Robert Sterner (*1958),
James Elser (*1959)
FRÜHER
1840 Der deutsche Biologe und Chemiker Justus von Liebig meint, dass die Produktivität der Landwirtschaft vor allem chemisch begrenzt ist.
1934 Der US-Ozeanograf Alfred Redfield misst das Atomverhältnis von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor (C : N : P) in Plankton und Meerwasser; es ist in allen Weltmeeren recht gleich. Das Redfield-Verhältnis wird zur Basis solcher Forschung.
SPÄTER
2015 In Ocean Stoichiometry, Global Carbon, and climate betont Robert Sterner veränderte Verhältnisse von C : N : P bei Phytoplankton, das in nährstoffarmem Oberflächenwasser niedriger Breiten mehr Kohlenstoff aus der Luft aufnimmt.
Jedes Lebewesen, von der winzigen Meeresalge bis zum Mammutbaum, besteht aus chemischen Elementen in verschiedenen Mengenverhältnissen. Die ökologische Stöchiometrie untersucht das Gleichgewicht dieser Elemente und wie sich die Verhältnisse bei chemischen Reaktionen verändern. Solche Studien beleuchten, wie die Welt der Lebewesen funktioniert und wie Organismen Nährstoffe und andere lebenswichtige Substanzen aus den Ressourcen ihrer Umwelt entnehmen. Die Disziplin der ökologischen Stöchiometrie wurde erstmals umfassend von den US-amerikanischen Biologen Robert Sterner und James Elser beschrieben. In Ecological Stoichiometry (2002) wendeten sie mathematische Modelle auf jeder Stufe an: von Molekülen und Zellen über individuelle Pflanzen und Tiere bis zu Gemeinschaften, Populationen und Ökosystemen.
»Individuelle Organismen zeigen auch im Lauf ihres Lebenszyklus Unterschiede in der Stöchiometrie. Junge Organismen haben eine andere Zusammensetzung als ältere …«
Robert Sterner und James J. Elser Ecological Stoichiometry, 2002
Schlüsselsubstanzen
In der Ökologie sind die drei wichtigsten Elemente Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Phosphor (P), da sie jeweils eine eigene essenzielle Rolle spielen. Kohlenstoff ist der fundamentale Baustein allen Lebens und wichtige Komponente bei vielen chemischen Reaktionen. Stickstoff ist ein Hauptbestandteil aller Proteine, während Phosphor für das Zellwachstum und die Energiespeicherung entscheidend ist.
Das Elementverhältnis C : N : P eines Lebewesens ist nicht konstant. Bei Pflanzen variiert es, sie passen dieses Verhältnis je nach Umweltbedingungen an. So kann der Anteil von Kohlenstoff in ihrer chemischen Zusammensetzung an einem sonnigen Tag ansteigen, weil sie mehr Fotosynthese betreiben, das ist der Prozess, durch den sie Kohlendioxid (CO2) aus der Luft aufnehmen und in Nährstoffe umwandeln.
Ökologische stöchiometrische Verhältnisse
Eine Heuschrecke frisst Gras, das bis zu sechsmal so viel Kohlenstoff enthält, wie sie selbst braucht. Daher muss sie Kohlenstoff ausscheiden oder als CO2 ausatmen. Heuschrecken sind bei Forschern beliebt, da sie leicht zu halten sind.
Tiere, die sich höher in der Nahrungskette befinden, haben eher ein festes Verhältnis von C : N : P. Sie brauchen also Mechanismen, um Ungleichgewichte auszugleichen. Erhält etwa ein Pflanzenfresser zu viel Kohlenstoff mit der Nahrung, kann er die Verdauungsenzyme anpassen und den Überschuss ausscheiden oder als Fett speichern. Oder er erhöht die Stoffwechselrate, um das Zuviel zu verbrennen und als CO2 auszuatmen. Werden diese Mechanismen durch ein starkes Ungleichgewicht überstrapaziert, beeinträchtigt das die Fitness, das Wachstum und die Fortpflanzung. Fleischfresser haben es leichter, weil das Verhältnis von C : N : P der Beutetiere ihrem ähnelt. Die Größe der Beutepopulation wird allerdings von den Pflanzen bestimmt, weil kohlenstoffreiche Pflanzen weniger Konsumenten ernähren können.
