Der Peloponnesische Krieg (Buch 1-8). Thukydides. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thukydides
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066498535
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trieb man gegenseitig Räuberei: und bis heute haben noch, manche Gegenden von Hellas Bewohner von der alten Lebensart, zum Beispiele die Ozolischen Lokrer, Aetolier und Akarnaner, und die in dem dortigen Festlande wohnen. Auch das Waffentragen haben die Einwohner dieser Gegen: den aus der alten Raubzeit beibehalten.

      6. Denn wegen der unbefestigten Wohnplätze und der Unsicherheit des Reiseverkehrs ging ganz Hellas bewaffnet: und dieß war die gewöhnliche Tracht bei den täglichen Verrichtungen, wie bei den Barbaren. Die genannten Gegenden von Hellas, deren Bewohner noch jetzt diese Sitte haben, beweisen die frühere Allgemeinheit jener Lebensart. Die Athener aber waren mit unter den Ersten, welche die Waffen ablegten, und, der rauhen Lebensweise entsagend, zu einem gewissen Grade von Üppigkeit übergingen. Und es ist dort noch nicht lange her, seit die Bejahrten unter den Wohlhabenden aufhörten, aus Weichlichkeit linnene Unterkleider zu tragen, und das Gefleckte der Scheitelhaare durch angebrachte goldne Zikaden zu befestigen: daher hat sich auch wegen der Stammesverwandtschaft jene Tracht unter den Ioniern bei ältern Männern lange behauptet. Schlichter einfacher Kleidung hingegen nach der jetzigen Weise bedienten sich zuerst die Lacedämonier; und auch sonst haben dort die Reicheren meist gleiche Lebensweise mit dem Volke angenommen. Sie waren auch die ersten, die sich bei den Leibesübungen entkleideten, und öffentlich die Gewänder ablegten, und sich mit Öle salbten. Ursprünglich, hatten die Wettkämpfer bei dem Olympischen Kampfspiele Gürtel um die Geschlechtstheile: was erst seit wenigen Jahren aufgehört hat. Bei einigen Barbaren, besonders Asiaten, werden noch jetzt Wett: spiele im Faust- und Ringkampfe gegeben, wobei die Teilnehmer geschürzt sind. Es ließen sich wohl auch sonst noch manche Ähnlichkeiten der Gebräuche des alten Hellenenvolks und der jetzigen Barbaren nachweisen.

      7. Alle in der neuern Zeit und nach Erweiterung des Schifffahrt gegründeten Städte wurden, da man wohlhabender war, auf den Ufern selbst mit Festungswerken angelegt, und auf Landengen gebaut, theils des Handels wegen, theils zur Sicherung gegen die Nachbarn. Die ältern Städte hingegen waren, sowohl auf den Inseln als auf dem Festlande, wegen der lange anhaltenden Räuberei entfernter von der See angelegt worden. Denn sie trieben Raub, gegen einander und gegen alle, die, ohne Seeleute zu sein, an der Küste wohnten ; und jene sind noch jetzt landeinwärts gebaut.

      8. Nicht minder waren auch die Inselbewohner, aus Karischem und Phönizischem Stamme, Seeräuber: denn diese Stämme hatten die meisten Inseln bevölkert. Ein Beweis ist Folgendes: Als Delos durch, die Athener in diesem Kriege gereinigt wurde, so ergab sich bei der Wegschaffung der Särge auf der Insel, daß die Toten über die Hälfte Karier waren: man erkannte sie an der mitbegrabenen Waffenrüstung und ihrer noch jetzt üblichen Bestattungsweise. Als nun die Seemacht des Minos emporkam, wurde der Schifffahrtsverkehr dadurch befördert: denn jene schädlichen Inselbewohner wurden durch ihn vertrieben und zugleich die meisten der Inseln mit Ansiedlern besetzt. Und die Anwohner des Meeres, welche nun schon sich größeres Vermögen erwarben, erhielten auch festere Wohnsitze: einige, weil sie reicher als früher geworden waren, umgaben sich auch mit schirmenden Mauern; denn aus Gewinnsucht ließen sich die Schwächen die Unterjochung durch Mächtigere gefallen, und die Stärkeren machten, weil sie mehr Vermögen hatten, die geringeren Städte sich unterwürfig. In diesem Zustand hatten sich die Griechen schon mehr befestigt, als sie in der Folge Den Meereszug gegen Troja unternahmen.

      9. Agamemnon scheint mir, nicht sowohl als Anführer von Helena's Freiern, die ein Schwur dem Tyndareus verpflichtete, sondern durch das Uebergewicht seiner Macht über feine Zeitgenossen jenen Seezug zu Stande gebracht zu haben. Denn es erzählen diejenigen Peloponnesischer, welche die zuverlässigste Kunde durch Überlieferung von den Vorfahren erhalten haben: Pelops habe zuerst durch die vielen Schätze, die er ans Asien zu mittellosen Leuten mitgebracht, sich Macht erworben, und daher, wiewohl er nur Einwanderer war, dem Lande den Namen gegeben: noch größern Erfolg haben feine Nachkommen gehabt. Denn Eurystheus war in Attika durch die Herakliden geraten, und hatte den Atreus, seiner Mutter Bruder, als er zu Felde zog, Mycenä und die Regierung, der Verwandtschaft wegen, anvertraut: dieser aber hatte sich gerade wegen Chrysippus Ermordung vor seinem Vater geflüchtet. Als nun Eurystheus nicht mehr heimkehrte, so soll Atreus mit Genehmigung der Mycenäer, weil man sich vor den Herakliden fürchtete, und er für mächtig galt, und dem Volke geschmeichelt hatte, die fürstliche Herrschaft über Mycenä und das ganze Gebiet des Eurystheus erhalten haben und so sehen die Pelopiden mächtiger als Perseus Abkömmlinge geworden. Da diese Macht auf Agamemnon überging, und er zugleich durch die Seemacht den Andern überlegen war, so brachte er, wie mir dünkt, nicht sowohl durch Gunst, als durch Furcht das Meer zu jenem Zuge zusammen. Denn es findet sich, daß Ausgenommen nicht allein selbst die größte Zahl Schiffe mit sich führte, sondern auch den Arkadiern welche wie überließ, wie Sumer bezeugt, wofern dieser ein tüchtiger Gewährsmann ist. Und da, wo er die Vererbung des Scepters beschreibt, sagt er:

