Asanga näherte sich der rasenden, Göttin, und er glaubte zu sehen, daß ihre Augen, hoch oben unter der Decke des Gewölbes, ihn anfunkelten.
Asanga fiel auf die Knie, preßte sein Haupt mehrmals ehrerbietig gegen den mit goldenen Ornamenten durchzogenen Boden.
„Große Kali, Herrscherin über Leben und Tod, dein Diener wird den Frevel rächen, der dir und deinem unsterblichen Namen angetan wurde. Habe mit deinem armseligen Diener noch etwas Geduld, o Kali!“
Asanga wandte den Blick nach oben, und das Funkeln der Augen war einem sanften Glühen gewichen.
Asanga erhob sich. Langsam erklomm er die hohen Stufen des Podests, auf dem die Göttin stand. Und dort, zu ihren Füßen, fiel er in Trance. Und er sah ein Schiff, das sich der Toteninsel näherte. Langsam, durch dichten Nebel hindurch, aber unaufhaltsam. Und je tiefer seine Trance wurde, je mehr sie von ihm Besitz ergriff, desto größer und bedrohlicher wurde der schwarze Schatten, der dieses Schiff einzuhüllen schien.
Der Nebel lastete über dem Wasser. Er war so dicht, daß man an Bord der „Isabella“ nicht von einem Mast zum anderen sehen konnte. Die Männer an Bord der Galeone sahen fast nichts, aber sie spürten, daß ihr Schiff von irgendeiner Strömung, der ein kaum wahrnehmbarer Wind noch etwas half, vorangetrieben wurde. Die Stimmung an Bord der „Isabella“ war schlecht, denn der Nebel dachte gar nicht daran, sich zu lichten.
Der Mann auf der Back sang die Tiefe aus. Immer wieder warf er das Lot.
„Fünf Faden“ klang es über Deck, und der Nebel dämpfte seine Stimme zu dumpfen, schwer verständlichen Lauten.
Der Seewolf blickte auf. Seine Züge wirkten hart.
„Die Tiefe nimmt ständig ab, Ben“, sagte er zu seinem Ersten Offizier und Stellvertreter.
Ben Brighton nickte.
„Wir sollten Anker werfen, Hasard“, erwiderte er und vernahm gleichzeitig den neuen Singsang, der undeutlich von der Back zum Achterschiff herüberdrang.
„Vier Fuß!“
Dem Seewolf entging trotz des Nebels nicht, daß Stenmark, der schon seit einer runden Stunde die Wassertiefe auslotete, unruhig wurde. Und er mußte dem blonden Schweden recht geben.
Der Seewolf sah Ben Brighton nur kurz an, dann nickte er.
„Ben, laß den Anker auswerfen, alle Mann in die Wanten, Segel aufgeien. Wir bleiben hier liegen, bis diese verdammte Suppe sich aufklart. Wir wissen ja nicht einmal, wo wir sind.“
Ben Brighton nickte nur und gab die notwendigen Befehle. Gleich darauf scheuchte Carberrys gewaltige Donnerstimme die Seewölfe auf die Back und in die Wanten.
„Hurtig, hurtig, ihr lahme Bande, oder ihr könnt unsere ‚Isabella‘ aus diesem verdammten indischen, stinkenden Schlick ziehen. He, Luke, beweg dich gefälligst, oder soll ich dir erst eins über den Affenarsch ziehen, wie, was?“
Luke Morgan, genauso schlechter Stimmung wie alle anderen auch, fuhr herum.
„Du kannst es ja mal versuchen, du ausgefranster Gorilla, du angerostete Bilgenkakerlake!“ schrie er wütend zurück. „Irgendwann stopf ich dir mal dein Haifischmaul und reiß dir deine lausigen Rattenzähne einzeln aus, du chinesischer Tempelpavian!“
Carberry klappte vor Staunen der mächtige Unterkiefer herunter. Er glaubte einfach nicht, was er da eben gehört hatte. Er wußte, wie jähzornig dieser drahtige Engländer war, und er wußte auch, daß Luke Morgan ihn schon einmal mit einem präzise geworfenen Belegnagel fast außer Gefecht gesetzt hatte. Aber das hier, das ging entschieden zu weit.
Edwin Carberry, der Profos der „Isabella VIII.“, machte einen wahren Panthersatz. Seine Pranken griffen nach Luke Morgan, aber sie griffen ins Leere, denn Luke war wie der Blitz aufgeentert.
„Was bin ich?“ brüllte Carberry, und unter seiner gewaltigen Stimme schien die „Isabella“ in allen ihren Verbänden zu erzittern. „Eine angerostete Bilgenkakerlake, ein ausgefranster Gorilla, ein chinesischer Tempelpavian?“
Carberry sprang in die Wanten, aber dann stoppte ihn plötzlich das dröhnende Gelächter der Seewölfe.