Die Welt verstehen
Nahrungsketten sind ein Forschungsbereich; die ökologische Stöchiometrie umfasst praktisch alles. Mit dem Wissen, wie die chemische Zusammensetzung von Organismen ihre Ökologie formt, lernen wir auch, die Umwelt besser zu managen. Diese Forschungen werden das zukünftige Leben auf der Erde erheblich mitbestimmen.
Wüstenheuschrecken (Schistocerca gregaria) brauchen enorme Mengen kohlenstoffreicher Pflanzen, um genug Stickstoff und Phosphor für das richtige Verhältnis von C : N : P zu erhalten.
Die Wachstumsratenhypothese
Die Krebsforschung ist einer der Bereiche, in denen stöchiometrische Methoden genutzt werden. Es gibt Belege für die Wachstumsratenhypothese, die erklären könnte, warum manche Tumoren schneller als andere Gewebe wachsen.
Demnach haben Lebewesen mit einem hohen Verhältnis von C : P wie Fruchtfliegen mehr Ribosomen in den Zellen, sodass sie schneller wachsen und sich fortpflanzen können. Im Organismus liegt etwa die Hälfte des Phosphors als ribosomale RNA (rRNA) vor; sie kommt in allen Zellen vor und ist für die Herstellung von Proteinen und damit das Wachstum und die Zellvermehrung essenziell. Durch biologische Stöchiometrie haben James Elser und sein Team gezeigt, dass schnell wachsende Tumoren einen viel höheren Phosphorgehalt als normales Körpergewebe haben. Dies kann in Zukunft helfen, Krebszellen zu kontrollieren.
Bösartiges Lungengewebe (in diesem Bild) und Darmkrebszellen wiesen in Studien, die das rapide Tumorwachstum erforschten, den höchsten Phosphorgehalt auf.
ANGST AN SICH IST EINE MÄCHTIGE KRAFT
NICHT KONSUMTIVE EFFEKTE DER RÄUBER AUF IHRE BEUTE
IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Earl Werner (*1944)
FRÜHER
1966 Der US-amerikanische Ökologe Robert Paine führt eine Reihe bahnbrechender Freilandexperimente durch, um den entscheidenden Einfluss von Prädatoren auf die Lebensgemeinschaft aufzuzeigen.
1990 Die kanadischen Biologen Lima und Lawrence Dill analysieren die Entscheidungsfindung bei Lebewesen, die dem größten Risiko ausgesetzt sind, Beute eines anderen zu werden.
SPÄTER
2008 Der US-amerikanische Verhaltensbiologe und Ökologe John Orrock arbeitet mit Earl Werner und anderen zusammen, um mathematische Modelle zur Erklärung der nicht konsumtiven Effekte von Prädatoren zu entwickeln.
Viele Darstellungen von Ökosystemen beschreiben Räuber-Beute-Beziehungen, bei denen Räuber (Prädatoren) die Beute töten und fressen. Doch der US-Amerikaner Earl Werner und andere haben gezeigt, dass schon die Anwesenheit von Räubern das Verhalten der Beute ändert.
Außer Spitzenprädatoren müssen alle Tiere die Notwendigkeit zu schlafen, sich fortzupflanzen und zu fressen einerseits und das Risiko des Gefressenwerdens andererseits gegeneinander abwägen. Die tödliche Rolle von Räubern ist eindeutig, aber ihre nicht tödliche (nicht konsumtive) Rolle kann größere Auswirkungen auf ein Ökosystem haben. Die potenzielle Beute ändert ihr Verhalten, um möglichst nicht getötet zu werden.