»Schneller!«, flehte die Alte. »Das Kind stirbt sonst.«
»Keine Sorge. Es stirbt schon jemand anderes heute Nacht«, sagte der Tod und schmatzte. Er leckte den leeren Teller sauber und streckte den beiden Frauen die Zunge raus. »Leuchtet meine Zunge?«, fragte er.
Die Alte schaute ihn sprachlos an, doch die Köchin schlug ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.
»Schluss jetzt!« Sie öffnete die Tür und schob ihn hinein.
Das Schlafzimmer wurde mit einem Feuer in der Mitte des Raumes warm und trocken gehalten. Wohin der Tod auch blickte, sah er Serenika. Mit wiegenden Köpfen blickten die Vögel zu ihm und blinzelten, denn sie erkannten ihn und sagten so Guten Tag. Im Bett lag eine schlafende Frau mit schweißnassen Haaren.
»Sie ruht sich aus. Wir müssen gleich die Nachgeburt herausholen.« Eine weitere Frau, die hinter dem Bett auf einem Schaukelstuhl saß, hatte diese Worte gesprochen. Sie war die Geburtshelferin.
Ein dünner, schwarzer Stoff über dem Gesicht der Frau im Bett konnte nur vom Tod gesehen werden. »Weckt sie auf und holt sie gleich, sonst überlebt sie es nicht.«
Die Geburtshelferin sprang auf und rüttelte die Schlafende. Sie tat es nicht, weil der Fremde Autorität ausstrahlte, sondern weil man in Jui jede Aussage über den Tod ernst nahm. Niemand wollte derjenige sein, der eine Warnung ignoriert hatte.
Neben dem Bett hing ein Korb von der Decke, in dem ein Huhn auf einem Bündel lag. Das Tier döste zufrieden, weil es mit getrockneten Käfern gefüttert worden war. Der Tod trat näher und schob das Huhn beiseite. Bei dem Bündel handelte es sich um das Neugeborene. Nur der Kopf war zu sehen, der Rest war in den für die Region typischen Stoff aus Schilf gewickelt. Die gräuliche Blässe war schon verschwunden und die Haut hatte das dunkle, warme Braun ihrer Mutter angenommen.
»Jetzt kommt die Weihung«, flüsterte jemand aufgeregt hinter ihm. Die andere schien ihr zu bedeuten, sie solle schweigen. »Was denn?«
Der Tod drehte sich um und hob fragend die Schultern. Erwartungsvoll kamen die zwei Frauen näher. Von ihnen würde er keine Hilfe bekommen. Was wurde bloß von ihm erwartet? Vielleicht sollte er einfach verschwinden. Die frische Mutter stöhnte auf.
Da öffnete das Neugeborene ein Auge. Neugierig beugte er sich über es. Er hatte schon mit Säuglingen zu tun gehabt, aber da waren sie meistens schon tot gewesen. Seine Schwester hatte drei Kinder bekommen, doch nach den Geburten hatte man ihn nicht eingeladen. Den Tod hielt man lieber auf Abstand, selbst wenn er der Bruder war. Bei diesem Kind handelte es sich um andere Umstände. Es war am Anfang seines Lebens, an Tag Null.
»Niemand ist gerade so weit von mir entfernt wie du«, sagte er.
»Was sagt er?«, flüsterte die Alte.
»Lauter!«, sagte die Köchin.
Der Tod hob den Kopf und betrachtete das Wesen mit dem einen braunen Auge vor sich. Nach langen Regentagen war das Moor vom aufgewühlten Schlamm genauso braun, doch diese Tage waren selten. Er hob seine Hand über den Korb. Die Augen der Frauen wurden größer. Der Tod machte hilflos eine Handbewegung, als würde er Salz über das Mädchen streuen.
»Bist du überhaupt eine Bilgrim?«, fragte die Köchin und stemmte einen Arm in die Hüfte. Es musste der sein, mit dem sie immer die Eier aufschlug, denn der Bizeps war deutlich zu sehen.
»Er hat’s gesagt!«, rief die Alte und duckte sich. »Mich trifft keine Schuld, ich habe überall gesucht und er hat’s gesagt.«
»Ich bin die beste Bilgrim, die ihr hättet finden können und das gerade war erstklassige Magie. Macht man jetzt überall so, hat euer Moorloch wohl noch nicht erreicht!«
Die Köchin blickte ihn länger an. »Wir haben auch nur dich. Also mach fertig, drei Gaben und so und dann raus hier.«
Die Mutter im Bett schrie und mit einem Schmiergeräusch kam endlich die Nachgeburt. Sofort fiel sie wieder in einen tiefen Schlaf. Die Geburtshelferin griff nach einem Eimer und warf die blutigen Tücher und Überreste hinein.
