Joachim Sdunek
Meine Zeit im geteilten Deutschland bei voller Beleuchtung
Ein ostdeutscher Junge erzählt
2., erweiterte und überarbeitete Auflage 2021
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2., erweiterte und überarbeitete Auflage 2021
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Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main
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Titelbild: © vlntn – fotolia.com
Schriftart: Palatino 11 pt
Herstellung: ef/bf/1A
ISBN 978-3-86455-212-0 EPUB
Inhalt
Meine Zeit im geteilten Deutschland bei voller Beleuchtung
Meine Arbeitswelt ab dem Jahr 1980
Was man über die DDR wissen sollte
Einige Fakten im innerdeutschen Handel in loser Folge
Die Beziehungen und der Handel mit der Sowjetunion
Die Farben der DDR – von strahlendem Gelb bis zu tristem Grau
Das Ende der Deutschen Demokratischen Republik
Die Plünderung der Deutschen Demokratischen Republik
Mein Aufbruch in die Marktwirtschaft
Vorwort
Nachdem jetzt mehr als 30 Jahre ins Land gegangen sind und sich noch immer kein Arbeiter gemeldet hat, wird es Zeit.
Es fällt auf, dass sich viele berufen fühlen, über die Zeit der DDR zu schreiben.
Die Zurückhaltung der arbeitenden Menschen in der ehemaligen DDR ist sehr groß, obwohl es einiger Richtigstellungen bedarf. Wenn fast ausschließlich westdeutsche Journalisten über diese Zeit schreiben, entsteht ein falsches Bild. Es gibt die Menschen, die in der DDR gelebt haben und die Menschen, die über sie schreiben.
Heute reden viele über den Wettlauf zwischen der BRD und der DDR um gleiche Lebensverhältnisse und darüber, dass dieser Wettlauf für die DDR von vornherein verloren gehen musste.
Bei diesem Wettlauf sollte man schon dabei gewesen sein, um sich wirklich ein Urteil bilden zu können.
Die ganzen Widrigkeiten, die gemeistert wurden, die schönen Erlebnisse und guten Leistungen haben den Kahn immerhin 40 Jahre über Wasser gehalten. Dieser Kahn war nicht ständig am Absaufen, er hatte lange Zeit gute Fahrt.
Es war allen klar, dass der technologische Vorsprung des Westens durch viel Engagement und manuelle Arbeit ausgeglichen werden musste. Das war natürlich oft sehr aufwendig. Was ist schon aufwendig und schwer, wenn die eigene Arbeit immer wieder geschafft wird.
Die Arbeit im real existierenden Sozialismus der DDR war nichts anderes, als das Fortführen des kapitalistischen Weges unter ganz realen Zwängen im kulturellen Sinne. Die Arbeitskraft wurde nach wie vor verkauft. Im politischen Sinn erfüllte die Arbeit alle sozialen Aspekte. Jeder konnte seine Selbstbestätigung erfahren. Es war Platz für Erfolgsgefühle, Selbstwertgefühl, Gemeinschaftsgefühl und Zukunftsdenken. Allem, was Arbeitslosigkeit mit Menschen macht, fehlte der Boden. Es konnte nicht jeder werden, was er wollte und so mancher sozialistische Traum scheiterte an der Realität. Komponenten einer wirklich neuen Ökonomie blieben im Ansatz stecken. Der Durchbruch konnte leider nicht gelingen, weil die Bürger der DDR eine noch viel größere Arbeit zu leisten hatten. Sie mussten den Kriegsgewinner Sowjetunion zufriedenstellen.
Die nordamerikanischen Indianer sind auf Feuerwasser und bunte Glasperlen hereingefallen. Der DDR-Bürger wurde zudem noch verkauft und verraten.
Der real existierende Sozialismus in der DDR hatte mit dem theoretischen Entwurf des Gesellschaftsmodels von Karl Marx nicht viel, eher weniger zu tun.
Nach dem Jahr 1989 war es auch dem letzten DDR-Bürger klar, dass der Himmel im Westen nicht blauer ist und die Sonne auch nicht heller scheint. Er musste erstmalig um seine Existenz kämpfen und sich neu orientieren.
Meine Zeit im geteilten Deutschland bei voller Beleuchtung
Als meine Mutter sich sicher war, mit mir schwanger zu sein, öffnete sie eine Flasche Wein, nahm einen Hocker, stieg auf einen Tisch und sprang hinunter. Diesen Vorgang wiederholte sie, bis die Flasche Wein leer war.
Ich habe meine Mutter Zeit ihres Lebens nie mehr angetrunken erlebt.
Der Versuch mich auf diese Weise loszuwerden, hing im Wesentlichen damit zusammen, dass die Geburt meiner Schwester nur wenige Monate zurück lag. Sie war am 28. August 1951 geboren und ich kam am 28. November 1952 auf diese Welt.
Unsere gesamte Familie hat ihre Wurzeln in Vorpommern. Das Dorf Lassan und die Kleinstadt Gatzkow waren das Zentrum dieser kleinen Welt.
Nach meiner Geburt musste ich noch bis zum 24. Februar 1953 warten, bis mein Cousin geboren wurde. Der Familienfeier zur Doppeltaufe stand nun nichts mehr im Wege. Nach den Erzählungen meiner Mutter war ich bei dieser Tauffeier noch einmal kurz in Lebensgefahr. Die Täuflinge waren in einer Kammer vor einem Fenster abgelegt worden. Mit fortschreitender Feier musste mehr Luft in die Räumlichkeiten. Beim Öffnen des Fensters hinter uns Täuflingen hätte sich mein Vater beinahe auf mir abgestützt. Mein Vater konnte sich immer auf mich verlassen. In diesem Moment wäre es aber noch zu früh gewesen.
Einzeltaufen