Die Anfänge Roms. Harald Haarmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harald Haarmann
Издательство: Bookwire
Серия: marixsachbuch
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843806145
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Vorgängern gelernt.

      Als die Vorfahren der Griechen im 3. Jahrtausend v. Chr. vom Nordwesten des Schwarzen Meeres nach Süden migrierten, wussten sie noch nichts von der Seefahrt. Das lernten sie erst vor Ort in ihrer neuen Heimat, Hellas, u. zw. von den Nachkommen der seeerfahrenen Alteuropäer, den Pelasgern. Im kulturellen Gedächtnis der Pelasger war das Know-how des Schiffsbaus tradiert worden, und dieses Know-how gaben die pelasgischen Schiffsbauer an die Griechen weiter. Zusammen mit den technischen Fertigkeiten wurden auch spezielle Ausdrücke der Fachterminologie in den altgriechischen Wortschatz integriert.

      Der Transfer dieser griechisch anmutenden, aber ihrer Herkunft nach pelasgischen Ausdrücke in das etruskische Vokabular findet im Kontext der Kontakte zwischen Griechen und Etruskern im Norden der Ägäis eine schlüssige Erklärung. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass die Etrusker die betreffende Terminologie direkt von den Pelasgern adaptiert haben, d. h. ohne Vermittlung durch das Griechische. Es kommt auch noch die Verbindung zu den Minoern Altkretas in Betracht, die ebenfalls erfahrene Seeleute waren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Etruskische und das Minoische verwandte Sprachen waren (s. dazu Facchetti 2002a: 111 ff.). In jedem Fall bot das multikulturelle Milieu in der Inselwelt der Ägäis und in der balkanisch-anatolischen Kontaktregion ausreichend Gelegenheit für die Verbreitung von Kenntnissen im Bereich Schiffsbau und maritimen Handelskontakten bei den verschiedenen ethnischen Gruppen.

      Von den drei im Kontakt stehenden Populationen, den Etruskern, Griechen und Pelasgern sind die letzteren immer noch weitgehend mit dem Schleier des Mysteriösen verdeckt. Das hängt wohl in erster Linie damit zusammen, dass erst in den letzten Jahren in der Forschung Klarheit über die ethnische Zuordnung der Pelasger und über die genealogische Affiliation ihrer Sprache erreicht worden ist, denn bis dahin war man als moderner Beobachter von den Beschreibungen der Pelasger bei antiken Autoren abhängig. Um sich die Rolle der Pelasger für die Vermittlung vorgriechischen Kulturguts an die Griechen zu vergegenwärtigen, ist ein kurzer Exkurs sinnvoll.

       Die Regionalkultur der Pelasger in Südosteuropa

      Die bronzezeitliche Kultur der Pelasger muss als zentrale Vermittlerinstanz für alteuropäisches Sprach- und Kulturgut an die Griechen verstanden werden. In Hellas vollzog sich ein Prozess, wie er sich in ähnlicher Form in späteren Perioden wiederholt hat: die Kultur derjenigen, die beherrscht wurden, beeinflusste die Kultur der Herrschenden nachhaltig. In der Balkanregion waren es später die Römer, die politisch den Ton angaben, während sich andererseits ihre Kultur und Sprache vollsogen mit adaptierten griechischen Elementen.

      Die Periode zwischen dem 3. Jahrtausend und dem 1. Jahrtausend v. Chr. ist von der bronzezeitlichen Kultur der Pelasger geprägt. Eine Kontinuität pelasgischer Siedlungen im südlichen Griechenland ist bis in die archaische Ära (8.–6. Jahrhundert v. Chr.) dokumentiert. In der älteren Forschung ging man davon aus, dass die Pelasger ein altes indoeuropäisches Volk auf dem Balkan gewesen wären. Allerdings sind alle Ansätze zu einer Rekonstruktion des Pelasgischen als indoeuropäisch fruchtlos geblieben. Basierend auf den Forschungen von Furnée (1972), Beekes (2004, 2010) und Haarmann (2014) ist inzwischen geklärt, dass das Pelasgische eine nicht-indoeuropäische (bzw. vor-indoeuropäische) Sprache war.

      Die Griechen der archaischen Zeit waren sich sehr wohl bewusst – selbst wenn sie nicht über ein Wissen gestützt auf Daten archäologischer Forschung verfügten –, dass vor ihnen ein anderes Volk (die Pelasger) in Griechenland gelebt hatte, und dass sie mit der älteren Bevölkerung in langzeitigem Kontakt gestanden hatten. Herodot berichtet darüber, dass die Pelasger sich später assimiliert hätten. In seinem Werk Historien thematisiert Herodot den Sprachwechsel der Pelasger in folgender Weise: »Wenn also alle Pelasger in dieser Weise sprachen [d. h. ihre eigene Sprache sprachen], dann muss das Volk von Attika [Attikon ethnos], da sie Pelasger waren, ebenfalls ihre Sprache gewechselt haben zu einer Zeit, als sie Teil der Hellenen wurden« (Historien 1.57.3).