Der Tod hatte sich inzwischen wieder dem Mädchen genähert.
Hallo, hallte es in seinem Kopf. Erschrocken fuhr er zusammen. Es hatte nicht wirklich das Wort benutzt, aber es war die Bedeutung dessen gewesen, das Kind hatte ihn begrüßt. Und es sagte noch mehr. Es sagte: Guck mal. Mit dem zweiten Auge, das es öffnete, zeigte es dem Tod seine Seele.
Tränen stiegen ihm in die Augen. Ergriffen wischte er sie weg und schniefte. Die Seele war zwar jung und ungestüm, doch sie war stark und hatte eine Ruhe, die ihn in die Knie zwang. Während ganz Jui an nichts Übermenschliches als den Tod glaubte, begann eben dieser an Götter zu glauben.
»Darf ich es halten?«, fragte er.
Da lächelte selbst die Köchin.
Mit Fingern, die sonst eher zupackten und würgten, hob er das Neugeborene aus dem Hängekorb und hielt es sich an sein flatterndes Herz. Wie immer, wenn er einen anderen Menschen berührte, fiel ihm seine hellbraune Haut auf, die nicht das Einzige war, das er von seinem Vater geerbt hatte. Sein Atem stockte, als ihn vergrabene Erinnerungen durchfluteten.
Die Seele des Mädchens flocht ein Band aus seiner Selbst und schnürte es um das Herz des Todes, das sich sofort beruhigte. Die Körperwärme des Kindes ließ ihn schwindeln. Er spürte den starken Drang, am Köpfchen zu riechen. Durfte er das? Das wäre sicher merkwürdig.
Vor einigen Jahren hatte er die Seele einer verstorbenen Mutter abgeholt. An diese erinnerte er sich kaum noch, allerdings an den hinterbliebenen Vater, der sein soeben geborenes Kind an sich drückte. Ein Leben für das andere, wie der Tod es empfunden hatte. Der Vater jedoch hielt es, als habe er es eigenhändig aus einem Vulkan geborgen. Nun als Bilgrim getarnt, ahnte er, dass der Mensch jemanden lieben konnte, den er nicht kannte.
Dafür zerbrach etwas in seinem Inneren, von dem er nicht ausgegangen war, dass es noch weiter brechen kann. Wenn doch jedes Kind in eine solche bedingungslose Herzenswärme hineingeboren wurde, weshalb konnten manche Eltern ihre Kinder dennoch verraten? Auch der Tod war mal ein neugeborener Junge gewesen. Er blinzelte die Erinnerung weg.
»Also gut, drei Gaben«, sagte er und wiegte das Geschöpf in seinen Armen. »Ich wünsche dir, dass die, die dich am meisten lieben, immer an deiner Seite bleiben. Ich wünsche dir, dass du die Ruhe im Sturm bist. Ich wünsche dir, dass du erkennst, was du brauchst.« Er drückte einen Kuss auf die winzige Stirn und das Kind schloss schnell die Augen.
»Das war schön«, seufzte die Geburtshelferin, die mit blutigen Händen auf einem Schemel saß und das Putzen vergessen hatte.
Die Köchin nahm ihre Schürze ab und faltete sie, als sei der Tag damit beendet. »Jetzt fehlt nur noch ein Name. Bitte, sei so nett. Such du einen aus, gute Bilgrim, Frau Rednerin möchte es sicher so.«
Der Tod blickte dem Mädchen ins Gesicht.
»Aru«, sagte er. »Aru nach der ältesten Baumkönigin dieser Erde, die zweimal die Stadt Numesas rettete.«
»Das ist eine schöne Legende«, sagte die Alte. Sie gähnte.
Die Tür öffnete sich und ein alter Mann mit spitzen Schultern und löchrigen Pantoffeln kam hinein. Er musste mit der Mutter im Bett verwandt sein, denn beide hatten ähnliche schmale Handteller und knubbelige Finger. Augenblicklich sah er den Tod und wie das Huhn erkannte er ihn. Die Reaktion war jedoch eine andere.
Der Mann stieß einen lauten Schrei aus, hustete und schrie erneut. »Ihr habt den Tod eingeladen, ihr Dummen, ihr habt das Kind dem Tod gegeben!«
Schon spürte der Tod am ganzen Körper Fausthiebe und das Bündel wurde ihm aus den Armen genommen.
»So ein Unsinn, wisst ihr überhaupt, wie alles funktioniert?«
Doch die drei Frauen und der Alte mit den Pantoffeln mussten sich nicht mit etwas auskennen, um es zu fürchten.
»Ich geh ja,