit Will Thorne rein zufällig mithörte. Was glaubst du, hätte Carberry mit dir angestellt?“

      Erschrocken fuhr sich Bill mit der freien Hand ans Hinterteil, und Siri-Tong fand diese entsetzte Gebärde so komisch, daß sie fast Tränen lachte. In diesem Moment betrat der Seewolf die Kammer.

      Er schloß die Tür hinter sich und blieb dann stehen.

      „Nanu, was sind denn das für neue Moden? Was ist denn so lustig, daß ihr beide vor Vergnügen am hellichten Tage auch gleich noch einen heben müßt?“

      Bill warf Siri-Tong einen bittenden Blick zu, und die Rote Korsarin legte dem Jungen den Arm schützend und beruhigend um die Schulter.

      „Wir beide hatten ein kleines Problem miteinander, Hasard“, sagte sie dann. „Und es war nicht ganz klar, wie wir es aus der Welt schaffen sollten. Aber inzwischen ist wieder alles in Ordnung. So, und du, Bill, hilfst jetzt dem alten Thorne wieder, klar?“

      Bill stand auf. Er sah den Seewolf an und kriegte abermals einen hochroten Kopf. Dann stürmte er aus der Kammer, froh, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Aber für die Rote Korsarin würde er durchs Feuer gehen, und jeder, der sie auch nur schief ansah, würde sein persönlicher Feind sein, das war klar!

      Hasard sah Bill kopfschüttelnd nach.

      „Sag mal, Siri-Tong, da war doch was los mit euch? Was hat der Bengel angestellt? Warum wolltest du ihn durchhauen?“

      Siri-Tong bemerkte plötzlich den schweren Ledergürtel, den sie noch immer in der Hand hielt und den sie abgeschnallt hatte, bevor sie die Kammer des Seewolfs betrat.

      Sie stand auf und legte ihn wieder um. Als sie die Schnalle schloß, sagte sie nur: „Es hat sich erledigt. Der Bengel hat Glück gehabt. Die erste Lüge, bei der ich ihn erwischt hätte,