      "Vieler Inseln war Er und des sämtlichen Argos Gebieter.“ Er würde jedoch als Bewohner des Festlandes die Inseln mit Ausnahme der nächstgelegenen, deren Zahl wohl sehr klein war, nicht sich unterworfen haben, hätte er nicht auch einige Seemacht gehabt. Man darf aber auch aus jenem Heerzuge auf den frühern Zustand schließen.

      10. Wenn übrigens Mycenä eine kleine Stadt war, und manche der damaligen Ortschaften jetzt für unbedeutend gilt, so ist dieß kein entscheidender Beweis gegen die Annahme, daß jene See- Unternehmung so groß gewesen, als die Dichter angeben, und die herrschende Sage behauptet. Denn die Stadt der Lacedämonier würde einmal verödet, und es blieben die Tempel und der Grund und Boden der Anlage allein übrig; so würden, wie ich glaube, nach geraumer Zeit, bei den Nachkommen große Zweifel sich erheben, ob ihre Macht dem Rufe entsprochen habe. Und doch besitzen sie zwei Fünftheile des Peloponnes, und haben die Oberleitung des Ganzen und vieler auswärtigen Bundesgenossen: allein da die Stadt nicht zusammengebaut ist, und keine kostbaren Tempel und Anlagen hat, sondern nach althellenischer Weise dorfartig eingerichtet ist; so dürfte sie ziemlich armselig erscheinen, Sollte aber die Athener das nämliche Schicksal treffen, so würde man aus dem äußern Ansehen der Stadt schließen, sie sei doppelt so mächtig gewesen, als sie wirklich ist. Man hat also keinen Grund, ungläubig zu sein, und die Städte mehr nach ihrem Aussehen, als nach ihrer Macht zu beurtheilen: vielmehr darf man mit

      Grund annehmen, daß jenes Kriegsheer größer als alle früheren war, jedoch den neueren nicht gleich kam. Denn wenn man auch in dieser Hinsicht Homers Gedichten einigen Glauben schenken darf, obwohl er als Dichter wahrscheinlich verschönernd in's Größere gemalt hat, so erscheint doch jenes Heer auch so noch minder bedeutend. Denn er zählt zwölfhundert Schiffe: den Böotischen giebt er hundert und zwanzig Mann, denen des Philoctetes fünfzig: womit er die größten und kleinsten andeuten will: wenigstens erwähnt die Schiffsliste nichts von der Größe der übrigen. Ferner gibt er zu verstehen, daß Alle auf des Philoctetes Schiffen bewaffnete Ruderer und Streiter waren: denn die Ruderer macht er alle zu Bogenschüben. Die außerordentliche Bemannung aber war ohne Zweifel klein, außer den Königen und höchsten Kriegsbeamten, zumal da man auch Kriegsgeräthe überzusetzen hatte, und die Schiffe ohne Verdeck vielmehr nach alter Weise wie Raubschiffe gebaut waren. Nimmt man also das Mittel zwischen den größten und kleinsten Schiffen, so zeigt sich, daß für eine gemeinsame Ausrüstung aus ganz Hellas das vereinte Heer nicht groß war.

      11. Daran aber war nicht sowohl die geringe Bevölkerung, als der Mangel an Geldmitteln Schuld. Wegen der Schwierigkeit der Unterhaltung nahm man ein minder großes Heer mit, und nur so viele Menschen, als man bei dem Kriege in der dortigen Gegend erhalten zu können hoffte. Als sie nun nach der Landung ein Treffen gewonnen hatten, was daraus erhellt, weil sie sonst ihr Lager nicht hätten verschanzen können; so gebrauchten sie auch da nicht ihre ganze Heeresmacht, sondern sie beschäftigten sich aus Mangel an Lebensmitteln mit Ackerbau auf dem Chersonnes, und mit Räuberei. Bei dieser Zersplitterung ihrer Macht vermochten auch die Trojer ihnen sehen Jahre lang zu widerstehen, da sie den jedesmal Zurückgebliebenen gewachsen waren. Hätten sie hinlänglichen Mundvorrat mitgebracht, und den Krieg mit gesammter Macht, ohne Plünderungszüge und Feldbau, unausgesetzt fortgeführt, so würden sie durch eine gewonnene Schlacht leicht die Eroberung bewerkstelligt haben, da sie ja auch ohne die Gesamtkräfte, mit dem Theile, der jedesmal gerade bei der Hand war, sich gegen den Feind behaupteten: oder sie würden durch, eine Einschließung und Belagerung Troja in kürzerer Frist und mit geringerer Mühe genommen haben. Aber wegen des Geldmangels war nicht allein ihre Macht vor dieser Zeit gering,