Ferris Tucker, der riesige, rothaarige Schiffszimmermann, fiel vor Lachen fast von der Rah, Batuti, der hünenhafte Gambianeger, rollte wild mit den Augen und brach abermals in brüllendes Gelächter aus. Sir John, der Aracanga-Papagei, flatterte unter den wildesten Flüchen, die sein scharfer Schnabel hervorzubringen vermochte, entsetzt von seiner Rah auf und geriet im dichten Nebel prompt an ein noch nicht aufgegeites Segel und rutschte unter wüstem Gekreische und Geschimpfe und unter wildem Flügelschlagen an dem schweren Tuch herunter und klatschte schließlich an Deck. Arwenack, der Schimpanse, überrannte den Kutscher, der den Lärm gehört und neugierig aus seiner Kombüse an Deck getreten war. Fluchend fiel der Kutscher zwischen seine Töpfe und Pfannen.
Der Profos hing im Steuerbordwant des Großmastes. Er glich in diesem Moment tatsächlich einem riesigen Gorilla. Aber er schwieg. Keinen Ton brachte er heraus. Diese ganze Seewölfebrut war ja völlig außer Rand und Band, es wurde allerhöchste Zeit, daß er an Bord der „Isabella“ andere Seiten aufzog. Und, verdammt, diese lausigen Affenärsche sollten ihn, Edwin Carberry, kennenlernen! Das schwor er sich in dem Moment, in dem er noch einen Blick auf den in sicherer Entfernung verharrenden Luke Morgan warf und in dem das brüllende Gelächter der Seewölfe verebbte.
An Deck blieb er stehen, seine Rechte stieß vor in den Nebel, und sie zeigte genau dorthin, wo Luke Morgan in den Wanten hing.
„Irgendwann kommst du mal wieder runter, Luke. Und dann wirst du mir noch einmal sagen, was ich alles bin, oder ich klopfe jedes Wort einzeln aus deiner lausigen schwarzen Seele heraus, bis sie wieder weiß ist, wie die Segel unserer Old Lady!“ brüllte er.
Dann entfernte er sich. „Ausgefranster Gorilla, chinesischer Tempelpavian, angerostete Bilgenkakerlake!“ murmelte er voller Grimm, aber dabei überzog sein narbiges Gesicht bereits ein Grinsen. „Dir werde ich es zeigen, Mister Morgan! Ich glaube, das war schon lange mal fällig!“
Der Profos enterte zum Achterdeck auf. Er zog ein grimmiges Gesicht, als er auf den Seewolf und Ben Brighton zutrat, aber er konnte dennoch ein verräterisches Zucken um seine Mundwinkel nicht verbergen.
Die „Isabella“ stoppte, als der Buganker griff. Die Seewölfe beeilten sich, die Segel an den Rahen festzuzurren. Hin und wieder warfen sie Luke Morgan einen Blick zu, der sehr nachdenklich an einem der Geitaue herumhantierte und dann noch nach einem Zurring griff. So ganz wohl war ihm nicht in seiner Haut. Er kannte Carberry, seine rauhe Schale, sein im Grunde genommen weiches und gutes Herz, aber er wußte auch, daß der Profos bei gewissen Gelegenheiten verdammt sauer werden konnte. Zum Beispiel, wenn man die Disziplin an Bord der „Isabella“ in Frage stellte. Und wenn er sich selber gegenüber ehrlich blieb, dann hatte er eben genau das getan. Sein verdammter Jähzorn war wieder einmal schuld daran.
Langsam enterte er ab. Auch die beiden Zwillinge, die Söhne des Seewolfs, die eine aufregende Unterbrechung der verdammten Bordroutine bei diesem nervtötenden Nebel vermuteten, sahen ihm zu, und dann folgten sie ihm langsam.
Und sie täuschten sich nicht. Als Luke Morgan aus dem Steuerbordwant stieg, stand Edwin Carberry schon da. Groß und schwer wie ein Gebirge und ebenso drohend wuchs er auf den Decksplanken der „Isabella“ vor Luke Morgan auf.
„So, Luke“, sagte er und gab seinem Narbengesicht einen grimmigen Ausdruck dabei, „jetzt kannst du dir alles von der Seele reden, was du sonst noch auf dem Herzen hast. Also, ich höre! Aber paß gut auf, Mister Morgan, damit du das Maul jetzt nicht wieder zu voll nimmst, denn sonst wird, wenn ich mit dir fertig bin, eine altersschwache, angerostete Bilgenkakerlake gegen dich so gewaltig sein, wie eine Tausend-Tonnen-Galeone mit ihren achtzig Zwanzigpfündern gegen eine zerborstene Schaluppe, die der Sturm auf die Klippen geworfen hat.“
Um die beiden hatte sich