      Die Griechen wie auch die Etrusker profitierten vom Know-how der Pelasger, und die Einflussschneisen zeichnen sich im Wortschatz ab. Als die Vorfahren der Etrusker aus der Ägäis nach Westen fuhren, stand ihr seemännisches Können auf dem gleichen Niveau wie das der Griechen. Und im Wortschatz beider Sprachen haben sich Spuren aus der Sprache der pelasgischen Lehrmeister erhalten. Die Etrusker haben ihre pelasgisch geprägte Terminologie mit nach Italien gebracht, wo sie ihrerseits die Römer beeindruckten und ihre Sprache beeinflussten. Die Pelasger haben auch das Know-how der Goldschmiedekunst an die Griechen und Etrusker weitergegeben, was sich ebenfalls in der Fachterminologie niedergeschlagen hat (z. B. obrussa, ›Feuerprobe des Goldes; Prüfstein‹).

      Etruskische Lehnwörter des Lateinischen, mit Parallelen im Griechischen und Pelasgischen:

      anc(h)ora, ›Anker‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. ankyra (B 174)

      aplustra, ›Schiffsknauf‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. aphlaston (B 175)

      curritae, ›Seherinnen der Göttin‹; vielleicht über etrusk. Vermittlung in Beziehung zu griech. Korybantes, ›Priesterinnen der Kybele auf Samothrace‹ (B 107)

      guberno, ›führe das Steuerruder, steuere‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. kybernao (B 209)

      marmor, ›Marmor‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. marmaros (B 215)

      obrussa, ›Feuerprobe des Goldes; Prüfstein‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. obryzon (B 219)

      paelex, ›Konkubine‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. pallake (B 220)

      Der Begriff der Konkubine war in der griechischen Gesellschaft der Antike nicht stigmatisiert. Jeder freie griechische Mann hatte das Recht, außer einer Ehefrau (Hauptfrau) eine Nebenfrau zu haben. Die Kinder eines freien Mannes mit seiner Konkubine wurden ebenso behandelt wie die Kinder mit der Ehefrau. In beiden Fällen hatten die Nachkommen das Anrecht auf das athenische Bürgerrecht und waren somit vor dem Gesetz gleich.

      Das soziale Normbewusstsein in der griechischen Gesellschaft ist aus der Rede eines Athener Orators (Demosthenes 59.122) aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. bekannt, deren Text überliefert ist. Daraus geht folgendes hervor: »Athener Männer können drei Frauen haben: eine Ehefrau (damar) ›zur Zeugung legitimer Kinder‹; eine Konkubine (pallake) ›zur Pflege des Körpers‹, was bedeutet, mit ihr regelmäßige sexuelle Beziehungen zu haben, und eine ›Gespielin‹ (hetaira) ›für die Unterhaltung‹« (Cantarella 2005: 250).

      Das Griechische hat noch einen anderen Ausdruck für soziale Beziehungen als Entlehnung übernommen. Dies ist opuio, ›heiraten, zur Frau nehmen‹, und als dessen Quelle wird von vielen Sprachwissenschaftlern das Etruskische (puia, ›Ehefrau‹) identifiziert, erstmals geäußert von Hammarström (1920). Neuerlich wird auch das Pelasgische als mögliche Quelle von opuio in Betracht gezogen (Beekes 2010: 1094). Auch diese Entlehnung – ob vom Etruskischen ins Griechische oder vom Pelasgischen ins Griechische – gehört zum Kreis der altmediterranen Elemente.

      spelunca, ›Höhle, Grotte‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. spelynx (B 225)

      sporta, ›geflochtener Korb‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. spyris (B 159)

      tapete, ›Teppich, Decke‹; über etrusk. Vermittlung aus griech. tapes (B 230)

      Und in einem weiteren Bereich spiegeln sich die Kontakte der Proto-Etrusker mit den Kulturen im ägäischen Raum. Dies ist die Tradition der etruskischen Zahlenschreibung. Die Vorfahren der Griechen, die aus dem Gebiet im Nordwesten des Schwarzen Meeres in den Süden wanderten, kamen in ihrer neuen Heimat Hellas in Kontakt mit der Schriftlichkeit der Minoer Altkretas, deren kultureller Einfluss auf das Festland ausstrahlte. Die mykenischen Griechen adaptierten das minoische Schriftsystem Linear A zur Schreibung ihrer eigenen Sprache (Linear B). Was sie ebenfalls von den Minoern übernahmen, war die Zahlenschreibung. Die Zeichen, mit denen Zahlenwerte bei den Mykenern bezeichnet wurden, zeigen deutliche Parallelen zur alteuropäischen Zahlennotation, und Ähnlichkeiten sind ebenfalls im System der etruskischen